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Der Sound aus St. Petersburg

Der Posaunist Eugen Reiche hat über 40 Jahre in der Stadt an der Newa gewirkt. Geboren wurde er 1878 in Deuben.

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© Archiv: Hans Walther

Von Dorit Oehme

Freital. Ein Klassik-Sender schenkte ihn zurück. „Es war 2008, ich hörte seinen Namen im Radio und konnte es kaum fassen. Da wurde ein Stück angekündigt, das Eugen Reiche komponiert hatte“, erzählt Ursula Kaden. Schon so lange hatte sie im Internet nach ihrem Großonkel, dem Posaunisten aus St. Petersburg, gesucht.

Seit den 1920er-Jahren hatte die Großfamilie ihrer Mutter in Freital auf ein Zeichen von ihm gehofft. Nun ging plötzlich alles ganz schnell. „Über die Internationale Posaunenvereinigung erfuhr ich, dass seine Enkelin Tatjana Venetzianova ganz in meiner Nähe hier in Hamburg wohnt“, sagt die 74-Jährige.

Tatjana Venetzianova, eine studierte Theaterwisenschaftlerin, konnte sogar Fachmaterial besorgen. Heute gibt es einen fundierten Wikipedia-Eintrag zu Eugen Adolf Reiche. Er wurde noch vor der Gründung Freitals am 26. März 1878 im heutigen Stadtteil Deuben geboren. Mit acht Jahren erhielt er vom Vater den ersten Geigenunterricht. Angeregt von einem seiner Brüder, fing er auch auf der Klarinette an. Ursula Kaden sagt: „Das Musikalische lag in der ganzen Familie. Sein Bruder Oskar Reiche, der Vater unserer Mutter, war Tambourmajor der Spielmannsleute von Freital-Niederhäslich. Bei uns wurde auch Hausmusik gemacht. Meine Brüder Karl und Hans Walther spielten vierhändig auf dem Klavier.“

Hans Walther ist heute 80. Wie einen Schatz hütet er die Mappe, in der seine Schwester Karten und Briefe, Berichte von Zeitzeugen, Konzertprogramme, Rezensionen und Fotos von Eugen Reiche gesammelt hat. Walther, der in seinem Berufsleben die Schlosserei seines Vaters zu einem Metallbaubetrieb ausgebaut hat, sagt lachend: „Eugen Reiche hat es kurz mit einer Lehre im Holzgewerbe versucht, doch nach vier Wochen aufgegeben. Er musste einfach Musiker werden.“ Schon mit 18 beendete Reiche sein fünfjähriges Studium der Posaune und Musik am Königlichen Konservatorium in Dresden. Nach einer kurzen Phase im Sinfonieorchester Dortmund zog es ihn nach St. Petersburg. Der Vater war entsetzt, besorgte ihm aber doch den Pass.

Eugen Reiche wollte sich in der Stadt an der Newa weiterentwickeln. Von 1899 bis 1941 spielte Reiche als Solo-Posaunist im Orchester des weltberühmten Mariinsky-Theaters. Von 1933 bis 1942 war er Professor am Leningrader Konservatorium, dem heutigen Rimski-Korsakow-Konservatorium. Seine Methoden wurden geschätzt. Seine Schüler wirkten nach dem Studium in den besten Orchestern.

1942 musste Eugen Reiche wegen der Kriegsgeschehen und seiner deutschen Herkunft von Leningrad nach Usbekistan umsiedeln. Er starb 1946 in Taschkent. „Wir wollen die Erinnerung an ihn wachhalten“, betont Ursula Kaden. Hans Walther hat schon den Freitaler Klaus Geiger angesteckt, der die Evangelischen Posaunentage seit Jahren mit großem Engagement mit organisiert. „Mir war Eugen Reiche bisher unbekannt. Ich war überrascht“, sagt der 72-Jährige.

Ende Mai wird Geiger auf seiner Posaune beim Bläserfest in Leipzig spielen. Es ist ein Höhepunkt des 500-jährigen Reformationsjubiläums. Ganz sicher wird der Freitaler dort auch von dem besonderen Posaunisten erzählen.