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Der stille Mann im Hintergrund

Till Patzer war Gründungsmitglied von Lift, einer Kultband des Ostrocks. Nun kehrt er zurück in die Vergangenheit.

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© Thomas Morgenroth

Von Thomas Morgenroth

Die Zeitschrift „Melodie und Rhythmus“ bittet im November 1970 auf dem Rücktitel wieder zu ihrem beliebten Foto-Rätsel, zu gewinnen gibt es 100 Mark, Schallplatten und Bücher. Gesucht wird diesmal „ein vielseitiger Musiker, der jetzt auch zum Schlagersänger avancierte“. Auf dem dazugehörigen Schwarz-Weiß-Bild ist ein adretter junger Mann mit wuscheligen, aber gebändigten Haaren zu sehen, in Anzug und Schlips, der, so wollte es der Fotograf, freundlich an der Kamera vorbeisieht, Typ: Liebling aller Schwiegermütter.

Früher waren die Haare länger und das Kinn rasiert: Patzer (hinten links) mit der Gruppe Lift auf einer Autogrammkarte von 1977, mit Michael Heubach, Henry Pacholski, Werther Lohse, Wolfgang Scheffler und Gerhard Zachar (v.l.).
Früher waren die Haare länger und das Kinn rasiert: Patzer (hinten links) mit der Gruppe Lift auf einer Autogrammkarte von 1977, mit Michael Heubach, Henry Pacholski, Werther Lohse, Wolfgang Scheffler und Gerhard Zachar (v.l.). © Archiv Patzer

„Ja, das bin ich“, sagt Till Patzer und grinst etwas verlegen. Am liebsten würde der Saxofonist kein weiteres Wort über das geschniegelte Brustbild im Halbprofil verlieren. 26 Jahre jung war er damals, und sein Ausflug ins Schlagerfach nur von kurzer Dauer. Immerhin ist dieser auf Tonträgern verewigt. 1970 erschien bei Amiga eine Single mit den beiden Liedern „Muszja“ und „Tage voll Sonnenschein“, die eigens für ihn geschrieben wurden.

Patzer nahm noch zwei weitere Titel als Sänger auf, mit der Band, in die er 1969 von der Fred-Herfter-Combo kam: dem Dresden-Sextett. Dort spielte Patzer, der 1961 im Jugendclubhaus „Hanno Günther“ in Pirna mit der Club-Combo als Pianist erste Bühnenluft schnupperte, Altsaxofon und Flöte. Instrumente, zu denen er im Heinz-Martin-Quartett fand. Dort half er, wie auch im „Hanno“, zunächst am Klavier aus, weil der Pianist mit dem Motorrad verunglückt war. Patzers Bruder Peter, Mitglied im Clubrat, brachte Till mit Heinz zusammen, eine folgenschwere Begegnung.

Die Aushilfe führte dazu, dass der Chemiefacharbeiter zu einem neuen Beruf fand. Zunächst im Dresden-Sextett, einer dem Jazzrock, aber auch dem Blues und Soul zugewandten Formation, die sich 1971 mit einem größeren
Bläsersatz zum Dresden-Septett erweiterte. Aus diesem ging schließlich die Band hervor, mit der sich Patzer einen Platz im Olymp des Ostrocks sicherte: die Gruppe Lift.

Am 28. Januar 1973 stellte sich die neue Combo mit einer sehr eigenen Spielart der Beatmusik, wie es damals hieß, im Dresdner Hygienemuseum vor. Die jazzrockigen Elemente allerdings wichen bald einem Klangteppich, der von Keyboards, Synthesizern, Orgeln und Satzgesang geprägt war. Wolfgang Scheffler arrangierte seine Kompositionen zu hymnischen Kunststücken, die er aber gern um Soli auf Flöte oder Saxofon ergänzte, gespielt von Till Patzer. Der Pirnaer war Ende 1973 der Einzige, der vom Bläsersatz übriggeblieben war. Ein stiller Mann im Hintergrund, als musikalischer Farbtupfer, aber unerlässlich für die zeitlosen und sehr poetischen Lieder der Gruppe Lift aus den Siebzigerjahren. Zwei Langspielplatten und zahllose Konzerte lang schrieb die Band Rockgeschichte.

Das Ende kam jäh, auch wenn Lift danach weiterexistierte: Im November 1978 verunglückten der Bassgitarrist Gerhard Zachar sowie der Texter und Sänger Henry Pacholski auf der Rückfahrt eines Auftritts tödlich. Die Auflösung von Lift stand zur Debatte. Aus heutiger Sicht, meint Patzer, wäre das wohl auch konsequent gewesen. Der aus Freital stammende Werther Lohse aber, der 1974 als Schlagzeuger in die Band kam, übernahm den Part am Mikrofon, führte Lift in die Achtzigerjahre und hält die Gruppe bis heute am Leben. Freilich mit komplett neuer Mannschaft. Denn schon bald verließen ihn seine Gefährten, wegen musikalischer und persönlicher Differenzen, die zum Beispiel im Falle des Komponisten Scheffler bis heute nicht ausgeräumt sind. Als letztes Gründungsmitglied ging Till Patzer 1985 von Bord – und wurde von Lohse nie wieder angeheuert.

Am Sonnabend aber wird Patzer erstmals nach 29 Jahren erneut mit Lohse auf einer Bühne stehen, im Pirnaer Club Q 24. Eingeladen allerdings nicht vom Lift-Sänger, sondern von einem Mitglied der Dresdner Band Electra, dem aus Dippoldiswalde stammenden Keyboarder Andreas „Bruno“ Leuschner. Anlass ist die Veranstaltung „Geschichten vom Sachsendreier“, bei der einige Hauptakteure der unter diesem Etikett firmierenden Bands ein intimes Konzert geben. Neben Lohse und Leuschner sind das Stephan Trepte, der sowohl bei Lift als auch Electra sang, und der schwer erkrankte Reinhard Fißler von Stern Meißen, der mittels Videoeinspielung dabei ist.

Als der Termin stand, rief Leuschner seinen Freund Till Patzer an und meinte, dass er einen Titel ausgesucht habe, der „nach einer Flöte schreien“ würde. Patzer ließ sich überzeugen, und
Leuschner schickte ihm die Noten per Fax: „Einmal ich, einmal du, einmal er“. Für den 69-jährigen Patzer wird es eine Premiere: „Es ist das erste Mal, dass ich bei einem Electra-Titel mitspiele.“ Es wird wohl eine Ausnahme bleiben. Patzer, der viele Jahre in der Begleitband von Uwe Jensen spielte, ist jetzt in der Dresdner Mini-Bigband Jackpot und der Tanzkapelle Kurzhaarschnitt musikalisch beheimatet. Da schreckt der Vater von zwei Kindern und zweifache Großvater auch vor Schlagern nicht zurück. Da kommt schon mal ein Roland Kaiser zu Ehren, jedoch kein Till Patzer. Seine alten Nummern will der Pirnaer nicht mehr singen. Er bläst viel lieber sein französisches Altsaxofon, das er schon vor 44 Jahren hatte, als er noch „Sonnenklar“ in die Mikrofone schmalzte.

„Geschichten vom Sachsendreier“, 29. März, 20 Uhr, in der Kleinkunstbühne Q24 in Pirna, (03501) 506 800.