Merken

Der Multi-Musiker

Alexej Bröse lässt Glocken klingen und Sägen singen, schlägt Becken, Drums und riesige hölzerne Kisten.

Teilen
Folgen
NEU!
© Sven Ellger

Von Nadja Laske

Nüchtern betrachtet ist Tramp ein Unbekannter. Wenn die Kirchenglocken den neuen Tag einläuten, bleibt nichts vom Rausch der letzten Nacht. Dann blüht dem Landstreicher der nächste Tritt. Eben noch hat ihn der Millionär in Charlie Chaplins Kinofilm „Lichter der Großstadt“ besoffen umarmt, jetzt greift er sich an den dumpfen Kopf und setzt seinen Saufkumpel vor die Tür. Tramp trollt sich, wartet auf die nächste Chance, das Leben zu gewinnen.

Das Glockengeläut kommt von ganz hinten links. Dort steht Alexej Bröse vor einem silbern glänzenden Instrument. Es erinnert an eine Orgel, doch statt Pfeifen Töne abzuringen, bringt der Musiker Röhren zum Klingen. Sie können zum Gottesdienst rufen oder zum Almabtrieb. „An diesen Röhrenglocken entstehen alle möglichen Glockenklänge“, sagt Alexej Bröse. Er ist Schlagzeuger der Dresdner Philharmonie und hat gerade zusammen mit all seinen Kollegen drei Aufführungen des Chaplin-Streifens im Kulturpalast musikalisch begleitet. Nun stehen schon wieder neue Proben an – für den Part des Orchesters im Programm der Hope-Gala.

Ohne Schlagwerk kein Sinfonieorchester. Streicher, Holz- und Blechbläser sind viele, aber nicht genug. Schlagzeuger und Pauker bedienen sämtliche Instrumente, die weder geblasen noch gestrichen werden. Je nach Komposition umgeben Alexej Bröse an seinem Arbeitsplatz im hintersten Teil des Klangkörpers Vibrafon, Xylofon und Glockenspiel, Becken und Trommeln. Immer häufiger sitzt er auch am Drumset. Zum Beispiel, wenn die Philharmonie Filmmusiken spielt oder sich für Musikprojekte jenseits der Klassik bewegt.

Vor acht Jahren kam Alexej Bröse nach Dresden. Da lagen sein Studium an der Berliner Musikhochschule Hans-Eisler, die Arbeit im Jugendorchester der Europäischen Union und Engagements am Nationaltheater Mannheim hinter ihm. Als Gast hatte er regelmäßig im Symphonieorchester des Bayrischen Rundfunks, bei den Berliner Philharmonikern und in der Staatskapelle Dresden gespielt. Geht der 35-Jährige noch ein paar Schritte weiter in seiner Vita zurück, muss er sich eingestehen: Er hätte auch etwas ganz anderes werden können.

Posaunist oder Punkrocker. Motocrossfahrer oder Skialpinist. Mindestens aber Pianist. Mit etwa sieben Jahren begann er Klavier zu spielen, ohne all zu großen Enthusiasmus. „Mehr, weil mein Vater Dirigent ist und es als Kind einfach dazu gehörte“, sagt Alexej Bröse. Etliche Jahre hielt er durch, dann lockte ihn Neues: Gitarre, Posaune, alles nicht lange. „Immer dann, wenn es schwieriger wurde, habe ich das nächste ausprobiert.“ Heute profitiert der Musiker von diesen Halbherzigkeiten. „Der Zeit verdanke ich ein gutes Instrumentenverständnis. Das hilft mir im Zusammenspiel mit anderen.“

Mit Pauken und Trompeten sagte schließlich der pubertierende Alexej der Musik eine Weile ganz Adé. „Erst mit
16 Jahren habe ich das Schlagzeug für mich entdeckt“, erzählt er. Ohne es zu wissen war er in ein Konzert geraten, das junge Leute für den Musikerberuf bgeistern sollte. „Die Schlaginstrumente faszinierten mich völlig. Nach dem Konzert ging ich zum erstbesten Musiker, um ihn darüber auszufragen.“ Dass er ausgerechnet Professor Edgar Guggeis vor sich hatte, ahnte er zunächst nicht. Dem wiederum gefiel das unverstellte „Eh du, sag doch mal...“ des Teenagers. Er glühte vor Begeisterung und schien talentiert – was brauchte es mehr, um Schüler des Musikgymnasiums und später Musikstudent zu werden? Damit begann Alexejs beruflicher Weg, der immer wieder unerwartet abbog, etwa als Professor Guggeis starb. Als Lehrer und Förderer hatte er seinen Schüler stark als angehenden Soloschlagzeuger geprägt. Nun erschloss sich Alexej Bröse die Orchesterarbeit. „Ich habe dadurch früh gelernt, dass von einem Tag zum anderen alles anders sein und eine neue Orientierung nötig sein kann“, sagt er.

Vielfältigkeit verlangt ihm sein Musikerleben inzwischen alltäglich ab. Allein die Zahl der verschiedenen Instrumente, die er beherrschen muss, sind ständige Herausforderungen. Neben seinen großen Instrumenten warten auf extra Ablagen ganz kleine auf ihren Einsatz: Kastagnetten, Tamburin, Triangel, Rassel. Auch Klangschalen, von Zahnputzbecher- bis zu Eimergröße, gehören dazu. Echte Kuhglocken und die imposante Mahlerkiste, benannt nach dem Komponisten Gustav Mahler. Ihr dumpfer Klang markiert in dessen 6. Sinfonie Schicksalsschläge. Dafür lässt Alexej Bröse einen rund zehn Kilogramm schweren Holzhammer auf die Holzkiste niedergehen. Selbst singende Sägen und Waschbretter bringt er zum Klingen und zahlreiche Instrumente aus der asiatischen oder orientalischen Kultur, deren Namen nur schwer auszusprechen sind. „Es wird nie langweilig“, sagt Alexej.

Auch nicht, wenn er im Vergleich zu Streichern und Bläsern wenig zu spielen hat. „Das ist eine Frage der Konzentration“, sagt er. Weder dürfen ihm während eines Konzertes die Gedanken davonlaufen, noch ist es gut, unentwegt alle Nerven zu strapazieren. Dann fehlten ihm womöglich im entscheidenden Moment Kraft und Intensität – und dem Orchester die Würze: „Wir sind Salz und Pfeffer der Musik.“

Die Dresdner Philharmonie unterstützt die Hope-Gala am 28. Oktober, 19 Uhr, im Kulturpalast. Die Benefizgala ist ausverkauft, wird aber auf dem Altmarkt live auf Leinwand übertragen. Ab 15 Uhr gibt es dort erstmals ein großes Hope-Kinderfest.