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Der Schmarotzerschützer

Der Parasitologe Andreas Weck-Heimann bietet Blutegeln seine Wade und Neugierigen sein Wissen an.

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© René Meinig

Von Nadja Laske

Wenn Andreas Weck-Heimann es ganz genau wissen will, muss er sich opfern. Dann krempelt er die Hosenbeine hoch und steigt in einen Tümpel. Nicht schön, aber nützlich wäre, wenn er bald Besuch bekäme – von sehr anhänglichen Gästen. Die kriechen ihm die Waden hinauf und kommen, um zu bleiben. Zumindest so lange, bis sie satt sind.

Andreas Weck-Heimann erforscht Blutegel. Medizinische Blutegel, wie sie genannt werden, weil sie seit Jahrhunderten Leiden kurieren helfen. Zum Beispiel Rücken- und Gelenkschmerzen oder Migräne. „Ich kenne einen Arzt, der sie bei Hauttransplantationen einsetzt. Sie fördern die Durchblutung des Gewebes“, sagt der Parasitologe. Um optimal Blut saugen zu können, geben Blutegel schmerzstillende und blutverdünnende Sekrete ab. Die macht sich die Naturmedizin zunutze.

Im Internet kostet ein Medizinischer Egel 5,95 Euro. Je mehr, desto billiger. Für Bestellungen von mindestens zehn Stück gibt's einen „Reserveegel“ dazu. Auch in Apotheken kann man die Blutsauger bestellen. Sie alle kommen vom Züchter. „Früher wurden Blutegel in der freien Natur eingesammelt“, sagt Weck-Heimann. Die Zeiten sind vorbei. Nicht mal er als Experte hat verlässlich Glück. Gut möglich, dass er eine Stunde im Gewässer watet und kein einziger Egel dockt an seinen Beinen an. Urbanisierung und Landwirtschaft trocknen Teiche und Tümpel aus. „Wenn es auf Feldern noch welche gibt, sind sie oft mit Düngemitteln belastet“, sagt der Wissenschaftler. Blutegel aber brauchen sauberes Wasser und Amphibien, von denen sie in der Regel leben.

Geht Andreas Weck-Heimann auf die Pirsch, muss er oft lange suchen. Zu seinen Aufgaben gehört es, zu überwachen, wie sich die Egel-Population entwickelt. Blutegel gelten zwar noch nicht als vom Aussterben bedroht, sind aber gefährdet. Sie stehen in Sachsen unter besonderer Beobachtung. Weil Weck-Heimann jedoch nicht jeden Stein umdrehen kann und trotzdem wissen muss, in welchen Gewässern noch Medizinische Blutegel leben, haben er und Kollegen der Senckenberg Forschung Dresden eine neue Methode entwickelt. Sie können nun die DNA des Hirudo medicinalis, wie er auf Latein heißt, extrahieren und in Gewässern nachweisen. Wie viele Exemplare es sind, lässt sich so jedoch nicht analysieren.

„Wir haben außerdem einen Aufruf gestartet und bitten Artenbestimmer um Unterstützung“, sagt der Forscher. Über eine Registrierung im Internet können Interessenten bei der sogenannten Bio-Inventur helfen. Ziel ist es, bundesweit so viele Tier- und Pflanzenarten wie möglich zu sammeln und ihre DNA in einer Datenbank zu hinterlegen. Denn der Mensch kann nur die Arten schützen, von denen er weiß, wo sie zu finden sind und wo sie schwinden.

Aus seiner Tasche holt Andreas Weck-Heimann ein Glas. Vielleicht schwammen einst saure Gurken darin. Jetzt ringelt sich ein Blutegel in klarem Wasser. „Der ist noch recht klein, etwa fünf bis acht Zentimeter, je nachdem wie lang er sich streckt.“ Bis zu zehnmal so dick kann er werden, wenn er sich richtig satt trinkt. Etwa zehn Milliliter Blut eines warmblütigen Tieres reichen ihm als Mahlzeit für ein bis zwei Jahre.

Ähnlich genügsam sind Zecken. Auch mit ihnen kennt sich der Biologe aus. Einst studierte er in Bonn und kam nach Dresden, als die Biologie 1994 für Forschung und Lehre an der TU wiederbelebt wurde. Zu DDR-Zeiten hatte es dort kein Institut mehr gegeben. Anfang der 2000er-Jahre wechselt Weck-Heimann zu den Naturhistorischen Sammlungen, heute Senckenberg Sammlungen.

Parasiten sind sein weites Feld. All jene krabbelnden, stechenden, saugenden Tiere, vor denen sich die meisten Menschen ekeln und fürchten. Die Angst kann Andreas Weck-Heimann nicht jedem nehmen. Aber aufklären kann er. Das tut er aktuell in einer Vortragsreihe im Casablanca. „Blutegel, ein Nutztier“ heißt es dort am Donnerstag, und eine Woche später „Keine Angst vor Läusen, Flöhen, Milben“. Stechmücken, Würmer im Biotop Mensch, Bettwanzen – die ganze Welt der tierischen Schmarotzer, die nicht immer nur nehmen, sondern mitunter auch geben.

Andreas Weck-Heimann liebt sie nicht. Aber sie faszinieren ihn: „Ich kann immer wieder extrem über sie staunen.“

„Die wunderbare Welt der Parasitologie“, nächste Vorträge am 2. Juni, 7. Juli, 11. August, 8. September und 20. Oktober, jeweils 20 Uhr, Casablanca, Friedensstraße 23, Eintritt 2 Euro. Informationen für Artensammler gibt’s im Internet unter www.bolgermany.de