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Der Pyramidendoktor

Bernd Hoxhold hält mit seiner Drechselwerkstatt in Dresden ein schwindendes Handwerk am Leben.

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© Christian Juppe

Von Nadja Laske

Einen Funken Hoffnung gibt es noch. Dabei hatte die Pyramide in Bernd Hoxholds Hand gefährlich viel Kontakt mit Funkenflug. Feuer hat sie arg zugerichtet. Jetzt ragt das Gestänge schwarz verkohlt in die Höhe. Der Albtraum im Advent: Die Pyramide brennt.

Pyramide Marke Eigenbau: Bausatz für Schüler und kleine Bastler
Pyramide Marke Eigenbau: Bausatz für Schüler und kleine Bastler © privat

Viel Arbeit für den Drechslermeister. Er ist der einzige in der Stadt, und wenn die Dresdner ihre Kisten voller Weihnachtsdekorationen aus Kellern und Garagen holen, machen etliche von ihnen traurige Entdeckungen: Die Pyramidenteile sind zwar vollständig, die Flügel parallel gesteckt, alle Figürchen versammelt, das Glaslager noch gar nicht so alt. Und trotzdem dreht sich das Ding einfach nicht. Spätestens dann landet die teure Neuanschaffung oder das geschätzte Erbstück in Bernd Hoxholds Drechslerei: als dauernde Gefahrenquelle oder womöglich als Brandschaden.

Der Mann mit den weißgrauen Haaren und der kleinen runden Brille ist die letzte Hoffnung für Menschen, die den Bezug zu ihrer Weihnachtspyramide verloren haben. Oft sind die Stücke schon einige Generationen alt. Der Opa hat sie einst selbst gebaut und mit viel Friemelei am Laufen gehalten. „Nun ist er gestorben, und die jungen Leute verstehen die Konstruktion des Großvaters nicht“, diese Erfahrung macht Hoxhold immer wieder.

In seiner Drechslerei auf der Stauffenbergallee ist er in Arbeitskleidung unterwegs, die Ohrschützer immer griffbereit. Drechseln und Schleifen machen Krach, ganz anders als die stillen Handgriffe mit Holzleim und Pinsel. In der Werkstatt stehen zwei Dutzend Kartons mit kaputten Pyramiden. Manchen sind Figuren oder Flügel abhandengekommen, ihre Gestänge lösen sich oder aus unbegreiflichem Grund schmelzen die Kerzen mehr als dass sie abbrennen. Was ist da los?

Bevor sich der Drechsler dem Brandschaden widmet, will er ein stattliches Exemplar fit für die Lichtelei machen. Einen Meter hoch ist die Pyramide, Marke Eigenbau. Und sie hat genau das Problem: Die oberen Kerzen zerfließen regelrecht und lassen ihr Wachs auf das Holz tropfen. Die Kerzenhalterungen sind schlichtweg falsch angeordnet. Auf rund 100 Jahre schätzt Bernd Hoxhold den Bau. „Laubsägearbeiten waren nicht nur in der DDR beliebt, sondern schon vor dem Krieg“, sagt er. Auch seien sie kein rein erzgebirgisches Phänomen, in ganz Sachsen hat es sich verbreitet. Hoxhold bekommt alle Varianten auf seinen Werkstatttisch: Jene im Heimwerkerkeller gebastelten, Marken-Pyramiden aus dem Erzgebirge und Billigversionen aus Fernost.

Genügend Lager auf Lager

Ganz gleich, welche der Meister vor sich hat, sein Ziel ist: „Sie soll wieder heil sein und gut funktionieren.“ Manchmal sei weniger mehr, sagt er. Schließlich ist es nicht unerheblich, wie viele Figuren sich um die Achse drehen sollen. Wenn sie zu schwer sind, stockt die Pyramide. „Entscheidend ist aber, wie rasch die warme Luft nach oben zum Flügelrad steigt.“ Nicht immer haben die Hobbydrechsler den Abstand zwischen Docht und Flügel optimal getroffen. Manch modernes Modell soll mit Teelichtern funktionieren. „Aber die Flamme ist einfach zu klein“. sagt Bernd Hoxhold und hält spezielle Pyramidenlichter für sinnvoll. Viel häufiger jedoch leiden Pyramiden an kaputten Lagern. Es gibt sie aus Glas, Keramik und Metall. Das fingernagelgroße Teilchen wirkt Wunder. „Oft hat sich die Spitze der Welle über die Jahre ins Material eingegraben, oder sie ist abgenutzt.“

In dem Fall schleift Bernd Hoxhold sie wieder an und wechselt das Lager aus. Es könne schon fatale Wirkung haben, wenn man beim Aufbauen der Pyramide die Welle aus ein paar Zentimetern Höhe aufs Lager fallen lässt, sagt er. Darin sind alle Pyramiden gleich. Fehlen aber Teile, hat der Drechsler Maßarbeit zu leisten. Zum Beispiel für den Ersatz eines Flügels, einzelner Figuren oder des Pyramidenkopfes, in den die Flügel eingesteckt werden. „Hier zum Beispiel sitzen sie viel zu locker und lassen sich gar nicht mehr stellen“ – Bernd Hoxhold zeigt auf das Dilemma. Selbst die Abstände der Bohrungen sind ungleich. Im Korpus haben sich Verbindungen gelöst und wollen wieder fest verleimt sein. All das nahm dem Erbstück schließlich den Schwung.

Immer weiter drehen mussten sich über vier Generationen hinweg auch die Geschäfte der Drechslerei Hoxhold. Vor 126 Jahren in der Dresdner Neustadt gegründet, entwickelte sie sich rasch zu einem erfolgreichen Unternehmen. Beim Angriff auf Dresden am 13. Februar 1945 blieb von Werkstatt und Laden nichts übrig. Doch das Leben ging an einer anderen Neustädter Adresse weiter. Das blieb nicht der letzte Umzug. Seit 17 Jahren führt Bernd Hoxhold das Familienunternehmen. Seinen Meister machte er ein Jahr vor der Wende. „Damals gab es in Dresden und Umgebung noch etwa 50 Drechslereien. Wir drechselten Blumen- und Garderobenständer, Beistelltische, Kerzenhalter und Schalen.“ Auch von Aufträgen großer Betriebe lebte die Branche. Mit der Wende war Schluss. Heute, 27 Jahre später, behauptet sich Bernd Hoxhold allein. In der Region kennt er nur noch einen weiteren Drechsler. Der hat sich auf kleine Figuren spezialisiert. „Mal sehen, wie lange wir uns noch halten“, sagt Hoxhold.

Alte Hölzer – neues Leben

Einen Großhändler für Hängepyramiden beliefert seine Werkstatt, die meisten Aufträge jedoch sind Einzelanfertigungen. Aus alten Balken eines Hauses lässt ein Kunde Engel- und Bergmannfiguren drechseln. Ein anderer will eine Halterung für Weinflaschen oder hölzerne Kästchen. Viele Restaurierungen landen auf Hoxholds Tisch. Für den Werkenunterricht einer Schule hat er einen Pyramidenbausatz entwickelt und verkauft ihn wie viele andere Bastelvorlagen, Dekoartikel und Ersatzteile im Werkstattladen.

Wer soll all das tun, wenn das Handwerk ausstirbt? Seine Söhne haben andere Pläne. „Junge Leute wollen das hier nicht machen“, sagt der letzte Drechsler. Für einen alten Mann hat er eine Holzfigur repariert. Der kommt sie abholen und bettet sie sanft in seine Tasche. Hoxhold kassiert: „Macht 5,80 Euro – und frohe Weihnacht!“

Mehr unter www.drechslerei-hoxhold.de