Merken

Der Simulant

René Rast fährt online durchs Wohnzimmer. Das bringt dem DTM-Debütanten erst den Titel und dann viele Pflichten.

Teilen
Folgen
© action press

Von Maik Schwert

Er hat sein Ziel erreicht. Jahrelang träumte René Rast von der Deutschen Tourenwagen-Meisterschaft. Seit 2010 durfte er es viermal probieren. Jedes Mal konnte er sein Potenzial an diesem einen Tag nicht abrufen. „Ich habe die Bosse nicht so überzeugt“, sagt er. Doch die Chefs behielten ihn im Auge und seine Handynummer in Reichweite.

In der Zwischenzeit fuhr Rast mehrfach die 24 Stunden von Le Mans und in der Formel E, gewann die 24 Stunden von Daytona, auf dem Nürburgring und in Spa-Francorchamps, siegte in diversen Markenpokalen, beispielsweise mehrmals bei Porsche-Cups, und im ADAC-GT-Masters.

An einem Sonnabend im Juli 2016 – seine Freundin Diana Radeke feierte gerade ihren 30. Geburtstag – bekam er den Telefonanruf, der sein Leben als Rennfahrer veränderte. Er sollte den verletzten Adrien Tambay am DTM-Sonntag in Zandvoort ersetzen. Das machte Rast so gut, dass er zum Saisonfinale in Hockenheim Mattias Ekström vertrat, der das Rallycross-WM-Finale vorzog. Dank dieser beiden Einsätze löste Rast die Eintrittskarte in die „beste Tourenwagenserie der Welt“ für 2017.

„Ich habe immer gehofft, den Schritt in die DTM zu machen. Als es dann so weit war, kam es auch für mich überraschend.“ Es lief sogar noch besser als erwartet. „Ich hätte nie daran geglaubt, in meiner ersten DTM-Saison den Titel zu gewinnen.“ Das gelang zuletzt 1993 dem Italiener Nicola Larini. „Ich bin als Fahrer gereift, war damals noch nicht auf dem Level, auf dem ich jetzt bin, aber besser spät als nie.“

Anschließend folgten viele Termine und wenig Schlaf. Er nahm zahlreiche Preise entgegen. Der wichtigste: ADAC-Motorsportler des Jahres. „Darüber freue ich mich am meisten, weil es eine Riesenehre ist, in einer Reihe mit diesen großen Namen zu stehen.“ Nico Rosberg war sein Vorgänger. Auch die anderen ehemaligen Formel-1-Weltmeister, Michael Schumacher und Sebastian Vettel, gehören dazu.

Der Pokal muss leiden

„Ich war an fünf von sieben Tagen bei öffentlichen Auftritten unterwegs.“ Es ist die Kehrseite des Erfolges. „Diese Nachteile nehme ich gern in Kauf. Ich bin lieber Meister mit diesem Stress als ohne Titel und solche Termine.“ Er überstand bisher alles unbeschadet – anders als sein Pokal. „Er war ein bisschen lädiert. Wir mussten ihn an einer Stelle kleben. Zum Glück gehört der Pokal mir.“ Rast will noch einige Jahre in der DTM fahren und rast auch 2018 mit Audi durch die Serie, die im Mai anfängt. Bis dahin hält er sich neben Laufen und Radfahren besonders mental fit, in erster Linie am Rennsimulator. Rast gilt als Online-Racer, verbringt viel Zeit in der virtuellen Welt und nutzt sie bereits seit Beginn seiner Karriere, um seine Fähigkeiten zu verbessern. Er probt an dem Gerät mit DTM-Original-Lenkrad alle Strecken, etwa im britischen Brands Hatch, das sein Comeback feiert, und im italienischen Misano, das sein Debüt gibt – beides im August. „Das hilft mir gewaltig. Anderen Fahrern bringt es nichts. Zu mir passt das sehr gut. Es gehört einfach dazu, um mich optimal auf jedes Rennen vorzubereiten.“ Faktoren wie Boxenstopps, Reifenverschleiß und Wetter kann Rast so natürlich nicht testen.

Dennoch bleibt der Rennsimulator für ihn ein wichtiges Instrument, da die DTM ihre Probefahrten vor allem aus finanziellen Gründen inzwischen auf je vier Tage im Februar, März und April begrenzt – anders als bei der Serie, in der er für Mazda fährt. Rast testete unter anderem im November, Dezember und Januar für die 24 Stunden von Daytona, mit denen er am vergangenen Wochenende ins Jahr startete.

Am nächsten Wochenende feiert Rast sein Debüt beim Race of Champions in der saudi-arabischen Hauptstadt Riad. „Das ist eine neue Herausforderung, auf die ich mich sehr freue.“ Danach geht es in den USA mit Probefahrten weiter. Mitte März folgen die zwölf Stunden von Sebring, bevor am ersten Mai-Wochenende in Hockenheim die DTM losgeht. Zwei Wochen danach gastiert sie auf dem Lausitzring – da, wo Rast 2017 als Dritter seinen ersten Podestplatz feierte. Auch während der Saison fährt er weiter Rennen in den USA. „Ich gehe da entspannt ran, mache mir keinen Druck, habe in beiden Serien ein gutes Auto und ein gutes Team.“ Rast wirkt abgeklärt und bodenständig. „Ich bin ein Familienmensch ohne besondere Hobbys und habe keine Glücksbringer oder Rituale.“

Seine Freundin gönnt ihm die Rennen am Simulator und kümmert sich in der Zeit um Liam James, den am 28. Oktober 2016 geborenen Sohn, der beider Leben veränderte. „Sie hält mir den Rücken frei, motiviert mich, wenn es mal nicht so gut funktioniert und bringt mich nach einem miesen Wochenende auf andere Gedanken.“ Doch Rasts größter Fan ist sein Vater. „Er hat ein besonderes Zimmer bei sich daheim mit Leinwand und Pokalen. Da sitzt mein Vater dann, wenn er mal nicht an der Strecke steht, verfolgt die Rennen, notiert Rundenzeiten und schreibt alles mit.“