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Der Sherlock Holmes von Dresden

Lutz Peschel war der erste Privatdetektiv der DDR. Spannend ist sein Job bis heute. Aber leichter ist er nicht geworden.

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© Sven Ellger

Von Jana Mundus

Sherlock Holmes hängt am Haken. Zumindest ein Teil des berühmten englischen Ermittlers. Am Garderobenständer im Besprechungsraum baumelt die karierte Mütze mit zusammengebundenen Ohrenklappen. Typisches Erkennungszeichen der weltbekannten Romanfigur. Lutz Peschel brachte sie sich als Souvenir aus dem Londoner Museum mit, das Sherlock Holmes gewidmet ist. Mit ihm verbindet den Dresdner vor allem eine Sache: Beide sind Detektive. Doch während Holmes seine Abenteuer nur im Buch erlebt, ermittelt Peschel seit über 25 Jahren in der Wirklichkeit. Als er anfing, war er der erste Privatdetektiv der DDR. Seitdem sind die Ermittlungen schwieriger geworden.

Als Kind hat Lutz Peschel nicht nur einen Traumberuf, er hat drei. „Wir wohnten in Radeberg“, erzählt er. „Meine Großeltern hatten dort auch eine Weide.“ Die Landwirtschaft, die Natur – das begeistert ihn. Förster will er werden oder Jäger. Doch am Ende setzen sich wohl die Gene des Vaters durch. Der ist Polizist. 1981 beginnt Lutz Peschel sein Studium der Kriminalistik an der Humboldt-Universität in Berlin. Er lernt, wie Untersuchungen zu führen sind, wie sich auch knifflige Fälle lösen lassen. Nach dem Studium fängt er 1985 noch unter Markus Wolf beim Auslandsnachrichtendienst der DDR an, der zum Ministerium für Staatssicherheit gehörte. Dass dieses Kapitel zu seinem Leben dazugehört, verheimlicht er nicht. „Heute habe ich auf die Sache natürlich einen anderen, einen kritischeren Blick. Aber mit Anfang 20 war das Thema Ausland einfach spannend“, erinnert sich der heute 57-Jährige. Vier Jahre lang wird er für die Arbeit im Ausland vorbereitet. Doch dazu kommt es nie. Als im Herbst 1989 das politische System um ihn herum zu bröckeln beginnt, sieht er seine Chance für einen neuen Weg gekommen. „Ich bin einfach nicht mehr zum Dienst erschienen.“ Privatdetektiv will er stattdessen werden. Also beantragt Lutz Peschel wenig später in Dresden eine Gewerbeerlaubnis als Detektiv.

Im zweiten Leben Gastwirt

Doch so etwas ist in der damaligen Gewerbeordnung gar nicht vorgesehen. Er muss mehrere Gutachten vorlegen, die bestätigen, dass es sich dabei wirklich um einen ausübbaren Beruf handelt. Letztlich bekommt er die notwendigen Stempel und darf Ende 1989 loslegen – als erster Privatdetektiv der DDR. „Erst ein Jahr später habe ich herausgefunden, dass die Sache doch illegal war“, sagt er und muss lachen. Was selbst die Experten nicht wussten: Schon 1945 hatte die sowjetische Militäradministration Privatermittler im gesamten Ostsektor verboten. Das wurde erst durch den Einigungsvertrag aufgehoben.

Nach der Wiedervereinigung sind neue Dienstherren auf der Suche nach Mitarbeitern. Der Bundesnachrichtendienst und auch der Verfassungsschutz wollen ihn anwerben. Keine Chance. „Ich wollte nur noch das tun, was ich für richtig empfinde und niemandem mehr unterstellt sein.“ Er inseriert in der Zeitung, auf der Suche nach Kunden. 1990 macht einer seiner ersten Fälle Furore. Eine Frau aus dem Erzgebirge suchte jahrelang vergeblich nach ihrer Zwillingsschwester. Beide waren frühzeitig ins Heim gekommen und adoptiert worden. Innerhalb eines Tages findet er die lang verschollene Verwandte. Der Clou: Die Schwestern lebten nur gut sechs Kilometer voneinander entfernt. „Und waren sich bis dato nie begegnet.“ Die Zeitung berichtet über den Fall. Gute Werbung.

Die Auftragslage ist Anfang der 1990er-Jahre gut. Oft geht es um Rückübertragungen an jüdische Erben. Aber auch untreue Ehemänner oder unliebsame Nachbarn sollen im Kundenauftrag beschattet werden. Bis 1996 arbeitet Peschel mit zwei Kollegen zusammen. Dann trennen sich ihre Wege. Streit gibt es deswegen nicht. Zu intim sind ihm in manchen Fällen die Einblicke in zwischenmenschliche Beziehungen. „Ich wollte lieber auf dem Gebiet der Wirtschaftskriminalität ermitteln.“

Die meisten seiner Akten sind voll von solchen Delikten. Geschichten von Mitarbeitern, die ihren Arbeitgebern Ideen klauten, um sie selbst auf den Markt zu bringen. Produkte aus Fernost, die Patentrechte verletzen. Industriespionage im großen und kleinen Stil. Er liefert mit seiner Firma Alldek Saxonia Firmen und Anwälten Informationen. Immer auf der Suche nach der Wahrheit. Für seine Ermittlungen sitzt Lutz Peschel nicht mehr stundenlang im Auto und beobachtet Leute. „Das kommt vor, aber wichtige Hinweise bekomme ich heute von Computerspezialisten.“ Wer Böses im Sinn hat, agiert im Internet. Hier lassen sich Spuren nur schwer verwischen. Durch seine Mitgliedschaft im deutschen und internationalen Berufsverband kann er auf die Hilfe der Kollegen weltweit setzen. Die sind gut vernetzt. Trotzdem scheitert er manchmal, muss er eine Akte ohne Ergebnis schließen. Nur drei Prozent seiner Fälle kann er nicht lösen. „Das wurmt mich trotzdem.“ Manche Täter seien hochprofessionell. In Zukunft dürfte es noch schwieriger werden. Die neuen technischen Möglichkeiten eröffnen auch Bösewichten Chancen.

Wenn Lutz Peschel von ihrem Vater entführte Kinder in Dubai befreit, dann ist das Aufregung pur. Wenn er wieder zu Hause ist, mag er es ruhiger. Krimis im Fernsehen? „Das ist nichts für mich.“ Auch wenn sich seine Frau und die beiden Kinder daheim in Coschütz darüber wundern. Vor ein paar Jahren entdeckte er bei Sayda ein altes Bauernhaus, kaufte und sanierte es. So findet die Naturverbundenheit aus Kinderzeiten doch noch ein Ventil. Heute ist das „Kleine Vorwerk“ Sachsens erster Vier-Sterne-Gasthof. Wieder eine Premiere.