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Der Obstgarten für alle

Obst, das am Wegesrand hängt, darf nicht einfach mitgenommen werden. Auch fürs Streuobstsammeln gelten Regeln.

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© Karl-Ludwig Oberthür

Von Annett Heyse

Freital. Ein Herbstmorgen an Freitals Stadtrand, Tau liegt auf der Wiese an der Kohlsdorfer Straße, die hier nur ein Feldweg ist. Katarina Dulson und Marie-Louis Ebert haben sich feste Schuhe angezogen, Klassenkamerad Benjamin Jackwerth kommt in alten Jeans durchs Gras gestapft. Die drei Berufsschüler aus Dresden machen beim „Projekt Streuobstwiese“ mit, organisiert vom Landschaftspflegeverband Sächsische Schweiz-Osterzgebirge. Die Aufgabe der Schüler: Alle Apfelbäume abernten, die Früchte einsammeln und zu Saft verarbeiten. Das würde mancher Anwohner gerne auch tun. Denn viel Obst hängt jetzt auf den Bäumen oder fällt herunter und verfault. Doch was darf man ernten, was nicht? Welcher Baum hat noch einen Eigentümer, der das Obst tatsächlich verwertet? Und was macht Streuobstwiesen überhaupt so besonders? Die SZ beantwortet die wichtigsten Fragen.

Diese Äpfel bei Pretzschendorf will der Besitzer selbst ernten.
Diese Äpfel bei Pretzschendorf will der Besitzer selbst ernten. © Egbert Kamprath

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Was gibt’s beim Streuobst zu beachten?

Warum sind Streuobstwiesen so schützenswert?

Streuobstwiesen sind nicht nur landschaftsprägend, sie haben auch einen hohen ökologischen Stellenwert, weil sie ein einzigartiges Biotop bilden. „Sie sind Lebensraum für Baumhöhlenbrüter wie den Steinkauz, für viele weitere Vögel, für Fledermäuse, Hornissen und andere Insekten wie den Eremiten, Heuschrecken, Wildbienen“, zählt Cordula Jost, Geschäftsführerin des Landschaftspflegeverbandes, auf. Die Tiere profitieren dabei nicht nur von den Bäumen, sondern auch den Gräsern, Kräutern und Wildblumen auf Streuobstwiesen. Zudem wachsen auf solchen Wiesen und an Obstbaum-Alleen viele alte Obstsorten, „eine riesige Genvielfalt“, wie Jost sagt. Denn allein in Deutschland gebe es etwa 600Apfelsorten, die einst gezüchtet und angebaut wurden. Jede Sorte für sich hat besondere Eigenschaften. Jost: „Das ist ein Schatz, den wir bewahren und schützen müssen“.

Wo gibt es in der Region große Streuobstwiesen?

Grumbach wird von Fachleuten gern als „Streuobstwiesen-Hochburg“ bezeichnet. Im und um den Ort herum gibt es etliche solche Flächen sowie Obstbaum-Alleen. Streuobstwiesen gibt es noch in vielen Dörfern, mitunter sind es recht kleine Flächen. Cordula Jost und ihre Mitarbeiter vom Landschaftspflegeverband kümmern sich um Streuobstwiesen in Goppeln, Gombsen, Bannewitz, Kreischa, Hennersdorf, Dittersdorf und demnächst auch in Klingenberg. Klimatisch bedingt liegen die meisten Streuobstflächen in der unteren Region des Landkreises.

Wie steht es um die Streuobstwiesen in Freital?

An den Stadträndern erstrecken sich etliche Streuobstwiesen, so bei Pesterwitz oder zwischen Hainsberg und Rabenau. In Freital-Burgk gibt es eine noch voll bewirtschaftete Streuobstwiese, die von einem Privatmann gepachtet ist. Dort weiden wie in alten Zeiten Schafe und Ziegen die Gräser ab, das Obst wird vom Pächter geerntet und verwertet. Auch die Stadt besitzt einige Streuobstflächen. „Ein Teil sind zur Pflege, also Baumschnitt und Ernte, vergeben“, sagt Stadtsprecher Matthias Weigel. Das betreffe beispielsweise ein Areal an der Zschiedge. Generell mäht das Grünflächenamt der Stadt die Streuobstflächen und schneidet auch die Äste zurück. Eine Ernte erfolgt jedoch nicht. „Gern können sich aber Bürger an uns wenden, die für Ihren Eigenbedarf unsere Bäume abernten wollen“, sagt Weigel. Das betrifft zum Beispiel auch etliche Obstbäume entlang der Butterstraße bei Somsdorf. Ein Teil der Bäume wächst auf städtischen Flurstücken. Weigel: „Da hier aber die Grundstücksgrenzen springen, muss genau geschaut werden, welche Bäume der Stadt gehören und abgeerntet werden können.“

Welches Obst darf geerntet werden, welche Bäume sind tabu?

„Die Regel ist: fragen“, sagt Andie Arndt, Sprecherin der übers Internet organisierten Plattform „Mundraub“. Denn jeder Baum hat Eigentümer. Das können Privatbesitzer sein oder auch Kommunen, wenn die Obstbäume und Sträucher auf öffentlichem Grund und Boden stehen. In ländlichen Gebieten wiederum komme es häufig vor, dass Flächen mit Obstbäumen verpachtet sind. Arndt: „Am besten fragt man im Grünflächenamt der Stadt beziehungsweise Gemeinde nach oder bei der Unteren Naturschutzbehörde des Landkreises.“ Manche Eigentümer beugen schon mal vor. In Pretzschendorf beispielsweise, wo am Weg vom Flugplatz in Richtung Talsperre ein Apfelbaum dicke Früchte trägt. Allerdings hängt am Stamm auch ein Hinweis: „Dieser Baum wird vom Eigentümer geerntet! Bitte keine Äpfel mitnehmen!“

Darf offensichtlich unbeachtetes Obst mitgenommen werden?

Nein, auch hier gilt wieder: fragen. „Mitunter lassen Eigentümer auch das Obst für die Tiere liegen“, erklärt Andie Arndt. Grundsätzlich tabu sind Bäume in eingezäunten Arealen. „So weh das manchmal auch tut, dass das Obst dort verfault: Wo ein Zaun ist, darf man nicht ernten oder einsammeln, das wäre Hausfriedensbruch und Diebstahl“, sagt Andie Arndt.

Was ist mit Obstbäumen und Sträuchern in öffentlichen Anlagen?

Die Städte und Gemeinden haben oft nicht die Kraft, die Ernte einzufahren. Freigegeben sind die Bäume im Freitaler Windbergpark. Dies ist eigentlich keine zielgerichtet angelegte Streuobstwiese. Vielmehr sind die Äpfel-, Birnen- und Kirschbäume ein Überbleibsel der ehemaligen Kleingartenanlage. „Diese sind frei zugänglich und können gern für den Eigenbedarf abgeerntet werden“, heißt es aus dem Rathaus.

Wer sind die „Mundräuber“ und wie kann man sich einbringen?

Die Internetplattform hat es sich zur Aufgabe gemacht, Obstbäume und Sträucher aufzulisten, die geerntet werden dürfen. Über eine Karte kann man einen Standort eingeben und sich anzeigen lassen, wo Obst gepflückt werden kann. Wer sich registriert, kann auch selbst noch nicht aufgelistete Standorte von Obstgehölzen beschreiben. Dabei gibt es Regeln. So muss jeder Mundräuber genau recherchieren, ob der Eigentümer einverstanden damit ist, dass Fremde seinen Baum oder Strauch abernten.

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