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Der Sonnenkönig

Oliver Kreider kam mit der Wende von Hessen nach Sachsen. Er traf zur rechten Zeit die richtigen Leute. Das machte ihn reich – und zum streitbaren Besitzer der Friedensburg in Radebeul.

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© Arvid Müller

Radebeul. Nur eine Sandsteinmauer trennt die Objekte der materiellen Begierde: links der Swimmingpool, rechts das Traumauto. Ein dunkler Mercedes-Maybach, 400 000 Euro teuer. Das passt zu dieser Immobilie, der Friedensburg in Radebeul. Sie thront über dem Elbtal, als wolle der Eigentümer zu verstehen geben: Schaut her, ich bin hier der König. Eine neogotische Neureichenvilla mit Turm und Türmchen und Zinnen und Zierrat. „Ich bin unheimlich kreativ hier“, sagt Hausherr Oliver Kreider.

In der mit schwarzem Marmor gefliesten Diele grinst eine silbern glänzende meterlange Eidechsen-Skulptur. Ein mannshoher Spiegel mit vergoldetem Barockschnörkel hängt an einer Wand und fragt: Wer ist der Reichste im ganzen Radebeuler Land? Der 49-jährige Kreider wäre zumindest ein Kandidat.

„Ich bin Multimillionär“, sagt der Mann mit einer Selbstverständlichkeit, die nicht nach Scham klingt. Eher nach Stolz, vielleicht sogar Arroganz. Als „selbstständiger Kaufmann“ mischt Kreider in über 50 Firmen mit: als Geschäftsführer, als Gesellschafter, als Vorstand, als Aufsichtsrat. Die von ihm verwalteten Wohnungen und Gewerbebauten hätten einen Wert von rund 200 Millionen Euro, sagt er.

Wer in dem vom Sonnenlicht durchfluteten riesigen Wohnzimmer steht, der nimmt ihm das ab. Es duftet nach Reichtum, nach Erfolg, auch nach Dekadenz. Designerschalen mit überdimensionierten Kirschen und meterhohe Blumenvasen widmen sich dem Staubfangen. Spiegelt das Interieur der Friedensburg, in die der Millionär vor gut einem Jahr eingezogen ist, auch den Menschen Kreider? Der hat sich derweil in seine zwölfsitzige Couch fallen lassen. Auf dem schultafelgroßen Flachbildschirm über dem Kamin läuft tonlos NTV. Keine Kinder, keine Frau. Was nur fängt ein einziger Mensch mit 750 Quadratmetern Wohnfläche an? „Das ist ein optimaler Rückzugsort“, sagt Kreider. „Aber ich lasse das noch mal alles umbauen. Das soll wie in der Toskana werden.“

Dabei steht noch gar nicht fest, ob er das darf, das mit dem Umbau. Seit seiner Ankunft in Radebeul streitet sich Kreider mit der Stadt. Der Unternehmer will die Edelimmobilie, die er in einer Zwangsversteigerung erwarb, nur für sich. Die Stadt hingegen wünscht, dass ein Teil der Friedensburg wieder das wird, was er einmal war: ein Berggasthaus. Das lehnt Kreider ab, der Streit ist beim Oberverwaltungsgericht gelandet. „Ich will ein Urteil, keinen Vergleich“, sagt Kreider. Die Arbeit der Radebeuler Verwaltung bezeichnet er als „Bürokratie-Idiotie“, die ihm unentwegt eine illegale Nutzung des Gebäudes vorwerfe.

Den Draht zu den Einheimischen zu finden, das will Kreider nicht so recht gelingen. Sogar bei den Nachbarn nicht. Als er in einer lauen Augustnacht eine Party schmeißt, beschweren die sich bei der Polizei: wegen des nächtlichen Lärms, den mehr als 100 Gäste und eine Saxofon spielende Damenkapelle verursachen. Dass er solche Beschwerden spießig findet, sagt Kreider nicht. Er antwortet lieber mit Süffisanz: „Die haben doch schön geblasen, die Saxofonistinnen.“ Und teilt gleich noch einen Seitenhieb gegen die Stadt aus: „Was wäre denn los, wenn hier in einer Gaststätte regelmäßig Hochzeiten stattfänden?“

Zum Termin mit dem Maybach oder im Learjet

Sehr oft schaut Kreider aufs Smartphone, um eingehende Anrufe und Nachrichten zu verfolgen. Sein rechtes Bein wippt im Stakkato, sein Blick findet keinen fixen Punkt. Er sagt dann Sätze wie: „Zu wichtigen Terminen fahre ich mit dem Maybach oder miete mir einen Learjet.“ Abrupt wechselt diese Fahrigkeit fast in Melancholie, wenn er aus seinem Leben erzählt. Mit glasig werdenden Augen erinnert sich Kreider, wie es ihn als Vorschulkind nach Caracas verschlug, weil sein Vater dort eine Industrieanlage aufbaute. Wie er sein erstes Geld verdiente, „mit zwölf bei der Weinlese, fünf Mark die Stunde“. Wie er als Jugendlicher „schon ganz ordentlich was verdiente“ mit dem Reinigen von Spielautomaten. Wie er diesen Verdienst dann in den Kauf von billigen Jogging-Anzügen steckte, um die dann wieder „mit ordentlichem Gewinn“ an den Mann zu bringen. Das Abitur ließ er sausen, er machte eine Schlosserlehre.

„Clever war der Oliver schon immer“, sagt Kreiders 92 Jahre alte Großmutter am Telefon. Sie wohnt im hessischen Bürstadt, zwischen Rhein und Odenwald gelegen. Dort ist Kreider immer noch offiziell gemeldet. Nur gut 20 Kilometer entfernt, in Viernheim, lebt Kreiders Mutter. Sie ist nicht zu sprechen, aber ihr Nachbar Wolfgang Scherf. Er sagt, den Sohn sehe er nicht oft. „Der kommt mit seinem Maybach vielleicht ein- oder zweimal im Jahr.“ Was er nicht so recht verstehe. Am Briefkasten der Mutter stünden „doch mindestens zwanzig Firmennamen“. Da müsse sich doch jemand drum kümmern.

Ein solches Konglomerat ist in der Immobilienbranche nicht unüblich. Oft werden für jedes Bauprojekt eigene Gesellschaften gegründet, etwa um Haftungsrisiken zu minimieren oder Steuern zu sparen. Dass in der Viernheimer Friedrich-Ebert-Straße so viele Firmennamen zu finden sind, hängt mit Kreiders Erfolgen im Osten zusammen. Mit seinem Instinkt fürs Geldmachen traf er stets die richtigen Partner zur rechten Zeit am richtigen Ort.

Reifenpanne stand am Anfang

Mit einer Reifenpanne im Oktober 1989 nahe Chemnitz habe alles angefangen, erzählt er. „Die offen-naive Art der Leute da faszinierte mich.“ Er mietet einen Bungalow, lernt den längst verstorbenen Präsidenten des heutigen Chemnitzer FC kennen, Heinz Friedrich. „Der brauchte Autos für seine Spieler. Die hab’ ich ihm besorgt, und so kam ich mit nur 23 Jahren rein ins Eldorado der Wendejahre.“ Friedrich habe ihm Kontakte zur Wismut vermittelt, „so konnte ich auf einem ihrer Areale den ersten privaten Automarkt Sachsens etablieren“. Sein Bungalow sei rasch zum Treffpunkt für „Glücksritter“ geworden. Eine Zeit lang hätten sie zu elft dort gelebt. „Das war lustig, die tollste Zeit, die ich je hatte.“

Einer der Mitbewohner habe sein Geld mit Glückspielautomaten verdient. „Für den habe ich dann das Ostgeschäft gemacht.“ Schließlich habe er eine eigene Firma gegründet, mit zum Schluss Hunderten Spielautomaten in 300 Gaststätten und sieben Spielhallen. „Die Geldmünzen habe ich damals in Zinkeimer gefüllt und im Kofferraum meines Autos zur Deutschen Bank gefahren.“ Alles in allem, behauptet Kreider, habe er zu jener Zeit 250 000 Mark im Monat verdient.

1992 verkauft er die Spielautomatenfirma. „So kam ich an mein erstes richtig großes Geld.“ Das fließt unter anderem in eine Jugendstil-Villa im Chemnitzer Gründerzeitviertel Kaßberg. „Ich habe ein Gefühl für Häuser, das ist einfach so.“ Kreider sieht sich um, wittert ein großes Geschäft mit leer stehenden denkmalgeschützten Immobilien. Dank der Fußball- und Wismut-Kontakte spürt er im Chemnitzer Grundbuchamt die Alt-Eigentümer auf. Diese Unterlagen seien für ihn „goldene Bücher“ gewesen, sagt er. Kreider erwirbt Rückübertragungsansprüche, hat rasch etwa 400 lukrative Häuser beisammen. Als Steuersparmodell verkauft er sie weiter. „Stellen Sie sich vor, ich bin Ferrari gefahren damals. Und das in Chemnitz!“ Über Jahre hinweg sei er für ansehnliche Villen und Stadthäuser die erste Lieferadresse gewesen. Zu seinen Kunden zählte auch die Volksbank Mittweida. Ihr langjähriger Chef Albrecht Ruchser schwärmt bis heute: „Kreider ist zuverlässig, ehrlich, offen, kompetent.“ Dass das Geldhaus später mit hohen Wertverlusten im Immobilienportfolio zu kämpfen hatte, davon erzählt der mittlerweile pensionierte Banker lieber nichts.

Richtigen Kontakt zur rechten Zeit

Der Bürgermeister von Hartmannsdorf, Uwe Weinert, nur wenige Autominuten von Chemnitz entfernt, hält sich mit Lob für Kreider zurück, stellt aber immerhin fest, dessen Villa und Firmensitz sei im Ort ein „Schmuckstück“. Leute, die drinnen waren, berichten von Perserteppichen, Blattgold und Antiquitäten.

Kreider expandiert, er erwirbt das monumentale „Kulturhaus der Bergarbeiter“ in Chemnitz-Rabenstein. Seine neue Masche sind nun Insolvenzimmobilien. Wieder lernt er den richtigen Mann zur rechten Zeit kennen: Elizer Fishman, einen der reichsten Männer Israels. Der gibt ihm einen Auftrag: „You bring the deal, I bring the money.“ Du bringst das Geschäft, ich bringe das Geld. Kreider liefert: 1 200 Wohnungen von der angeschlagenen Westdeutschen Hypothekenbank, 1 000 Wohnungen am Leutewitzer Ring in Dresden, fast 700 Wohnungen in Magdeburg. Billig kaufen, teuer weiterverkaufen. Million für Million bleibt bei Kreider hängen, noch mehr Geld fließt gen Israel.

Sein privates Glück aber bleibt auf der Strecke. Seine Frau verlässt ihn 2009. Kreider behauptet, sie sei einer Art Sekte anheimgefallen. Einer Organisation, zu deren Protagonisten er auch die Dresdner Starfriseure Brockmann & Knödler zählt. Als der Fall im vorigen Jahr durch die Gazetten geisterte, trat der Immobilienunternehmer als weinender Hauptbelastungszeuge für den Sektenbeauftragten der evangelischen Landeskirche vor die Presse.

„Radebeuler wollen mich nicht“

Zum Heulen findet Kreider bis heute einen weiteren Fall, mit dem er in die Schlagzeilen geraten war: Eine von ihm und seinen israelischen Geldgebern gehaltene Gesellschaft verhandelte mit dem Freistaat Sachsen, als es um die Suche nach einem Grundstück für den Neubau der Justizvollzugsanstalt in Zwickau ging. „Da habe ich Vertragsfehler gemacht, aber die Gegenseite war auch recht unverschämt mit dem Preisangebot“, sagt er. Die Landesregierung entschied sich für ein anderes Grundstück.

Der nächste Clou folgt im Oktober 2014. Via Bild-Zeitung lässt Kreider mitteilen, er werde einen niederländischen Pharmakonzern nach Radebeul holen. Dieser habe eine unschlagbare Messtechnik zur Medikamentendosierung bei Depressionen entwickelt; 500 Jobs würden entstehen. Ein Jahr später ist von den Niederländern keine Rede mehr. Kreider begründet das nun mit „rechtlichen Unwägbarkeiten“. Er hat eine eigene Firma aus der Taufe gehoben: Mit der NC Logics AG will er im Prinzip das Gleiche erreichen wie zuvor mit den Holländern. „Bis zu 2 000 Kliniken wollen wir ausrüsten. Wenn es funktioniert, wird das ein Millionengeschäft.“ Im Aufsichtsrat der Firma sitzen ein Steuerberater und zwei Mitarbeiterinnen seiner Hausverwaltung.

500 Jobs sollen es trotzdem noch werden, aber nicht mehr in Radebeul. „Die wollen mich hier ja nicht“, sagt er. Sein neues Steckenpferd soll in Gera unterkommen. „Die Stadt hat mir ein Gebäude angeboten, das nehme ich“, sagt Kreider. Und er hat für sein neues Projekt vermutlich wieder den richtigen Mann zur rechten Zeit getroffen: Maximilian Strauß, Sohn des legendären Ex-Ministerpräsidenten von Bayern. Der fungiert jetzt als Vertriebschef für die NC Logics AG. Strauß’ Name steht bereits am Briefkasten der Friedensburg.

Privat will Kreider dort wohnen bleiben. „Ich habe mich verliebt in dieses Ensemble“, sagt er. Da ist es wieder, dieses Widersprüchliche und Sprunghafte. Zwei Stunden vor diesem Satz hatte er als Prämisse für den Erfolg im Immobiliengeschäft noch formuliert: „Man darf sich nie in ein Haus verlieben. Das geht schief, wie bei einer Frau.“ Und ewig grüßt die silberfarbene Eidechse.