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Der Ruhepol

Guiliano Modica hat in seinem Leben schon einiges erlebt. Deshalb kann er auch Dynamos Siegesserie gut einordnen.

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© Robert Michael

Von Sven Geisler

Es kommt selten vor, dass Uwe Neuhaus nach dem passenden Wort sucht. Dynamos Trainer ist ein scharfer Analytiker, ein sachlicher Kritiker. Er neigt nicht zu den in der Branche üblichen Übertreibungen, sondern bringt die Dinge auf den Punkt. Jetzt runzelt er jedoch für einen Moment die Stirn. Aber nicht, weil er keine Antwort weiß, sondern weil er deren Wirkung abzuschätzen versucht.

Sie gibt ihm Halt: Freundin Leslie ist mit nach Dresden gezogen.
Sie gibt ihm Halt: Freundin Leslie ist mit nach Dresden gezogen. © Robert Michael

Neuhaus ist nach dem Sieg bei Hansa Rostock gefragt worden, wie er die Leistung von Guiliano Modica einschätzt, dem Innenverteidiger, der unspektakulär wie zuverlässig seine Abwehrarbeit verrichtet. So einer wird selten gefeiert wie die Torschützen, erst recht nicht nach einem 3:1. Dynamos erster Argentinier, der auch einen italienischen Pass besitzt, hat kein Problem damit, dass andere im Mittelpunkt stehen. Er erledigt seinen Job und das erstaunlich abgeklärt.

In Rostock ist er auf seine unauffällige Weise einer der besten Dresdner, aber diese eine Szene ärgert ihn. „Das war kein Eckball, sonst hätte ich ja noch klären können“, sagt Modica. „Der Schiedsrichter weiß das auch, ich habe es ihm nach dem Spiel gesagt. Leider hat er anders entschieden.“ Es ist die Ecke, durch die Hansa in der 90. Minute zum Gegentor kommt; ärgerlich, aber kein Grund zur Panik. Erst recht nicht für Dynamos Ruhepol. „Dass wir das Ding kriegen – na ja“, sagt er, „aber wir haben genug Selbstvertrauen, um zu wissen, dass wir es durchziehen.“

Selbstvertrauen ist das Stichwort. Als Modica im Sommer von Kickers Offenbach nach Dresden kam, wirkte er nach fünf Jahren in der Regionalliga selber noch ein wenig unsicher, ob er den nächsten Schritt schafft. Seine Karriere verläuft keinesfalls geradlinig. Er beginnt in seiner Heimatstadt Cordoba, dort also, wo die deutsche Nationalmannschaft bei der WM 1978 ihre Schmach mit dem 2:3 gegen Österreich erlebte. In der Fußballschule des Weltmeisters Luis Galvan vergisst der kleine Moci die Alltagssorgen.

Seine alleinerziehende Mutter Ivanna wird arbeitslos, zieht mit ihrem Sohn bei einer Freundin ein – bis sie 2002 nach Deutschland übersiedeln. Ihr Bruder führt in Offenbach ein Eiscafé, sie bekommen ein Zimmer darüber. Guiliano ist damals zehn Jahre alt, muss die Sprache neu lernen, wird nach drei Monaten in die fünfte Klasse eingeschult. Dass er ein Jahr später aufs Gymnasium darf, ist ein Beleg für seinen Ehrgeiz, seine Beharrlichkeit. „Ich habe mich durchgekämpft“, sagt Modica, wenn er von seiner Kindheit erzählt.

Und diese Mentalität zeichnet ihn auch auf dem Fußballplatz aus. Mit 18 nimmt er beim 1. FC Kaiserslautern den ersten Anlauf, den zweiten bei Eintracht Frankfurt. Er schafft den Sprung jedoch nicht, kehrt zurück nach Offenbach, spielt Regionalliga. Dort fällt er auf. „Dass er auch in der 3. Liga ein guter Spieler sein kann, ließ sich aufgrund seiner Basics schon prognostizieren“, sagt Neuhaus. Dennoch ist auch der erfahrene Trainer ein wenig überrascht. „Dass er seine Rolle in dieser Souveränität spielt, hätte ich vielleicht auch nicht gedacht.“

Neuhaus setzt vom ersten Spieltag an auf den Neuzugang, was insofern überrascht, dass er mit Jannik Müller eine der Entdeckungen der Vorsaison draußen lässt.

Mehr Stammspieler geht nicht

Gemeinsam mit Kapitän Michael Hefele schließt Modica die Mitte, und wie Torwart Janis Blaswich standen sie in allen zwölf bisherigen Ligaspielen vom An- bis zum Abpfiff auf dem Platz. Mehr Stammkraft geht nicht. „Die beiden sind eine Bank“, sagt Neuhaus, und er erklärt: „Hefele ist als Führungsspieler der Fels in der Brandung, an dem sich die anderen orientieren; einer der besten Drittliga-Spieler mit Qualität für mehr. Modica trifft in Sekundenbruchteilen fast immer die richtige Entscheidung, ist so gut wie gar nicht auszuspielen.“

Der mit 1,83 Metern für einen Abwehrrecken eher kleine Modica ist trotzdem auch Herr der Lüfte. „Weil er das Auge besitzt, schon vor dem Luftkampf die bessere Position zu beziehen als der Gegenspieler, deshalb kommt er selten in Verlegenheit“, sagt Neuhaus. Das gute Stellungsspiel ist ein Schlüssel für Modicas faire Zweikampfführung. Bisher sah er noch keine Gelbe Karte, was für seine Position sehr ungewöhnlich ist, ohne den Vergleich mit seinem Vorgänger Dennis Erdmann überstrapazieren zu wollen.

Er werde das schon schaffen, hatte Modica angekündigt. Nun ist er Leistungsträger. „Der Trainer gibt mir sehr viel Selbstvertrauen, die Jungs glauben an mich und lassen mich das spüren“, sagt er. „Ich versuche einfach nur, das zurückzugeben.“ Dafür schiebt er Sonderschichten, geht oft noch im Großen Garten laufen, wenn die anderen nach dem Training unter der Dusche stehen. „Er hat eine hundertprozentige Einstellung, besser geht es nicht“, meint Neuhaus, mit dem die Extra-Einheiten natürlich abgesprochen sind. „Die Spieler können einem viel erzählen, wie tolle Profis sie sind, aber ob es stimmt, merkt man erst im Laufe der Saison“, meint Neuhaus.

In Modica haben er und Sportvorstand Ralf Minge sich nicht getäuscht. „Sein Charakter tut uns innerhalb der Mannschaft richtig gut“, sagt Neuhaus. Modica ist schließlich einer, der trotz seines jugendlichen Alters mehr Lebenserfahrung mitbringt als die meisten anderen. Nach dem Neuanfang in Deutschland hat er auch in der Eisdiele gejobbt und für das Tierheim in Offenbach Hunde ausgeführt.

Wenn alle beteuern, sie würden im Erfolgsrausch die Bodenhaftung bewahren, nimmt man das einem wie Modica vielleicht etwas leichter ab. „Wir freuen uns, aber es ist nichts selbstverständlich“, sagt er, „es kommt alles nur durch harte Arbeit.“ Die gehe weiter, erst recht nach dem achten Sieg in Folge. Und Neuhaus hat das Wort längst gefunden, das zu Modicas Leistung in Rostock passt: „Überragend.“

Dynamo ist gestern vom DFB für das Abbrennen von Pyrotechnik in den Spielen gegen Erfurt und bei den Stuttgarter Kickers mit einer Geldstrafe von 6 500 Euro belegt worden. Der Verein hat dem Urteil bereits zugestimmt.