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Der nette Bösel

Der Box-Profi gilt als der moderne Henry Maske, doch zunächst muss er in Dresden Europameister werden.

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© René Meinig

Von Alexander Hiller

Dresden. Eine Frau hält verdutzt beim Einkaufsbummel inne: „Gugge mal, das is ja een Hibbscha“, sagt sie hinter vorgehaltener Hand zu ihrer Begleiterin, vermutlich ihre Mama. Der Hübsche sitzt mitten im Elbepark auf einem Podium zur Pressekonferenz. Zu der hat der Magdeburger Boxstall SES eingeladen, um die Kampfnacht am Sonnabend in der neuen Dresdner Ballsportarena zu bewerben.

Dort ist dieser junge Mann mit der markant schiefen Nase und dem gepflegten Vollbart der Hauptkämpfer. Dominic Bösel trifft im Duell um den vakanten EM-Titel im Halbschwergewicht auf seinen deutschen Rivalen Karo Murat. In der dritthöchsten Gewichtsklasse des Profiboxsports eine reizvolle Ansetzung. Hier der ehemalige WM-Herausforderer Murat (33), dort der aufstrebende Sachsen-Anhaltiner (27), den sein Promoter Ulf Steinforth gern in die Fußstapfen von Henry Maske schicken würde. Jenem Ausnahmekönner aus Frankfurt an der Oder, der nach einer beispiellosen Amateurkarriere in der DDR mit Olympiasieg und Weltmeistertitel in den 1990er-Jahren das Profigeschäft im wiedervereinigten Deutschland aus der Schmuddelecke holte.

In der Tat wirkt Bösel in einigen Momenten wie eine moderne Version von Maske – zumal er sportlich in derselben Gewichtsklasse antritt. Im Ring technisch ästhetisch, vorausschauend, antizipierend. Ein gepflegter Mann mit Stil und guten Manieren. Den rüden Rempler von Murat beim üblichen Auge-in-Auge-Szenario steckt Bösel ohne Revanchefoul weg. Schwächer als sein Gegenüber wirkt er dadurch nicht. „Ich bin eben ein netter Typ“, erklärt Bösel achselzuckend. „Er ist, auch wenn sich das abgedroschen anhört, ein anständiger Junge. Seriös, ordentlich, sehr fleißig, ein sympathischer Mensch, der das Herz auf dem rechten Fleck hat. Ein hübscher Bengel, damit kann man sich natürlich schmücken“, sagt Ulf Steinforth.

Und einer, der sich bewusst als einer von hier sieht und versteht. Aus dem Osten. Bösel wurde im Herbst 1989 in Naumburg geboren. Heute lebt er in Freyburg an der Unstrut als einer von knapp 4 800 Einwohnern. Dort findet Bösel seine Ruhe – und die ist ihm sehr wichtig. Bereits mit fünf Jahren streifte er sich die Boxhandschuhe über. „Meine Mutti musste arbeiten, mein Papa als Boxcoach zum Training. Da musste ja jemand auf mich aufpassen, ich musste also mit Papa mit und bin da am Ring rumgerannt“, sagt Bösel.

Seine Amateurkarriere beginnt früh, endet aber schnell. Fünfter der Junioren-EM, zweifacher deutscher Meister, in der 2. Bundesliga trat er für den SV Halle an. Dann streckte SES die Fühler nach dem Talent aus. „Ich habe ihn als Amateur öfter kämpfen gesehen, kenne auch seinen Vater. Er war fürs Boxen so gut wie weg, hatte sich mit Trainern überworfen“, erklärt sein jetziger Coach Dirk Dzemski.

Mit 20 unterzeichnete Bösel seinen ersten Profivertrag. „Ich wollte schon viel früher Profi werden, aber meine Eltern waren dagegen. Ich sollte erst mal eine Ausbildung machen“, erzählt der 27-Jährige und schmunzelt. Bösel lernte Industriekaufmann, das gilt zweifellos als etwas Ordentliches. Doch nun gilt er als der verheißungsvollste WM-Anwärter im deutschen Profiboxen. Alle seiner bisher 24 Kämpfe hat er gewonnen. In drei von vier Ranglisten der bedeutenden Weltverbände (IBF, WBO, WBA) steht Bösel mindestens auf Platz sechs, ein EM-Titel würde ihn auch in der WBC-Rangliste unter die Top 15 bringen. „Wenn er Karo Murat besiegt, ist er in einer Liga, aus der ihn so schnell keiner verdrängen kann“, glaubt Dzemski.

Trainer und Bösels Promoter zählen fast identisch die Vorzüge ihres Aushängeschilds auf. „Ihn treibt ein Ehrgeiz nach vorn, der außergewöhnlich ist. Er kann bei nix verlieren. Eine sehr, sehr schöne Eigenschaft für einen Sportler. Dominic ist ein smarter Junge, ein cleveres Kerlchen“, betont Dzemski. „Boxerisch kann man ihn präsentieren, aber auch als Mensch. Der Sport lebt von Sympathie, Sport und Entertainment. Ja, er ist ein Typ, den man verkaufen kann“, erklärt Ulf Steinforth, der natürlich weitreichendere Pläne mit dem Vorzeigeprofi verfolgt. „Wenn er die EM holt, hat er alle Chancen, in relativ kurzer Zeit um die WM zu boxen“, kündigt er an.

Daran wagte Bösel vor sieben Jahren selbst nicht zu denken – bei seinem Profidebüt in Dresden. Den in seiner überschaubaren Karriere ohne Sieg gebliebenen Patrick Naumann schickte er damals in der ersten Runde auf die Bretter. „Ich war aufgeregt wie Sau, renne in den Kampf rein, das erste Mal oben ohne Leibchen, boxe da ein bisschen und dann fällt der einfach um und war völlig weg.“ Den Hauptkampf vor sieben Jahren bestritt Robert Stieglitz um die WM-Krone im Super-Mittelgewicht. „Da dachte ich: Mensch, das ist ganz weit weg, ob du da mal hinkommst?“ Mittlerweile kämpft Bösel auf dem Niveau und ist nur ein, zwei Siege von der WM-Chance entfernt.