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Der Nächste, bitte

Der Gynäkologe Gerold Dittrich geht nach 35 Jahren als Arzt in Rente. Seine Praxis in Neustadt läuft trotzdem weiter.

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© Dirk Zschiedrich

Von Katarina Gust

Neustadt. Wie viele Babygesichter ihn schon auf dem Ultraschallbild angelächelt haben? Gerold Dittrich kann es nur schätzen. Hunderte, womöglich Tausende Frauen hat der Neustädter Gynäkologe in den vergangenen 35 Jahren in der Schwangerschaft begleitet. Manche Babys von einst, die er per Ultraschall untersucht hat, kommen nun als erwachsene Frauen in seine Praxis – mit einer dicken Murmel unterm T-Shirt. Dr. Gerold Dittrich wird seinen Patientinnen aber nur noch bis Ende Juni gegenübersitzen. Der 62-Jährige wird sich in den Ruhestand verabschieden. „Eine Entscheidung, die ich mir nicht einfach gemacht habe“, sagt Dittrich. Viele seiner Patienten begleitet er schon seit Jahrzehnten.

1990 wagte er sich in die Selbstständigkeit und eröffnete eine eigene Praxis in Neustadt. Zuvor arbeitete er unter anderem an der Uniklinik in Dresden und dem Sebnitzer Klinikum, Ende der 80er-Jahre als Facharzt für Gynäkologie in einer Ambulanz in Neustadt. Direkt nach der Wende folgte die eigene Praxis. Gerold Dittrich war damit der erste niedergelassene Frauenarzt im damaligen Landkreis. „In der Zeit ist eine besondere Bindung zu meinen Patienten entstanden“, erzählt der Mediziner, der sich ausdrücklich für deren Treue bedankt. Er sei immer gerne für sie da gewesen. Umso schwerer fällt es ihm deshalb, den Arztkittel beiseitezulegen.

Nicht ganz unschuldig daran ist Dr. Mamdouh Anne. Der 40-Jährige wird die Praxis von Gerold Dittrich ab Juli übernehmen. Der Facharzt für Gynäkologie hatte den Stein ins Rollen gebracht – mit einem kleinen Anruf. Vor gut einem Jahr meldete sich Anne bei seinem Kollegen. Und bot an, dessen Praxis weiterzuführen, sollte sich Gerold Dittrich irgendwann in den Ruhestand verabschieden. Mamdouh Anne arbeitete zu dieser Zeit noch am Sebnitzer Krankenhaus. Damals, im April 2015, wurde überraschend die Geburtsstation der Klinik geschlossen. Viele Fachkräfte hätten daraufhin Sebnitz verlassen. „Auch ich wollte mich beruflich neu aufstellen“, sagt Mamdouh Anne. Zusammen mit seiner Frau Stefanie und den drei Kindern wollte er allerdings in der Region bleiben. „Wir haben in Sebnitz ein Haus gebaut, sind hier verwurzelt“, erzählt er. Eine eigene Praxis in Neustadt, das wäre ein Glücksgriff für ihn.

Bei dem unverbindlichen Anruf blieb es nicht. Gerold Dittrich setzte sich nach dem Gespräch mit seiner Frau zusammen. Soll er oder soll er nicht? Schließlich ist seine Praxis eine Art Lebenswerk. In den nächsten Jahren werde das Thema ohnehin aufkommen. Dann müsse sich Dittrich selbst um die Nachfolge kümmern. Ein Thema, das zum Problem werden könnte. „Denn einen Nachfolger zu finden, ist bei Ärzten auf dem Land immer schwierig.“ Das zeigen Beispiele anderer Kollegen. Er entschied deshalb, die Chance zu nutzen. Über ein Jahr lang hat es nun gedauert, bis die Übergabe abgewickelt wird.

Vertrauensvolles Miteinander

Seit Anfang Juni schaut Mamdouh Anne Gerold Dittrich bereits bei der Arbeit über die Schulter. Er konsultiert, um sich mit den Abläufen vertraut zu machen, Patienten kennenzulernen und Krankengeschichten. „Es dauert sicherlich noch, bis ich meine eigene Routine finde“, sagt der 40-Jährige. Die neue Aufgabe unterscheide sich doch sehr von seiner bisherigen Tätigkeit in der Sebnitzer Klinik. Schützenhilfe bekommt er dabei von der Arzthelferin, die bereits für Gerold Dittrich gearbeitet hat. Mamdouh Anne wird sie mit übernehmen. „Denn sie ist Gold wert“, weiß sein Vorgänger.

Dr. Anne selbst bringe ebenfalls die besten Voraussetzungen mit, um sich um den Patientenstamm zu kümmern. Vor 14 Jahren begann der gebürtige Syrer seine Arbeit an der Sebnitzer Klinik. 2009 absolvierte er seinen Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe. Zusatzausbildungen in der Palliativmedizin und Mammachirurgie, die sich mit der Diagnostik und Behandlung von gutartigen und bösartigen Erkrankungen der Brustdrüse beschäftigt, runden seine Fachausbildung ab. „Ich werde auch die spezielle Brustdiagnostik von Dr. Dittrich weiterhin anbieten“, kündigt er an. Die weibliche Brust wird dabei per Ultraschall untersucht. Anders als bei einer Mammografie, bei der der Körper Röntgenstrahlen ausgesetzt wird. Die Untersuchung sei zwar aufwendiger und erfordere viel Erfahrung. Bei diesem Verfahren käme es aber zu keiner Strahlenbelastung. Vor allem für jüngere Frauen sei das von Vorteil.

Mamdouh Anne will neben dem Praxisalltag weiter operativ arbeiten. In welcher Klinik, stehe noch nicht fest. Die Verhandlungen laufen noch. Einen Tag pro Woche etwa will er selbst als Kooperationsarzt am OP-Tisch stehen. Für die Patienten sei das ein Vorteil. Sie würden in der Praxis voruntersucht und könnten sich bei Bedarf vom gleichen Arzt operieren lassen.

Gerold Dittrich könnte sich vor diesem Hintergrund getrost in den Ruhestand verabschieden. Langweilig wird dem 62-Jährigen aber ab Juli nicht. Er will sich weiter mit um die Hautarztpraxis seiner Frau Kerstin Dittrich kümmern, mit der er sich die Räumlichkeiten teilt. Allerdings nur, was Papierkram und Buchhaltung angeht. Dabei greift er seiner Gattin schon länger unter die Arme. Aufgrund des Rückzugs als Vertragsarzt wird die Gemeinschaftspraxis formal aufgelöst. Kerstin Dittrich führt ihre Praxis eigenständig weiter. Für ihre Patienten ändert sich dadurch nichts.