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Der Suchende

Uwe Ampler arbeitet jetzt als Fitnesstrainer und beschäftigt sich viel mehr mit seinem Körper als damals als Radprofi.

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Von Michaela Widder

Das Thermometer zeigt vier Grad über null. Trotzdem überrascht es nicht, dass Uwe Ampler mit dem Fahrrad zum Termin in Leipzig erscheint. Auf dem alten weißen Diamantrahmen fällt der schwarze Schriftzug auf: Weltmeister. Das Rad – ein Unikat, wie der Mann selbst. In den blauen Jeans und dem weißen Polo-Shirt wirkt er drahtig. Auch 31 Jahre nach seinem ersten großen Erfolg, dem WM-Titel bei den Amateuren in Colorado, hat er nahezu sein Wettkampfgewicht. Vermutlich liegt das nicht nur an der Apfel-Dinkel-Schnitte, die er sich zu seinem Kaffee bestellt hat, auch wenn er sagt: „Der Mensch ist, was er isst.“

Er war einer der besten Rad-Amateure der Welt. 1987 gewann Uwe Ampler bei der DDR-Meisterschaft auf dem Sachsenring.
Er war einer der besten Rad-Amateure der Welt. 1987 gewann Uwe Ampler bei der DDR-Meisterschaft auf dem Sachsenring. © dpa/Wolfgang Thieme
Heutzutage ist der Leipziger noch immer gern radelnd unterwegs – nur etwas entspannter.
Heutzutage ist der Leipziger noch immer gern radelnd unterwegs – nur etwas entspannter. © kairospress

Der viermalige Friedensfahrt-Gewinner arbeitet seit zweieinhalb Jahren als Personaltrainer in Leipzig. Im Durchschnitt betreut er zehn Kunden – vom übergewichtigen bis zum ambitionierten. „Mir ist es wichtig, meine Leute individuell und intensiv zu betreuen, manchen auch einfach wieder auf die Beine zu helfen“, sagt er. In den Sommerferien bietet Ampler zudem Mountainbike-Kurse für Kinder an. Sein Sohn Rick, der dem Vater als Radprofi nacheifern wollte und nun seine Karriere beendet hat, hilft ihm dabei.

Im Herbst schließt der 52-Jährige sein nächstes Zertifikat ab. Dann kann er auch Sportkurse im Rehabilitationsbereich anbieten. Und Ampler weiß, wovon er spricht: vom Hochleistungs- zum Reha-Sport. Dazwischen fast tot.

Der Unfall passiert im September 2003, da hat er seine bewegte Sportlerkarriere bereits beendet und ist mit einem Freund auf dem Rad unterwegs. In einer Kurve nimmt ihm ein Jeep die Vorfahrt. Ungebremst und ohne Helm donnert er in das Auto. Das überlebt zu haben, empfindet Ampler noch immer als Wunder. Mehr als zwei Wochen liegt er im Koma, anfangs ist unklar, ob er überhaupt wieder laufen kann. „Ich hatte Glück. Es wäre das Schlimmste für mich gewesen, wenn ich im Rollstuhl gelandet wäre.“

Seine schwerste Verletzung war ein Schädel-Hirn-Traum, wie es auch Michael Schumacher nach seinem Skiunfall 2013 erlitten hatte. Die Formel-1-Legende ist seither nicht in die Öffentlichkeit zurückgekehrt. „Es fühlt sich an, als wenn einmal der Computer auf den Boden knallt und die Festplatte gelöscht ist“, sagt Ampler. Vier Jahre danach kann er erst wieder arbeiten. Er wirkt nachdenklich, spricht von Erinnerungslücken und Aufmerksamkeitsproblemen, die ihm manchmal zu schaffen machen. Der Sport ist nach wie vor sein Anker. „Wenn ich mehrere Tage nichts mache“, erzählt er, „spüre ich eine gewisse Antriebslosigkeit bis hin zu depressiven Verstimmungen. Bewegung ist ein gutes Mittel dagegen.“ Mindestens jeden zweiten Tag ist Ampler selbst aktiv. Wenn er mit dem Rennrad unterwegs ist, kommen meistens 80 bis 90 Kilometer zusammen.

Als Sportler fiel ihm vieles lange Zeit zu. Er war gesegnet mit Talent, die Mutter war Vizeeuropameisterin im Rudern, der Vater, Klaus Ampler, selbst 1963 Friedensfahrtsieger. Sohn Uwe war ein guter Crossläufer und ein noch besserer Schwimmer, hielt sogar den DDR-Altersklassenrekord über 1 500 Meter. „Doch der Radsport hat mir schon immer mehr imponiert als das Chlorwasser.“ Als er als 15-Jähriger mit der Familie am Stechlinsee in Brandenburg Urlaub machte, ging er einen Deal ein: 250 Kilometer auf dem Rad nach Zerbst. Sein Vater, der damals Auswahl- und Klubtrainer war, hatte ihm versprochen: „Wenn du durchhältst, können wir über einen Wechsel reden.“

Natürlich hielt er durch – und sein Vater Wort. Ampler junior wurde 1987 Weltmeister, was für ihn noch immer die „Krone im Radsport“ bedeutet. Im Teamzeitfahren gewann er 1988 in Seoul Olympiagold. Und mit seinem Triple bei der Friedensfahrt, die Tour de France des Ostens, zählte er zu den Sporthelden der DDR.

Als Amateur war er Weltspitze, das Profisein fiel ihm dagegen schwer. Es gab viele, die meinten, dieser Uwe Ampler hätte die Chance gehabt, schon ein paar Jahre vor Jan Ullrich als erster Deutscher die Tour zu gewinnen. Aber der große Erfolg nach der Wende blieb aus. „Wir hatten doch nicht die Erfahrung, was möglich ist in dem System. Wir haben Fehler gemacht“, sagt er – legt eine kurze Pause ein – „der eine mehr, der andere weniger.“

Statt Ex-Weltmeister Rudi Altig („Er ist ein feiner Mensch“) vertraut Ampler einem Mann, der sich Manager nannte, aber ihn so schlecht beriet und am Ende sogar zu einer Klage gegen seinen damaligen Rennstall drängte. Er bezichtigte Teamchef Walter Godefroot, dass bei Telekom gedopt werde. Den Prozess verlor er, damit auch viel Geld. Kein Rennstall wollte ihn – den „Nestbeschmutzer“, wie er selbst sagt. Später geben ihm die Geständnisse unter anderem von Erik Zabel und Rolf Aldag indirekt recht. Der Skandal um das Team Telekom erschüttert den Radsport. Ampler will zu diesem Thema eigentlich nichts mehr sagen. „Doch es stört mich, dass jahrelang der Radsport als Prügelknabe genommen wurde.“ Noch immer verfolgt er die großen Rundfahrten und Rennen und macht sich so seine Gedanken. „Die Geschwindigkeiten bei den Frühjahrsklassikern werden ja nicht langsamer. Und die Tour ist von der Belastung her unmenschlich“, meint Ampler, der bei drei Starts nur einmal in Paris ins Ziel gekommen ist. „Es gibt physische Grenzen.“

Er kannte sie und versuchte trotzdem, sie zu überwinden. Weil nach seinem Rücktritt auch das Geschäft mit einem Fahrradgroßhandel in die Brüche ging, kehrte er 1997 in den Profiradsport zurück und gewann ein Jahr später sogar noch einmal die Friedensfahrt. Bei der Sachsen-Tour 1999 wurde er jedoch positiv auf Testosteron getestet. Die sechsmonatige Dopingsperre bedeutete sein endgültiges Karriereende. Ampler redet Klartext. „Ich war Kapitän und im Frühjahr krank gewesen. Ich stand unter Druck und habe das Falsche genommen.“

Gemüseanbau im eigenen Garten

Mittlerweile setzt sich der Fitnesstrainer ganz anders mit seinem Körper auseinander als zu seiner aktiven Zeit. Er ist von Homöopathie überzeugt, achtet seit Jahren auf eine gesunde Ernährung. Schweinefleisch hat er vom Essensplan gestrichen und sich sogar mit der Blutgruppen-Diät beschäftigt. In seinem Hochbeet im Garten baut Ampler Gemüse an, düngt mit Pferdemist und könnte sich sogar ein Leben als Selbstversorger vorstellen. „Ich bin schon immer naturverbunden. Früher war ich gern mit meinem Vater in den Pilzen oder angeln“, erzählt Ampler, der auch ein Zertifikat als Ernährungsberater hat.

Wenn er darüber spricht, wirkt es, als habe er mit seinem Körper einen Pakt geschlossen. Es geht um Wiedergutmachung. So, als wolle er mit sich ins Reine kommen. Auf die Frage, was das Leben noch für ihn bereithalte, antwortete er im Interview für einen MDR-Film im vorigen Jahr: „Man muss versuchen, einfach das Beste daraus zu machen. Entweder setzt man sich damit auseinander oder man springt vom Hochhaus. Und ich setze mich damit auseinander und versuche, noch das Beste für den Rest daraus zu machen.“