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Der Rennfahrer im weißen Kittel

Prof. Marcus Pohl ist neuer Chefarzt der Pulsnitzer Helios Schloss Klinik. Er will mehr Patienten ihre Beweglichkeit zurückgeben.

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© René Plaul

Von Reiner Hanke

Kamenz. Im weißen Kittel betritt Chefarzt Prof. Dr. Marcus Pohl das Zimmer eines älteren Herrn auf Station 3 zur Visite. So kennen ihn die Patienten. Freundlich reicht er dem Mann im Krankenbett die Hand. Dann dreht sich alles um die Beschwerden. Aber die Patienten der Helios Klinik Schloss Pulsnitz kennen den Professor auch schon ganz anders. Wenn er morgens im Radleroutfit, den Helm unterm Arm die Klinik betritt. Derzeit fährt er die 25 Kilometer von seinem Wohnsitz in Dresden-Hellerau noch nicht ganz so oft, wie er vielleicht möchte. 48 Minuten braucht der Arzt für die Strecke. Das soll sich noch ändern. Denn der Sport sei als Ausgleich für die Arbeit in der Klinik ungemein wichtig. Aber nicht nur das. Es geht dem 50-Jährigen um die Vorbildfunktion: „Ich kann doch von den Patienten nicht glaubhaft einen gesunden Lebenswandel verlangen, wenn ich den nicht selbst vorleben würde“, sagt er. So könne er die Patienten am besten überzeugen. Prof. Pohl hat jetzt die Nachfolge als Chefarzt und ärztlicher Direktor der Helios Klinik Schloss Pulsnitz von Dr. Ursula Schüwer angetreten. Sie formte die Fachklinik für Neurologische- und Neurochirurgische (Früh-)rehabilitation 20 Jahre lang zu einem überregional anerkannten Haus. Hier werden vorwiegend Patienten nach einem Schlaganfall wieder ins Leben zurückgeführt. Chefärztin Ursula Schüwer wurde nun in den Ruhestand verabschiedet.

Prof. Pohl ist Facharzt für Neurologie. Seine Ausbildung absolvierte er an renommierten Einrichtungen wie der Universität Göttingen, der Freien Universität Berlin und der Uniklinik Marburg. In den vergangenen 15 Jahren war er in der Bavaria-Klinik Kreischa tätig, seit 2003 als Chefarzt. In Kreischa war der Facharzt maßgeblich am Aufbau der neurologischen Intensiv- und Frührehabilitation beteiligt. Auf dem Gebiet ist der Professor auch wissenschaftlich tätig und bringt seine Erfahrungen nun mit in die Schlossklinik. Sein Spezialgebiet sind motorische Einschränkungen (Lähmungen) nach einer schweren Hirnschädigung. Damit ist er genau der richtige Mann für Pulsnitz. Klinikgeschäftsführer Carsten Tietze schätzt ein: „Mit Prof. Pohl haben wir einen exzellenten und international anerkannten Experten für neurologische Rehabilitation gefunden.“ Dr. Marcus Pohl übernimmt mit der Helios Klinik Schloss Pulsnitz ein Haus mit derzeit 470 Beschäftigten und 310 Patienten. Der Bedarf ist steigend. Prof. Marcus Pohl ist verheiratet und hat einen neunjährigen Sohn. An diesem Tag kommt der Chefarzt direkt von der täglichen Visite zum SZ-Gespräch.

Herr Prof. Dr. Pohl. Haben Sie als Chefarzt überhaupt Zeit für die Patientenvisite?

Natürlich. Dabei geht es nur im Einzelfall um medizinische Problemfälle. In der Hauptsache geht es aber um Supervisions-Aufgaben. Ich informiere mich in Absprache mit dem oberärztlichen Leitungsteam über die Leistungsstärke der Ärzte und ziehe meine Schlüsse. Das kann zum Beispiel auf eine Fortbildung hinauslaufen.

Sie lehren als Professor an der Fachhochschule Gera, arbeiten wissenschaftlich und das neben der Hauptaufgabe als Chefarzt. Wie wollen Sie das unter einen Hut bringen?

Es ist die Kunst zu koordinieren, zu delegieren und das Team so zu führen, dass die Aufgaben effektiv erledigt werden können. Ich muss mich natürlich auf das Team der Oberärzte verlassen können. Die Mitarbeiter der Klinik müssen lernen, dass der Chefarzt viel unterwegs ist.

In der Kreischaer Klinik waren sie maßgeblich am Aufbau der Intensiv- und Frührehabilitation beteiligt. Warum hat es sie nun nach Pulsnitz gezogen?

Nach über 15 Jahren in Kreischa habe ich mich gefragt, wie es weiter geht, eine neue Herausforderung gesucht. In dieser Situation wurde ich von den Pulsnitzer Kollegen angesprochen. Das war genau mit meinen Vorstellungen im Einklang. Ich wollte auch unbedingt weiterhin auf dem Gebiet der neurologischen Rehabilitation arbeiten. Das kann ich in Pulsnitz. Noch ein Beispiel: Die Zahl von Patienten, die über 21 Tage auf Intensivstationen behandelt werden, ist steigend. Sie brauchen spezielle Therapien. Dazu gehört die Entwöhnung von Beatmungsgeräten. Ich bin glücklich, dass es hier eine solche Station gibt und dass hier überwiegend Menschen aus der näheren Umgebung behandelt werden. Kurze Wege sind für die Angehörigen wichtig. Denn die Patienten brauchen ihre Unterstützung.

Worauf muss sich die Pulsnitzer Klinik in den kommenden Jahren einstellen?

Die neurologische Rehabilitation unterliegt einem starken Wandel. Hintergrund ist die alternde Gesellschaft. Vor 20 Jahren gehörten überwiegend junge Menschen mit Schädel-Hirn-Trauma zu den Patienten. Oft nach Motorradunfällen. Inzwischen haben wir 70 Prozent über 60-jährige und 20 Prozent über 80-jährige Patienten. 50 bis 55 Prozent sind Schlaganfallpatienten. Darauf müssen wir uns einstellen und modernen Ansätzen zuwenden. Außerdem möchte ich die Klinik als Fortbildungsstätte für Therapeuten entwickeln, um hier gesammeltes Wissen weiterzugeben. Wir müssen Forschung und Lehre verknüpfen. Das ist nicht immer der Fall. In der Klinik wird seit Jahrzehnten hervorragend gearbeitet und ein unglaublicher Wissensschatz gesammelt. Das muss noch viel stärker nach außen getragen werden.

Welche Ansätze sind das zum Beispiel?

Ich denke an den Einsatz sogenannter Gerätehilfsmittel in der Therapie. Das sind Laufbänder oder Gangtrainer. Ein Therapeut schafft mit seinem Patienten z. B. zehn Schritte pro Sitzung. Wichtig ist für die Genesung die Wiederholung. Mit einem elektronisch gesteuerten Gangtrainer sind statt 20 bis zu 1 000 Schritte möglich. Das ist wie beim Erlernen eines Instruments. Die Übung macht den Meister. Das ist natürlich auch eine Investition. Ein solches Gerät kann 75 000 Euro kosten. Aber der Effekt ist enorm. Wir könnten noch mehr Patienten ihre Beweglichkeit und damit ein Stück Lebensqualität zurückgeben.

Gesunde Lebensweise und Sport sind Teil der Therapie und zugleich Klinikphilosophie, die alle Mitarbeiter einschließt. Wie wichtig ist Ihnen Sport?

Sehr wichtig! Ich hatte als Kind durch einen Unfall eine schwere Verletzung und war behindert. Der Sport hat mir sehr geholfen. Ich bin bis heute leidenschaftlicher Rennradfahrer, habe dieses Jahr die Alpen überquert und bin den Ötztaler Radmarathon gefahren. Wenn es der Zeitplan zulässt, komme ich mit dem Rennrad von Hellerau über Lichtenberg in die Klinik.

Frau Dr. Schüwer prägte die Klinik 20 Jahre lang. Wollen sie ebenso lange in Pulsnitz bleiben?

Für einen Chefarzt ist das ähnlich wie für einen Sportler: Er braucht einen langen Atem, bis seine Arbeit ihre Wirkung zeigt. Bis zum Ruhestand sind es 17 Jahre. Die möchte ich gern dieser Klinik widmen.

Sie haben Ihre Kindheit in Helmstedt, Niedersachsen, an der deutsch-deutschen Grenze verbracht. Hat Sie das auch ein bisschen geprägt?

Mein Kinderzimmer lag direkt mit Blick auf die Grenze. Die Eltern warnten mich oft vor den Gefahren: „Geh nicht da ran!“ Für uns Kinder war es unverständlich, warum wir nicht einfach mal ins benachbarte Marienborn fahren konnten. Aber das Unbekannte weckte natürlich mein Interesse, auch eine gewisse Sehnsucht. Dieses Interesse war immer da und hat mich vor 15 Jahren nach Dresden und jetzt auch nach Pulsnitz geführt.