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Der Schatz von Pesterwitz

In einem verfallenen Gasthaus scheint die Zeit stehengeblieben zu sein. Für die Immobilie gibt es aber neue Ideen.

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© Andreas Weihs

Von Eberhard Kammer und Steffen Klameth

Pesterwitz. Ein Schandfleck, sagen die einen. Ein Schatz, meinen die anderen. Fakt ist: Um kein anderes Haus in Pesterwitz ranken sich so viele Rätsel wie um den Müller’schen Gasthof. Und das liegt vor allem daran, dass dessen Türen bereits fast ein halbes Jahrhundert geschlossen sind – und nur noch die wenigsten wissen, wie es dahinter aussieht.

Der frühere Verkaufs- und Schankraum, in dem auch Paul Müller seinen Kunden bediente. Sein Porträt hängt als Bild an der Wand.
Der frühere Verkaufs- und Schankraum, in dem auch Paul Müller seinen Kunden bediente. Sein Porträt hängt als Bild an der Wand. © Steffen Klameth
Mit der Zapfanlage wurde Bier ausgeschenkt und mit dem großen Rad Luft ins Bier gepumpt. Erhalten sind auch etliche alte Verpackungen, zum Beispiel von Bonbons.
Mit der Zapfanlage wurde Bier ausgeschenkt und mit dem großen Rad Luft ins Bier gepumpt. Erhalten sind auch etliche alte Verpackungen, zum Beispiel von Bonbons. © Steffen Klameth

Man schrieb vermutlich das Jahr 1759, als das Straßengebäude errichtet wurde. Es diente als Bauernwirtschaft, die Einwohner konnten hier Obst und Gemüse erwerben – und Wein, denn zu dem Anwesen gehörte auch ein Weinberg, und im Hinterhaus stand eine Weinpresse. Reichlich hundert Jahre später, im Jahre 1869, entstand die Karl Adolf Müller’sche Schankwirtschaft „Zur Erholung“, die später allmählich vergrößert wurde. In einem Inserat in der Heimatzeitung warb der Besitzer des Gasthofes am 13. Oktober 1883 wie folgt: „Mostfest mit selbstgebackenem Kuchen. Weintraubenverkauf alltäglich! Adolph Müller, Oberpesterwitz“ .

Der Sohn von Adolph Müller, Paul Müller, und dessen Frau Anna übernahmen 1909 die Gastwirtschaft und führten diese bis 1941. Noch heute weisen ein paar verbliebene Buchstaben an der Fassade auf Paul Müller hin. Das Paar hatte fünf Kinder, eines davon hieß Arno. Der Sohn führte die Schankwirtschaft gemeinsam mit seiner Mutter weiter. Arno Müller heiratete Ilse Moses, die ebenfalls in der Gastwirtschaft mitarbeitete.

Wäschemangel im Billardzimmer

Die Familie lebte und arbeitete unter beengten Verhältnissen in dem kleinen Haus. Das Geschirr musste zum Abwasch über den Flur in einen Nebenraum getragen werden. Die Utensilien stehen heute noch so da, als habe jemand nur mal kurz den Raum verlassen. Überhaupt scheint in dem Haus die Zeit stehen geblieben zu sein.

Im Geschäft steht noch die original erhaltene Zapfanlage, in den Schiebern des raumhohen Kaufmannsladens liegen Malstifte neben Grusinischem Tee und alten Rechnungsformularen. Im Hausflur befindet sich ein großes Steuerrad, mit dem früher Luft ins Bier gewirbelt wurde. Der große Nebenraum diente als Billardzimmer. Heute steht mittendrin eine demontierte Wäschemangel.

Am 24. März 1969 erscheint eine Anzeige in der Zeitung: „Durch Krankheit sind wir leider gezwungen, unser Geschäft – seit 100 Jahren in Familienbesitz – am 31.3.1969 zu schließen. Wir danken allen unseren Kunden und Gästen herzlichst für die Unterstützung, die sie uns zuteil werden ließen. Familie Müller, Lebensmittel-Einzelhandel und Gaststätte.“

Längst ist der Eingang zugemauert. Nun steht das Haus samt Inventar zum Verkauf. Die Eigentümerfamilie, die direkt nebenan wohnt, wünscht sich, dass der künftige Eigentümer einen Teil des Gebäudes zu einer Heimatstube macht. Das Geld für den Umbau könnte aus einem Förderprojekt kommen, mit dem Pesterwitz in den kommenden Jahren noch lebenswerter gemacht werden soll. Die Bewerbungsunterlagen für das Projekt hat die Stadt bereits an den Freistaat geschickt. In den kommenden Wochen wird entschieden, welche Maßnahmen genau bezuschusst werden sollen – vielleicht auch die Heimatstube im Müller’schen Gasthof. (mit win)

Große Teile des Artikels und der Fotos sind erschienen im Pesterwitzer Dorfgeflüster.