Merken

Der Punkt macht den Unterschied

Ehrenamtliche Lehrer geben Flüchtlingen Sprachunterricht. Dabei lernen beide Seiten – vor allem Geduld zu haben.

Teilen
Folgen
NEU!
© Sven Ellger

Von Annechristin Bonß

Die Sache mit dem Punkt ist aber auch kompliziert. Er ist ja fast zu übersehen, wenn er so schlicht hinter einer Zahl steht. Dabei macht der kleine Punkt ganz viel aus. Macht aus einer Eins einen Ersten, aus einer 20 einen Zwanzigsten, ist wichtig, wenn es um den eigenen Geburtstag geht. Der Punkt macht aus der Ziffer eine Ordnungszahl. Doch wie das jemandem erklären, der erst seit Kurzem Deutsch lernt?

Nadja Laske versucht es mit stetem Wiederholen. Die Redakteurin der Sächsischen Zeitung gibt regelmäßig Flüchtlingen Deutschunterricht. Seit über drei Monaten engagieren sich Mitarbeiter und Freunde der DDV Mediengruppe, zu der auch die SZ gehört, auf diese Weise für die Asylbewerber in der Südvorstadt. Die Bauplanungsfirma Ipro Consult stellt dafür einen Raum im Gebäude an der Schnorrstraße zur Verfügung. Gleich gegenüber gibt es seit vergangenem September eine Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge. Dort wohnen bis zu 600 Menschen in drei Großzelten. Doch nicht nur von dort kommen die Schüler zum Deutschunterricht. Heute sitzen 16 von ihnen an den großen Tischen im Konferenzsaal. Sie kommen aus Afghanistan und Marokko, einer der Männer stammt aus Venezuela. Bei Nadja Laske lernen sechs Schüler. „Wann hast du Geburtstag?“, fragt sie einen. „Ich habe am vierzehn Juli Geburtstag“, antwortet der junge Mann. Die Antwort kommt prompt. „Vierzehnten“, korrigiert sie ihn. Die Sache mit dem Punkt ist auch für die anderen am Tisch schwer zu verstehen.

„Wir müssen Geduld haben“, sagt Nadja Laske. Ausgebildete Pädagogen sind viele der Helfer nicht. Wie viele Ehrenamtliche in Dresden probieren sie es trotzdem. Und kämpfen mit kleinen Schwierigkeiten. Nicht jeder Schüler kommt pünktlich zum Unterricht. Einige von ihnen sind nach wenigen Wochen schon in eine andere Unterkunft fern der Südvorstadt gezogen. „Dann hört man gar nichts mehr von ihnen“, sagt Nadja Laske. Die Gruppen, in denen die ehrenamtlichen Lehrer unterrichten, sind stets anders zusammengesetzt. Einfach das Gelernte aus der Vorwoche zu wiederholen und weiterzumachen, ist dann schwer. Nicht jeder spricht Englisch. Dann wird mit den Händen kommuniziert. Und einige Flüchtlinge fangen ganz von vorn an. Sie müssen erst einmal das Alphabet lernen. Jede dieser Deutschstunden bringt neue Herausforderungen.

Dennoch ist die Motivation der Helfer groß. Auch weil sie Erfolge sehen. Viele der Schüler schreiben emsig mit, wenn es um die Monate, Jahreszeiten und Körperteile geht. Sie notieren Vokabeln, den passenden Artikel und sogar grammatische Regeln. Stifte und Papier stellt die DDV Mediengruppe. Vor den Feiertagen wurde zudem eine kleine Weihnachtsfeier organisiert und dabei wurden die Vokabeln rund ums Fest gelernt.

Nach anderthalb Stunden endet der Unterricht. Auch für drei junge Afghanen, die am Nachbartisch mit Lehrerin Karen Reimann schon ganz gut Deutsch sprechen. Sie blättern in einem Kinderbilderbuch und erzählen ihr, was sie dort sehen. Immer wieder werden die Sätze wiederholt. „Das Sprechen ist am wichtigsten“, sagt Karen Reimann. „Die Grammatik kommt später.“ Genau wie die Sache mit dem Punkt.