Merken

Der Ossi, das undankbare Wesen

Unter dem Titel Perspektiven veröffentlicht die Sächsische Zeitung kontroverse Essays, Kommentare und Analysen zu aktuellen Themen. Texte, die aus der ganz persönlichen Sicht des Autors Denkanstöße geben, zur Diskussion anregen sollen.Heute: Wie sieht das Bild der „„Ossis“ in den westdeutschen Medien seit der Wende vorzugsweise aus? Professor Rainer Gries von der Uni Jena meint, dass bis heute alte Vorurteile und Denkmuster immer wieder neu reproduziert werden.

Teilen
Folgen

Von Rainer Gries

Zehn Tage nach dem Fall der Berliner Mauer und der Öffnung der deutsch-deutschen Grenze erschien im Nachrichtenmagazin Spiegel die erste Werbeanzeige, die das revolutionäre Geschehen thematisierte: Das Werbebild zeigt eine ostdeutsche Familie, mit einhundert Westmark „Begrüßungsgeld“ auf Einkaufstour in der Bundesrepublik. Zu sehen war die Begegnung einer Trabi-Familie mit einem kleinen Westwagen, mit einem Fiat Panda, der – so die Werbung – „tollen Kiste“. Es ist die Begegnung von Ostbürgern mit einem Symbol des Westens – in Szene gesetzt von einer westdeutschen Werbeagentur. Ihr Geschäftsführer erzählte später: „Ich fahre da immer am Arbeitsamt vorbei und habe dort eine Menge DDRler mit ihren Trabis gesehen, lauter authentische Models.“ Nach einem improvisierten Casting sei das Foto geschossen worden. „Denen haben wir was draufgelegt beim Begrüßungsgeld.“

Die Erzählung des Kreativen spiegelt sich in der Annonce wider: Voller Sehnsucht himmeln die provinziellen Menschen aus dem Osten selbst einen italienischen Kleinwagen an. Es wird sofort deutlich, dass hier zwei Welten aufeinandertreffen: Die westliche Welt repräsentiert Power und Fülle; der Westwagen, und sei er auch noch so klein, wird zum Maß aller Dinge. Die östliche Welt dagegen steht für Schwäche und Defizite, die Ostdeutschen sind die anderen.

Diese erste Einheitsanzeige ist charakteristisch für das Bild von den Ostdeutschen, das westdeutsche Medien seit 1989 kolportieren – in Zeitungen und in Zeitschriften, im Fernsehen, in redaktionellen Beiträgen, in Berichten und Kommentaren.

Die großen westdeutschen Medien haben während der letzten zwanzig Jahre immer wieder aufs Neue dieses Image von den Ostdeutschen und von den fünf neuen Bundesländern re-produziert. Es gibt eine gültige Einstellung: West und Ost begegnen sich nicht auf Augenhöhe. Wir sind die einen, wir im Westen verfügen über den Wohlstand und über das Know-how, wir sind die Gebenden. Die Ostdeutschen sind die anderen, sie sind die Nehmenden, denen man helfen und die wir womöglich auch tadeln müssen.

Fremdenfeindlich, unsicher, unbeweglich und unzufrieden

Nehmen wir ein Format aus dem Fernsehen. Fremdenfeindlich, unsicher, unbeweglich und unzufrieden – das sind Eigenschaften, die den Ostdeutschen häufig im ARD-Politmagazin Kontraste zugeschrieben wurden. Und weiter: Ostdeutsche können sich nicht mit der Marktwirtschaft anfreunden, nicht mit Geld umgehen, sie kommen mit der Demokratie nicht klar, sie sind zu sehr mit ihrer Heimat verbunden, sie sind daher unflexibel und zeigen sich undankbar.

Diese Zuschreibungen tauchen in unterschiedlicher Zusammenstellung immer wieder auf. Selbstverständlich gestalten unterschiedliche Medien dieses Thema auf unterschiedliche Art und Weise.

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung beispielsweise sieht die Probleme der Vereinigung zumeist aus einer politischen Perspektive, also von oben. In den Kommentaren aus Frankfurt am Main heißt es dann vereinfacht gesagt: Wir Westdeutschen haben durch die Transferleistungen im Osten eine hochmoderne Infrastruktur aufgebaut, aber die Ostdeutschen bleiben unzufrieden, undankbar und ungerecht. Sie sind politische Nostalgiker, die der DDR nachtrauern.

Die alternative „tageszeitung“ hatte einen anderen Zugang. Sie schaute sich gleich nach dem Mauerfall Land und Leute ganz genau an, beobachtete das Geschehen also von unten. In den 90er-Jahren veröffentlichte die taz gerne Reportagen über die einfachen Leute, die Menschen vor Ort. Mit der Zeit aber stellten die Journalisten fest, dass die Ostdeutschen nicht von einer gesellschaftlichen Umgestaltung nach ihren Vorstellungen träumten. Das anfänglich wohlwollende Interesse wich, als klar wurde, dass die ostdeutschen Revolutionäre nicht den Idealen der taz, sondern den Idolen der westdeutschen Konsumgesellschaft folgten. Fortan porträtierte diese Zeitung die Ostdeutschen daher gerne als von der Diktatur deformierte, autoritäre Persönlichkeiten.

Objekt politischer Aktivitäten des Westens

Quantitative Analysen zeigen, dass in Berichten über Ostdeutschland zumeist Gewalt und Kriminalität, Partei- und Innenpolitik sowie Ökonomie und Geschichte problematisiert wurden. Bei den Politik- und Wirtschaftsthemen erschienen ostdeutsche Länder und Regionen zumeist als passiv: als Objekt politischer Aktivitäten des Westens oder als Empfänger von Zuwendungen. Und wenn es um Geschichte ging, dann dominierte die Staatssicherheit und ihre Akten.

Selbstverständlich galt es, präzise und ausgiebig über die DDR-Diktatur zu berichten. Was wir aus unseren Erhebungen herauslesen können, ist jedoch, dass es an einer differenzierten Berichterstattung aus Ostdeutschland mangelt: Ostdeutsche sind demnach stets passive Figuren, denen aus Westdeutschland das Feuer gebracht wird. Das stimmt natürlich nicht, wenn man genauer hinschaut. Mit den Jahren verfestigte sich so ein negatives Bild vom Ostdeutschen, vom „Ossi“, das bis heute Bestand hat. Was aber bedeuten diese Befunde?

Wenn ich etwas über den anderen aussage, sage ich im selben Atemzug auch etwas über mich selbst aus. Das, was die großen Westmedien bei den Ostdeutschen wahrnehmen, sind Fehler und Mängel, von denen sie glauben, dass sie sie überwunden haben: Dort sind inaktive, autoritätshörige und jammernde Ostdeutsche – wir im Westen aber sind das Gegenteil. Man spaltet das eigene Unerwünschte oder Überwundene ab - und schreibt es den anderen zu. Das ist der sozialpsychische Sinn solcher Muster.

Man kann daher aus der Art der Berichterstattung mehr über die westdeutschen Journalisten, ihre Leser und ihre Zuschauer herauslesen als über die Ostdeutschen.

Über vierzig Jahre kommunizierten die Deutschen in Ost und in West nicht nur aber auch über den Versand von Paketen. Auch hier finden Sie dieses Muster wieder: Die Westdeutschen lebten im Wohlstand und waren die Gebenden – die Ostdeutschen schauten voller Sehnsucht gen Westen und waren die Nehmenden, die dankbar sein sollten. Das Schema, das wir nach 1989 in den Medien erkennen können, entpuppt sich als eine Fortsetzung des deutsch-deutschen Päckchenmusters! Diese Päckchenmentalität existiert bis heute.

Sozialpsychologisch gesehen, stabilisierte dieses Muster beide Seiten. Die Fiat-Anzeige macht es deutlich: Das westdeutsche Fremdbild beinhaltet auch Elemente des ostdeutschen Selbstbildes. Der Westen konnte und kann sich so immer wieder in seiner Position als potenter Wohltäter bestätigt fühlen - und der Osten konnte und kann aufgrund dieses seit einem halben Jahrhundert eingeübten Musters Forderungen gen Westen erheben.

Literaturhinweis: Thomas Ahbe, Rainer Gries, Wolfgang Schmale (Hg.): Die Ostdeutschen in den Medien. Das Bild von den Anderen nach 1990, Leipziger Universitätsverlag, 2009.