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Der Schlesische Adler auf dem Weg ins Morgen

Das Schlesische Museum zu Görlitz wird zehn Jahre alt und will moderner und polnischer werden.

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© Wolfgang Wittchen

Von Irmela Hennig

Der Adler wird ausfliegen. In Kürze verlässt er seinen Käfig aus Glas. Wird die Reise antreten – 175 Kilometer nach Osten ziehen. Von Görlitz nach Wroc³aw, einst Breslau. Dort soll der Breslauer Schützenadler von 1685 Teil des größten Kulturereignisses werden, das Polen dieses Jahr zu bieten hat. Er wird ausgestellt im Rahmen des Kulturhauptstadtjahres. Und so kehrt er für einige Monate in seine Heimat zurück. Denn als Wanderpokal, gefertigt aus Silber und überzogen mit Gold, nahm er beim jährlich neu gekrönten Breslauer Schützenkönig Quartier. Heute steht er im Schlesischen Museum zu Görlitz.

Diesen Wanderpokal der Breslauer Schützen in Form eines Adlers zeigt das Schlesische Museum zu Görlitz – für Museumsleiter Markus Bauer ist er ein ganz bedeutendes Exponat zur schlesischen Geschichte, die das Haus seit zehn Jahren zeigt. 2016 ist der Adle
Diesen Wanderpokal der Breslauer Schützen in Form eines Adlers zeigt das Schlesische Museum zu Görlitz – für Museumsleiter Markus Bauer ist er ein ganz bedeutendes Exponat zur schlesischen Geschichte, die das Haus seit zehn Jahren zeigt. 2016 ist der Adle © Wolfgang Wittchen

Das ist jenes Haus, das seit Jahren die Erinnerungen und Erinnerungsstücke an jenes Schlesien bewahrt, das vielen Menschen nach 1945 als Heimat verloren gegangen ist. 1996 – also vor 20 Jahren – wurde eine Stiftung als Träger für das Schlesische Museum gegründet. Ab 2001 diente eine Interimslösung als Ausstellungsort. 2006 wurde der Schönhof am Untermarkt als Museum eröffnet. Dort fanden Dinge ihren Platz, die Stück für Stück schlesische Geschichte erzählen. So wie das Altarkreuz aus der Friedenskirche von Glogau, heute Glogów. Zweimal brannte das Gotteshaus nieder – zuletzt 1945. Zweimal wurde nur dieses Kreuz gerettet.

Knapp 71 Jahre ist es her, dass der Osten des früheren Deutschlands nach dem selbst verursachten und verlorenen Zweiten Weltkrieg an Polen fiel. Damit setzten Flucht und Vertreibung ein. Allein aus Breslau mussten rund 100 000 Menschen fort. Sie nahmen mit, was sie irgend transportieren konnten. Die vertriebenen und geflohenen Schlesier waren lange die wichtigste Zielgruppe des Görlitzer Museums. „Sie waren bei der Gründung im Boot. Und sie werden deutlich weniger“, sagt Museumsleiter Markus Bauer. Das war abzusehen. Allerdings gehen dem Haus so wichtige Sachkundige verloren. Aus einem Adressverzeichnis mit solchen Auskunftgebern zu Themen wie schlesische Münzen, Medaillen oder auch Bunzlauer Keramik musste der Museumschef die meisten Namen streichen. Die Menschen sind verstorben.

Indes gelinge es, neue Besucher zu gewinnen. Auch Polen sind darunter. Unter den 25 000 Besuchern jährlich kommen heute sieben bis acht Prozent aus dem Nachbarland. „Ein Grund ist sicher, dass bei uns konsequent auch polnisch gesprochen wird“, so Markus Bauer. Die Exponate sind zweisprachig beschriftet. Viele Publikationen erscheinen auch in Polnisch. Fachleute aus dem Nachbarland halten selbstverständlich Vorträge. Und Führungen in polnischer Sprache sind natürlich möglich. Das nutzen unter anderem Schulklassen aus Zgorzelec.

Die deutschen Namen verschwinden

Zehn Jahre Schlesisches Museum im Schönhof – da wandeln sich Aufgaben. Bei einer Tagung im vergangenen November waren sich Mitarbeiter, Förderer und Fachleute einig, dass sich das Haus mehr der polnischen Gegenwart widmen wird. In Sonderveranstaltungen und Ausstellungen passiert das schon. Nun soll die Dauerausstellung ergänzt werden. Nicht so sehr um Objekte. Dafür fehlt der Platz. Es ist eher eine mediale Darstellung der Zeit nach 1945 angedacht, die immer wieder ergänzt werden kann. „Wir wollen die polnische Realität in den Blick nehmen“, erklärt Markus Bauer. Das Interesse daran sei auf deutscher Seite inzwischen gewachsen. Heute ist das Museum auch eine Art Einführungsort für Schlesienreisende geworden. Hier holen sich die Interessierten Informationen und oft auch Ortskenntnis. „Der Mythos Schlesien ist vielen bekannt, aber Fakten fehlen“, weiß Markus Bauer. Das beginne schon bei den früheren Bezeichnungen der Städte und Dörfer, da nehme die Kenntnis ab. „Auf lange Sicht werden die meisten deutschen Namen verschwinden“, vermutet darum der Historiker, der heute durch ein denkmalgeschütztes Schmuckstück führen kann.

Das war Ende der 1990er/Anfang der 2000er Jahre nicht so. „Der Schönhof war in einem fürchterlichen Zustand“, erinnert sich Bauer. Eine Zeit lang wurde er als Jugendherberge genutzt, stand dann aber für zehn Jahre leer. Das Dach war beschädigt, die Mauern feucht, die Balken durchgefault. „Er galt als schlimmster Schandfleck in der Altstadt.“ Eine Untersuchung zeigte aber, dass das Gebäude gerettet werden kann. Und es wurde gerettet. Mit Mitteln des Bundes und des Freistaates Sachsen.

Die anfängliche Kritik am Haus – den einen war man in der Darstellung nicht deutsch, den anderen nicht polnisch genug – ist fast völlig verstummt. Mit der Landsmannschaft Schlesien arbeite man sehr gut zusammen, ebenso mit Museen und anderen Einrichtungen in Polen. Dort sei das Museum sehr präsent. Auch über den Adler hinaus im Kulturhauptstadtjahr: Im Stadtmuseum Wroc³aw wird es eine Ausstellung über jüdische Künstler Breslaus aus den 1920er und 1930er Jahren zeigen. Das Interesse an einer Zusammenarbeit mit dem Schlesischen Museum sei bei polnischen Einrichtungen groß. „Alle Anfragen können wir gar nicht bewältigen“, so Bauer.

Für den Standort Görlitz sucht das Museum nach kleineren Formen der Präsentation besonderer Themen. Sonderausstellungen beanspruchen viel Kraft, Zeit und Geld. Sie werden aber – verglichen mit dem Aufwand – oft nicht genug wahrgenommen und gewürdigt. Gearbeitet wird nun an Möglichkeiten, um aus dem Museum eine Art Kulturforum zu machen mit einem breiten Angebot. Das gibt es teilweise schon – mit Exkursionen, Vorträgen und Angeboten wie dem Schlesischen Kaffeeklatsch. Mit Letzterem geht das Museum auch in Altenheime. Eine erste Führung in einfacher Sprache – also mit Verzicht auf Fachbegriffe und Zahlenkolonnen – sei super angekommen. Der Internetauftritt soll modernisiert werden. Allerdings betont Markus Bauer: „Das Web ist kein Ersatz für einen Museumsbesuch. Hier finden die Menschen die Originale.“

Gefördert wird das Haus jährlich und verbindlich, um Ausgaben zu decken. Doch das Geld reiche nie. Kosten für Personal, Energie, Aufsicht wachsen. Immer öfter fallen Reparaturen an – anfangs sei ja noch alles neu gewesen. Geld aus anderen Töpfen wird wichtiger. Die Zahl der Schenkungen ist indes mächtig angestiegen. Schlesier und Sammler geben ihre Habe an das Museum ab, weil es auf Dauer gegründet sei, einen wissenschaftlichen Ansatz habe. Und so wächst die Zahl der Objekte. Markus Bauer denkt nun darüber nach, Sammler und Sammlungen als Komplex vorzustellen. Mit Porzellan, Silber, Hinterglasmalerei und anderen Dingen eine Art begehbares Magazin zu schaffen.

Über allen Plänen wird 2016 aber der zehnte Geburtstag des Schönhof-Museums gefeiert. Und zwar am 16. April – dann gibt es ein Museumsfest.