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Der Rivale aus Berlin

Das Finale um die Meisterschaft 1980 endet mit einem Sieg für den BFC – auch, weil ein Elfmeter nicht gepfiffen wird ...

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© Archiv

Von Daniel Klein

Im Juni 1978 kam Erich Mielke nach Dresden. Es war ein nicht so angenehmer Termin für den Stasi- Chef und ersten Vorsitzender der Sportvereinigung Dynamo. Im Hotel und Restaurant Bastei auf der Prager Straße musste er den Dresdnern zur gewonnenen Meisterschaft gratulieren, was ihm als obersten Fan des BFC Dynamo schwergefallen sein dürfte. Seine Rede vor der Mannschaft war an Deutlichkeit nicht zu überbieten. „Hört zu Genossen“, begann er. „Es ist schön, dass Ihr aus unserer Sportvereinigung nun schon zum dritten Mal in Folge den Fußballmeistertitel für Dynamo errungen habt. Herzlichen Glückwunsch, auch von mir. (…) Aber wir werden alles tun, damit im kommenden Jahr der Meister aus der Hauptstadt Berlin kommt und Ihr als Speerspitze den zweiten Platz belegen werdet.“ Was er mit „alles tun“ genau meinte, war zu diesem Zeitpunkt vermutlich noch nicht allen klar.

Genau wie es Mielke wünschte, kam es. Nach der Saison 1978/79 war der BFC Meister, hatte komfortable sieben Punkte Vorsprung auf den ungeliebten Schwesterklub aus Dresden.

Doch im Jahr darauf droht aus Mielkes Sicht erneut Unerfreuliches. Vor dem letzten Spieltag führen die Schwarz-Gelben noch immer die Tabelle an, wie auch schon fast die gesamte Saison. Nur einmal, nach der Auswärtsniederlage bei Lok Leipzig Ende März, ist Dynamo für eine Woche Zweiter. Das Finale am 10. Mai 1980 vor 30 000 Zuschauern im Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark könnte spannender kaum sein: Der Zweite BFC empfängt den Ersten Dynamo, die Berliner müssen gewinnen, den Dresdnern reicht ein Unentschieden.

Lange steht es 0:0, Torraumszenen gibt es fast keine, zu viel steht auf dem Spiel, beide Teams haben Angst, den entscheidenden Fehler zu machen. Eine Viertelstunde vor dem Abpfiff kommt Peter Kotte im Berliner Strafraum elfmeterreif zu Fall, doch Schiedsrichter Hans Kulicke aus dem brandenburgischen Oderberg pfeift nicht, im Gegenzug erzielt Norbert Trieloff das einzige Tor. Der BFC ist Meister und bleibt es bis 1988 – zehnmal in Folge. So nah kommt Dynamo dem Dauerkonkurrenten nicht mehr.

Das entscheidende Tor ist ein sehenswertes. „Ich übernahm im Mittelfeld den Ball, passte zu Pelka, der den Ball direkt prallen ließ. Dann legte ich ihn mir mit dem Kopf vor, und ehe Dörner heran war, schoss ich“, erklärt der Torschütze. Torwart Bernd Jakubowski ist chancenlos: „Trieloff kam allein auf mich zu, da war nichts zu halten.“ Die Dramaturgie der Ereignisse lässt vermuten, dass der Schiedsrichter den BFC in diesem Endspiel bevorzugt. Dagegen spricht aber, dass er vorher ein Tor von Pelka nicht anerkannte, weil Jakubowski behindert worden war. „Für den BFC entschied letztlich, dass er sich in den beiden direkten Vergleichen gegen uns durchgesetzt hat“, erklärt Dynamo-Trainer Gerhard Prautzsch. Das Hinspiel hat Dynamo mit 1:2 verloren, es ist eine von nur insgesamt vier Niederlagen.

Kotte wagt es dennoch, in der Sächsischen Zeitung Kritik am Unparteiischen zu üben. „Ich hatte die große Möglichkeit, ein Tor zu schießen, aber der Schiedsrichter pfiff das Foul im Strafraum nicht. Im Gegenzug fiel dann das 0:1 …“ Die Aussage ist eine mutige, schließlich gilt es als offenes Geheimnis, dass Mielke persönlich Einfluss auf die Spielleiter ausübte. Oder aber die pfiffen in vorauseilendem Gehorsam ganz in Mielkes Sinne.

Manch fragwürdige Entscheidung zugunsten des Serienmeisters lässt sich kaum anders erklären. Vielleicht war es das, was der Stasi-Chef 1978 bei der Ehrung in Dresden meinte, als er davon sprach, „alles tun“ zu wollen, damit Berlin Meister wird.

Noch mehr rund um das Vereinsjubiläum lesen Sie in unserem Dossier „65 Jahre Dynamo“