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Der Stromrebell

Horst Seehofer sieht die Netzbetreiber als Renditejäger und stemmt sich gegen neue Stromtrassen nach Bayern. Doch die Konzerne halten an ihren Plänen fest. In der Regierung droht ein Sicherungsbrand.

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© dpa

Georg Ismar und Tim Braune

Berlin. Am Anfang steht immer die „Raum-Widerstands-Analyse“. Wo sind Naturschutzgebiete, wo drohen Probleme? Nicht so sehr auf der Rechnung hatten die Herren über Deutschlands Stromautobahnen bei ihrer Analyse das Hindernis Horst Seehofer.

Bayerns Ministerpräsident hat sich quasi an die Spitze der Bewegung gegen neue „Monster-Trassen“ gesetzt. Seehofer triezt die vier für den Ausbau zuständigen Übertragungsnetzbetreiber seit Wochen mit seinem Blockadekurs. Nun wagen diese den Konflikt - und bringen damit auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in Zugzwang. Sie muss Farbe bekennen, ob sie dem Expertenrat folgt - oder ob sie den Netzausbau eindampft und die Energiewende in ihrer jetzigen Form auf den Prüfstand muss. Das Ganze könnte Thema eines Koalitionsgipfels werden, heißt es bereits in Berlin.

Die Netzbetreiber haben die Ausbauplanungen noch mal intensiv überprüft und durchgerechnet. Sind weniger Leitungen nötig, weil bis 2020 nur noch Windparks mit einer Gesamtleistung von 6.500 Megawatt in Nord- und Ostsee ans Netz gehen sollen? Oder hat das jüngst reduzierte Ausbauziel von jährlich 2.500 Megawatt bei Windkraft an Land Folgen für den Bedarf an neuen Trassen? Die Antwort: kaum. Es könne keine Vorzugsbehandlung geben „für die, die am lautesten schreien“, heißt es aus den Kreisen von Amprion, 50Hertz, Tennet und TransnetBW, die sich das Geschäft in Deutschland aufteilen. Seehofer hat nun schwarz auf weiß, dass die Fachleute die drei geplanten großen Trassen vom Norden und Osten nach Bayern und Baden-Württemberg für unerlässlich halten.

Von der See über Tschechien nach Bayern

Schon jetzt sollen die Netzeingriffe bei Überlastungen rund 400 Millionen Euro im Jahr kosten, zu zahlen über den Strompreis. Und oft bahnt sich der Strom den Weg über Polen und Tschechien nach Bayern. Phasenschieber sollen nun den Stromfluss zu den verärgerten Nachbarn regulieren, damit dort nicht die Netze verstopft und Kraftwerke zum Runterfahren gezwungen werden.

Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hat Seehofer bis Januar eine Frist eingeräumt, derzeit läuft in Bayern ein Dialog mit den Bürgern und Unternehmen. Der Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft, Bertram Brossardt, fordert rasche Entscheidungen der Politik: „An der hohen Versorgungssicherheit in Bayern darf es keine Abstriche geben.“ Damit die Leitungen bis zur Abschaltung der letzten Atommeiler 2022 weitgehend stehen, ist es schon jetzt ein Wettlauf mit der Zeit. Der Klageweg wurde extra verkürzt, als einzige Instanz ist nur der Gang zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig möglich.

Nun muss die Bundesnetzagentur entscheiden, ob sie den Vorschlag übernimmt. Aber Seehofer traut den Netzbetreibern ohnehin nicht. Er ist überzeugt, Hauptmotiv ihrer Trassenplanung sei der Profit. Er nennt die Vorhaben „Kapitalsammelstellen“.

In ihrem überarbeiteten Entwurf halten die durch die Energiewende zu großen Spielern gewordenen Unternehmen vor allem an der umstrittenen Ost-Süd-Trasse fest. Sie soll nun aber nicht mehr in Bad Lauchstädt (Sachsen-Anhalt) nahe eines Braunkohlereviers starten, sondern 110 Kilometer weiter nördlich bei Magdeburg, um mehr Windstrom einzusammeln.

Ohne neue Trassen wird Strom im Süden teurer

Denn ein Vorwurf lautete, mit der Trasse soll vor allem dreckiger Braunkohlestrom nach Bayern kommen. Und: Sie soll nicht mehr in Meitingen bei Augsburg enden, sondern etwas weiter westlich in Gundremmingen, wo derzeit noch ein Atomkraftwerk Strom liefert. Hier gibt es bereits einen großen Knotenpunkt, weshalb sich dies als Endpunkt zur Verteilung auf untere Spannungsebenen anbietet.

Beim 800 Kilometer langen, von Seehofer ebenfalls kritisierten Suedlink, soll ein Abzweig nach Baden-Württemberg in den Raum Wendlingen verlagert werden, damit die Trasse näher an die Industrieregion Stuttgart heranreicht, wo Autobauer wie Daimler und Porsche produzieren. An der windreichen Küste Mecklenburg-Vorpommern ist zum Abtransport des Stroms zudem eine Netzverstärkung von 220 auf 380 Kilovolt geplant, und zwar bei den Trassen Pasewalk-Lubmin und Lubmin-Lüdershagen-Güstrow.

Ohne die großen Trassen in den Süden könnten die Einkaufspreise für Strom in Bayern bis zu 30 Prozent teurer werden, meint der Vertreter eines Übertragungsnetzbetreibers. Er vergleicht das mit Tomaten. Wenn im Norden im Überfluss Tomaten vorhanden seien und Bayern von dort wegen fehlender Transportmöglichkeiten statt benötigter 5.000 Tomaten nur 2.000 bekommen kann, muss es bei den Nachbarn einkaufen - dort seien diese aber gerade viel teurer.

Unterm Strich müssten bayerische Stromverbraucher wohl viel mehr für Strom zahlen. Und bisher geht die Industrie dorthin, wo der Strom am günstigsten ist. Tennet-Vorstand Lex Hartman stichelt, ohne die Trassen in den Süden könnten aus den Bayerischen Motorenwerken (BMW) irgendwann die „Bremer Motorenwerke“ werden. (dpa)