Merken

Der Öko bin ich

Jörg Köllner betreibt den einzigen Bioladen Freitals. Auch mit seiner Familie versucht er, klimaneutral zu leben.

Teilen
Folgen
NEU!
© Karl-Ludwig Oberthür

Von Franz Werfel

Freital. Es sind immer die anderen, die die Erde und die Zukunft versemmeln. Mit weißer Kreide steht dieser Satz auf einer alten Tafel in Freital-Deuben geschrieben. Die Tafel ist an ein Eckgeschäft gelehnt, direkt neben der Weißeritz. Das Geschäft namens Bio Quant gehört Jörg Köllner.

Drinnen ist es kalt, der Boden und teilweise auch die Wände sind gefliest. Früher war hier eine Fleischerei untergebracht. „Ich heize eigentlich nie“, sagt Jörg Köllner. Der 45-jährige Dresdner – in selbst gestricktem Öko-Pulli, Cordhose, Brille, Dreitagebart – hat sein Geschäft seit 2002. Es war der erste Bioladen Freitals – und ist bis heute der einzige. Hier finden Kunden rund tausend Produkte, alles, was man zum Leben braucht: saisonales Gemüse, Brot, Brötchen, Schokolade, Backzutaten wie Mehl, Butter und Eier, Käse, Milch, Gewürze, ja sogar Wein kann man hier kaufen. Etwa ein Drittel aller Lebensmittel stammen aus der näheren Umgebung. Und alles ist bio.

Das heißt, dass die Nahrungsmittel aus einer nachhaltigen Anbauweise stammen und ohne Zusatzstoffe auskommen. Dafür haben sie die entsprechenden Zertifikate bekommen. Neben den bekannten Biomarken wie Rapunzel und Demeter ist auch der Biohof Mahlitzsch in Jörg Köllners Geschäft vertreten. Für Köllner ist sein Laden Lebensinhalt und -philosophie zugleich.

Mit seiner Frau und den drei Töchtern lebt er in der Dresdner Neustadt. Sein Geschäft betreibt er nicht wie die meisten anderen Händler. Er verkörpert eine Lebenseinstellung, wenn er hinter seiner Theke steht. Den hohen Anspruch an sich selbst, einen möglichst schmalen ökologischen Fußabdruck auf der Erde zu hinterlassen, ist nicht immer leicht einzuhalten.

So besitzt Jörg Köllner, der von 2006 bis 2009 für die Grünen im Freitaler Stadtrat saß, kein Auto. Mit einem alten Rennrad transportiert er viele seiner Waren aus Dresden nach Freital. Sommer wie Winter, auch bei Wind, Regen und Schnee, geht es bepackt die 14 Kilometer raus aus der großen Stadt. „Dafür brauche ich kein Fitnessstudio“, sagt er. Damit das Rad die Lasten der vollgepackten Fahrradtaschen überhaupt tragen kann, hat Jörg Köllner seine Hinterradachse verstärken lassen.

Lebensstil passt nicht jedem

Sich selbst und seine Familie ernährt er ausschließlich von den Lebensmitteln in seinem Geschäft. Seit 20 Jahren isst er kein Fleisch mehr, die Familie bezieht schon seit Mitte der 1990er-Jahre ihren Strom von einer Ökostrom-Firma und mit dem Flugzeug ist er überhaupt nur einmal in seinem Leben geflogen. „Am liebsten verreisen wir mit der Bahn und dem Fahrrad.“ Seine Abrechnung führt er privat und geschäftlich bei der Bochumer Gemeinschaftsbank für Leihen und Schenken (GLS). „Wer hohe Zinsen erwartet, muss teils unethische Anlagestrategien seiner Bank in Kauf nehmen“, sagt Köllner und meint dabei Investments im Waffensektor oder Spekulationen auf Lebensmittelmärkten. „Bei der GLS-Bank kann ich selbst bestimmen, was die mit meinem Geld machen darf.“

Jörg Köllner hat zweimal studiert. Zuerst machte er, kurz nach der Wende, sein Diplom der Elektrotechnik. Später legte er an der Dresdner Universität noch ein Diplom in Umwelttechnik nach. „Überall, wo wir konsumieren, kann man sich ändern“, sagt Köllner. Das treibt ihn um. Und deshalb wird er auch weiterhin seinen Laden in Freital betreiben. „Bio Quant heißt: ein bisschen Leben“, sagt er. Fast alle Preisschildchen bestehen aus Primzahlen – und die Kunden können hier noch ganz klassisch anschreiben lassen. „Kinder, Schüler und Studenten bekommen bei mir immer zehn Prozent Rabatt.“ Sein eigener Gewinn liege in jedem Monat unter dem Hartz-IV-Satz. Weil er genug Zeit für seine Familie haben will, öffnet er nur zweimal in jeder Woche. Seine vielen Stammkunden aus Freital und Umgebung bleiben ihm treu.

Doch so sehr diese ihren Jörg auch lieben – unumstritten ist er nicht. Seit März sieht der Eingang des Bio Quant etwas anders aus. Am Abend des 13. März, direkt nach der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt, haben Unbekannte auf die Eingangstür einen Farbbeutelanschlag verübt. „Das lass ich absichtlich so, das können die Leute ruhig mal sehen“, sagt Jörg Köllner. Er steht neben seiner alten Schultafel mit dem Kreidespruch drauf und lächelt in die Herbstsonne.

Bio Quant steht an der Weißeritz 15 in Freital und öffnet mittwochs und freitags, von 9 bis 19 Uhr.