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Der Reiz, keinen eigenen Bürostuhl zu haben

In Sachsen wird weniger gegründet als in den meisten andern Bundesländern. Das soll sich mit dem Impact Hub ändern.

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© kairospress

Von Jonas Gerding

Während viele Pendler die Heimreise antreten, brennt in der ersten Etage der alten Post hinter dem Dresdner Hauptbahnhof noch Licht. Rund 30 Veranstaltungsteilnehmer trudeln allmählich ein, die ihrer IT-Begeisterung auch nach Feierabend nachgehen wollen. Unter ihnen sind freiberufliche Web-Designer, Entwickler und Angestellte, die in Firmen wie SAP und T-Systems arbeiten. „Ich bin hier, um mir die Hände schmutzig zu machen“, scherzt eine Teilnehmerin. In den vorherigen Treffen konnte die Gruppe nur theoretisch über Entwicklungen der Branche sprechen. Erstmals können sie nun selber an einem sicheren und dezentralen IT-Netzwerk tüfteln, ihrem Schwerpunktthema.

Zu klein für solche Workshops waren die bisherigen Dresdner Coworking-Spaces, also Räumlichkeiten, in denen sich Menschen jenseits klassischer Büros zum Arbeiten treffen. Nun steht der Gründerszene eine 700 Quadratmeter große Einrichtung zur Verfügung: der Impact Hub Dresden in der Bayrischen Straße. Auch wenn er offiziell erst im Mai öffnet, nutzen bereits seit Mitte Februar erste Coworker und Start-ups die rund 40 Plätze zum Arbeiten und für Events.

Die Initiatoren des Impact Hub wollen der sächsischen Gründerszene auf die Sprünge helfen, die lediglich Rang 12 der Bundesländer belegt. Denn: Nur 14 von 1 000 Menschen gründen im Freistaat ein Unternehmen, wozu nicht nur auf digitale Geschäftsmodelle ausgerichtete Start-ups, sondern Gründungen insgesamt zählen. Dabei gibt es in der Region viele technologielastige Studiengänge, exzellente Forschungseinrichtungen und mittelständische Unternehmen, die auf Innovation angewiesen sind. Zwischen ihnen und motivierten Gründern will der Impact Hub nun eine Brücke schlagen.

Der L-förmige Hauptraum ist so gestaltet, dass Küche, Essecke und der lange Arbeitsbereich fließend ineinander übergehen. 129 Euro monatlich bezahlt, wer einen sogenannten Flexdesk an fünf Tagen die Woche bezieht – und immer einen neuen Platz aufsuchen muss. Zurückziehen können sich die Mitglieder in Skype-Kabinen und Besprechungsräumen. Auch im Nebenraum ist das Arbeiten etwas abgeschiedener – aber teurer: 249 Euro kostet ein fester Platz.

Die Möbel des Gemeinschaftsraums sind verrückbar, je nachdem, ob sich Projektgruppen finden oder Platz für einen Vortrag geschaffen wird. Lokale Designer haben einige der Lampen und Tische erstellt. „Locally routed, globally connected“, kommentiert dies Gründer Ulf von Elten.

86 jener Impact Hubs mit insgesamt 15 000 Mitgliedern gibt es weltweit. In Deutschland ist es der dritte – nach München und Berlin. Von Elten ist als IT-Berater tätig und lebte vor seinem Umzug nach Dresden in Zürich, wo der 44-Jährige mit dem dortigen Impact Hub in Kontakt kam. Er holte sich zwei junge, aber bereits erfahrene Mitstreiter ins Team: Julian von Gebhardi und Pierre Herzer, 28 und 29 Jahre alt, die den kleineren Dresdner Coworking-Space Collab & Couch leiteten, der nun in den Impact Hub überführt wird.

Zwei Jahre zog sich die Bewerbung für die Lizenz hin. Sie mussten einen aufwendigen Geschäftsplan aufstellen und die Finanzierung sichern. „Es gibt kein staatliches Förderprogramm, in das wir gepasst hätten“, sagt von Elten, dem es gelang, eine halbe Million Euro an privaten Geldern zusammenzutragen. Darunter von der GLS-Bank, der Mittelständischen Beteiligungsgesellschaft Sachsen und Eigenvermögen.

„Wir mussten zeigen, dass wir die Anforderungen der regionalen Wirtschaft wirklich verstehen“, sagt von Elten über die umfangreiche Recherche über die Mikroelektronik-, Halbleiter- und Fotovoltaikindustrie. Der Impact Hub fördert gezielt Unternehmen, die auf IoT, durch das Internet vernetzte Geräte in Haushalt und Unternehmen, setzen. „Wir wollen den etablierten Unternehmen zeigen, was in der Gründerszene alles möglich ist, und sie partizipieren lassen“, sagt von Elten und bezieht sich dabei auch auf Ideen aus den zahlreichen Forschungsinstituten an Hochschulen und privaten Gesellschaften. Angesichts des hohen Know-hows in Dresden stellt er verblüfft fest: „Es gibt zu wenige Unternehmer.“

Einer muss das Zepter tragen

Das könne der Impact Hub nun ändern, glaubt auch Mario Geißler, der als Juniorprofessor an der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der TU Chemnitz lehrt. „Co-Working Spaces sind ja nichts Neues“, räumt er ein, aber verweist auf den inhaltlichen Fokus des Impact Hubs, den es in Sachsen so noch nicht gebe. „Es ist wichtig, eine Community aufzubauen“, sagt Geißler. „Dafür braucht es Personen, die das Zepter in die Hand nehmen“.

Im Februar hat Geißler die Studie „Start-up Ökosystem Sachsen 2016“ veröffentlicht. „Dresden und Leipzig liefern sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen“, beobachtet er. In manchem hat Leipzig jedoch die Nase vorn: So zählte er in der Stadt fast doppelt so viele Crowdfundings in den Jahren 2010 bis 2016. „Die Kreativszene ist in Leipzig stärker ausgeprägt“, sagt er. Eine Spezialisierung, beispielsweise auf Industrie 4.0, könnte das Profil Dresdens schärfen.

Zwar gibt es Förderprogramme in Einrichtungen wie dem Spin-Lab in Leipzig und Sherpa in Dresden. „Für die Gründer selber ist es da gar nicht so einfach zu überblicken, wer wofür steht“, urteilt Lars Fiehler, Geschäftsführer für Standortpolitik der Industrie- und Handelskammer Dresden.

Die Betreiber des Impact Hubs versichern, dass sie mit Förderern wie der HighTech Startbahn kooperieren würden. Ziel sei ja gerade, Gründer mit Unterstützern zu vernetzen. Darauf hofft auch Lars Lehmann, der mit zwei Kollegen ein abschließbares Team-Büro im hinteren Teil der Etage bezogen hat. „Mir ist der gegenseitige Austausch total wichtig“, sagt der 26-Jährige. Auch wenn Start-ups an unterschiedlichen Produkten feilen, seien die grundsätzlichen Probleme ähnlich: die Suche nach einem Investor beispielsweise.

Lehmann zufolge würden täglich eine Million Schüler mit privaten Anbietern zur Schule transportiert werden, weil es an öffentlichen Verkehrsmitteln mangelt. Er hat das Startup Stadt.Land.Netz gegründet, um die hohen Kosten für den Staat zu verringern, sagt Lehmann: „Da setzen wir an und optimieren mit intelligenter Software die Gestaltung der Routen“. Der junge Unternehmer ist auf staatliche Aufträge angewiesen, weshalb ihm ein Besucher besonders gelegen kommt: Am 30. März schaut Ministerpräsident Stanislaw Tillich vorbei.