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Der Retter der Kaffeemaschinen

In einer Gesellschaft, die lieber wegwirft als repariert, ist ein Dresdner Handwerksmeister so etwas wie der letzte Dinosaurier.

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© Tobias Wolf

Von Tobias Wolf

Vorsichtig dreht Frank Neumann die Schraube locker und hebt mit einem Ruck die Verkleidung ab. Dahinter ein Gewirr aus Drähten, eine Leiterplatte und das Herzstück, die Brühgruppe. „War klar, alles total versifft“, entfährt es dem 62-Jährigen. Er hatte es geahnt, als er die Kaffeemaschine in einem Großraumbüro im Dresdner Zentrum abholte. Die Schlieren am Gehäuse, der Staub in den Ritzen. Und nun der Schimmel in der Brühgruppe. Ein kompliziertes Gerät im Gerät, mit Kolben und Leitungen, das aus Wasser und Pulver Kaffee mit Schaumkrone macht. Eigentlich ein Hygienebereich. Aber nur, wenn er gepflegt wird.

So wie bei Neumanns Maschine, 17 Jahre alt und noch nie kaputt gewesen, aus der er sich bis zu 20 Kaffee am Tag macht. Ein Genießer, der schon mal sagt: „Heute bin ich unterkoffeiniert.“ Er trinkt eine Tasse und nimmt einen Pinsel, kehrt den Schimmel aus der Maschine, sprüht einen Spezialreiniger auf die Mechanik und lässt ihn kurz einwirken. Es ist nicht die Erste, die in solchem Zustand zu ihm kommt.

Seine Werkstatt ist eher ein verwinkelter Gang, Ersatzteilregale bis zur Decke. Neben dem Tisch hängen 20 Schraubendreher aller Größen und Längen, darüber ein Regal mit Schrauben. Die große Lupe mit der Lampe ist für die Details. Drei Tanks einer Munddusche dienen als Gefäße für Kabelbinder und Kleinteile. In Büro und Flur ist es genauso eng. Nur im Laden ist mehr Platz zwischen der Theke mit unzähligen Zubehörteilen und den Regalen mit den Haushaltsgeräten. Nicht so viele wie die großen Märkte, dafür spezialisiert. Sogar Bartpuder verkauft er, eine Mischung aus Talkum und Paraffin, das vor dem Trockenrasieren auf die Haut aufgetragen wird, um Irritationen vorzubeugen.

Neumann, Schnurrbart, Kugelbauch, Professorenbrille auf der Nasenspitze, ist vielleicht der Letzte seiner Art in Dresden. Ein Dinosaurier unter den Handwerkern, der um die Ecke vom Bahnhof Neustadt kleine Haushaltsgeräte repariert. Kaffeemaschinen, Zahnbürsten, Mundduschen, Rasierapparate. Fallen Kaffeeautomaten in Gaststätten aus, fährt er hin und repariert vor Ort. Im Umkreis, der bis Niesky reicht. Manchmal ist er schon um sechs Uhr unterwegs, damit alles zum Frühstücksgeschäft wieder läuft.

Seit fast 30 Jahren betreibt Neumann das Geschäft. Ein Bastler, der fast immer sagt: „Ich guck mir das mal an.“ Meistens kann der Elektromechanikmeister helfen. Oder seine Frau Ines, gelernte Uhrmacherin, zuständig für Details und diffizile Arbeiten. „Sie hat die kleineren Finger“, sagt Neumann und lacht. Die 58-Jährige quittiert das mit einem gespielt bösen Blick. Die beiden sind seit fast 25 Jahren ein Team im Laden. „Da muss man Humor haben, es gilt die Devise: leben und leben lassen“, sagt er. Seine Frau nickt. „Wir streiten uns nur mal, wenn es um die Firma geht.“

Knapp eine Stunde dauert das Zerlegen der Kaffeemaschine. Neumann findet noch mehr Dreck. Verkrustetes Pulver, eine Art Kaffeeschlamm, noch mehr Schimmel. Gut 20 Menschen machen sich jeden Tag Kaffee mit dem Automaten. „In solchen Büros sollte sich jemand der Maschine annehmen und sie pflegen“, sagt er und lächelt schelmisch. Er weiß, wie utopisch das ist.

Die meisten füllen Wasser und Kaffee auf und leeren den Restebehälter. Alles andere ist von außen nicht zu sehen. Bei dieser Maschine liege das auch am Hersteller, weil man nicht so einfach an das Innenleben herankommt wie bei anderen. Bei denen ist die Brühgruppe hinter einer Klappe. Rausnehmen, abspülen, fertig. Diese gehört zu den teuersten Marken. Für die Reinigung muss die Maschine zerlegt werden. Neumann will nicht, dass der Markenname in der Zeitung steht. Das bedeute Ärger.

Der Kaffeeautomat ist wieder sauber. Er könnte ihn zusammenbauen, aber es fehlt noch eine kleine, millimetergroße Buchse für das Auslaufventil. Der Teilehändler hat die Falsche geschickt.

Neumann hat noch einen Elektro-Rasierer da liegen. Marke Braun, Neupreis 300 Euro. Den nimmt er sich in seinem Büro vor. Über dem vollgestopften Schreibtisch hängt ein Zitat von Winston Churchill, an der Pinnwand Magnete in Form von Handys aus den Neunzigern, lustige Regeln für den Umgang mit nervigen Vertretern. Hier ist die Zeit zwar nicht stehen geblieben, aber alles erinnert an ein heimeliges „Früher“. Eine Zeit, in der repariert statt weggeworfen wurde. Ost-Improvisation trifft technischen Nachwende-Überfluss.

Schon vor 1989 war der Bäckerssohn auf Kaffeemaschinen spezialisiert. Auf dem Aktenschrank steht eine „Moccadur“, ein DDR-Kaffeeautomat aus den 1950er-Jahren. „Den hab ich für 20 Euro bei Ebay geschossen“, sagt Neumann stolz. Irgendwann will er auch den reparieren. Wenn es die Zeit zulässt. Sein Reparaturgeschäft brummt. Sogar zu Hause repariert er noch nach Feierabend Elektrogeräte. Richtigen Urlaub hat er seit Jahren nicht gemacht. Bis auf eine Woche auf Usedom, wo Neumann mal als Kind mit seinen Eltern war.

Er nimmt den Rasierer in die linke Hand und dreht mit der rechten am Scherkopf. Von außen ist nichts zu erkennen. Ein paar kleine Schrauben gelöst, und das Gerät liegt als Haufen vor dem Meister. Der Kunde glaubt, der Akku will nicht mehr. Aber Bartstoppeln blockieren die Maschine. Der Langhaarschneider klemmt deshalb. Neumann putzt alles, drückt auf den Schalter. Nichts. Die Platine ist kaputt. Das Ersatzteil hat er da. Auch so etwas, das nicht mehr üblich ist. Für gängige Reparaturen liegt alles in irgendeiner Schublade.

Der Gong der Eingangstür ertönt. Neumann guckt hoch. Auf dem Bildschirm sieht er eine Frau in den Laden kommen. Er ruft: „Moment.“ Seine Frau geht vor. Er schraubt derweil den Rasierer wieder zusammen. Nun ist Ines Neumann dran. Das Gerät muss justiert und programmiert werden. Das erfordert scharfe Augen und viel Geduld. Mit Computer und Messgerät werden Motoren und Antriebe eingestellt.

Auf Frank Neumann wartet derweil ein besonders kniffliges Projekt. Ein netter Nachbar hat seinen kaputten Autoschlüssel gebracht. Da ist er wieder, der Improvisationskünstler, der jedem kaputten Gerät eine Chance gibt. Im Schlüsselgriff verstecken sich der Türöffner und die Wegfahrsperre. Vorsichtig nimmt er das Teil auseinander. Eine Ecke der Platine ist abgefallen. Das kann er löten. Nur die Kontrolllampe will nicht angehen. Ob es trotzdem funktioniert, wird ihm der Nachbar erzählen.

Neumann nimmt sich die nächste Kaffeemaschine vor. Ein Luxusgerät, Neupreis 2 000 Euro. Auch vom Hersteller mit dem reinigungsfeindlichen Gehäuse. Schimmel findet er diesmal nicht. Mit Pinsel und Spezialreiniger säubert er alles bis in die kleinste Ritze, fettet die Brühgruppe, ersetzt ein paar Gummidichtringe und baut einen neuen Wasserfilter ein. Beim Test erscheint auf dem Display „Spülen“, Wassertropfensymbole wandern darüber. Als er ausschaltet, sagt die Maschine „Auf Wiedersehen“. Erledigt. Der Kunde will am späten Nachmittag vorbeikommen.

So luxuriös muss es für ein gutes Schälchen Heeßen nicht zugehen. Am besten seien Siebträgermaschinen, bei denen jeder Kaffee einzeln zubereitet wird, erklärt Frank Neumann. „Wenn ich mal Rentner bin, kauf ich mir auch so eine“, sagt er. „Es kommt aber auch auf die Bohnen an, sind sie fleckig, dann waren sie meist schon vor der Röstung schimmlig.“ Eine Gesundheitsgefahr sind sie zwar nicht, aber Kaffee aus ihnen schmeckt bitter oder nach gar nichts. „Normalerweise sind in einer Bohne 800 bis 900 Aromastoffe“, sagt der Retter der Kaffeemaschinen.

Das Telefon klingelt. Die Mitarbeiterin eines Ladens in der Stadt ist dran. Die Maschine, mit der sie den Kaffee für Kunden brüht, ist kaputt. Ob er das am gleichen Tag noch machen würde? Der alte Handwerker weiß sofort, wen er da dranhat. „Kann ich machen, wenn Sie die Rechnung vom März bezahlen“, sagt er in den Hörer. „Und die Maschine gibt es nur gegen Bargeld zurück.“ Es gibt so einige, die nicht bezahlen, obwohl sie durch die Reparaturen mitunter viel Geld sparen. Wie der Kunde mit der Luxus-Kaffeemaschine. Nicht ganz 200 Euro kostet die Reparatur, ein Zehntel des Kaufpreises. Oder der Mann mit dem Rasierer, der sein Gerät glücklich in der Hand wiegt, als er in den Laden kommt. Inklusive einer Reinigungsflüssigkeit für 30 Euro und dem Ersatzteil für 35 zahlt er am Ende um die 80 Euro.

Auch die Mitarbeiter des Großraumbüros werden am Ende von Frank Neumanns Tüftlergeist profitieren. Ein paar Dichtungen hier, ein paar Kleinteile da, und die Sache ist erledigt. Gerät man an den falschen Reparateur, werden gleich die teuersten Teile getauscht. Für Neumann undenkbar. „Es sollte wieder viel mehr repariert werden“, sagt er. „Es geht doch um Ressourcen, die nicht verschwendet werden sollten.“

www.kaffeemaschinenmacher.de/elektro-neumann