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Der moderne Samurai

Wir hatten einen Traum von Hoffnung und Zufriedenheit. Aber es wurde ein Albtraum daraus, und die Hoffnung ging verloren.

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© Sven Ellger

Von Ghith Al Haj Hossin

Eines Tages fragte ein Samurai einen buddhistischen Mönch: Was ist die Hölle, und was ist das Paradies? Der Mönch antwortete ihm: Du bist dumm, geh weg! Der Samurai wurde ärgerlich und zückte sein Schwert. Der Mönch sagte: Das ist die Hölle. Der Samurai verstand die Bedeutung und beruhigte sich wieder. Daraufhin sagte der Mönch: Und das ist das Paradies.

Der Mensch träumt vom Paradies im Himmel, aber er baut die Hölle auf Erden.

Syrer wissen sehr gut, was die Hölle und das Paradies sind. Das Kind, das früher mit einem Drachen auf der Straße gespielt hat, ist heute Ziel von Kampfjets aus verschiedenen Nationen. Und der Mann, der nach Hause zurückkehrt, sieht, dass sein Haus zerstört und seine Familie gestorben ist, wegen einer Rakete. Diese Szenen sind in vielen syrischen Städten normal geworden, weil die Regierungen der Welt sich nicht interessieren. So scheint die Flucht für die Syrer wie ein Paradies. Aber eigentlich wissen sie, dass es kein Paradies auf Erden gibt.

Manchmal schäme ich mich oder bin peinlich berührt, wenn meine Eltern oder Freunde mich anrufen und mir von ihren Schwierigkeiten erzählen. Oder wenn ich Fotos von Syrern im Lager in Libanon, in der Türkei oder in Jordanien sehe.

Syrische Kinder haben vor allem einen Wunsch: keine Kriege mehr auf der Welt.Sie haben einen Traum, der vielleicht unerreichbar ist. Aber sie haben das Recht zu versuchen, den Traum zu realisieren.

Ursprünglich führten Menschen Krieg, um ihr Land gegen Angreifer zu verteidigen. Heute geht es um die Interessen der Waffenindustrie. Sie ist ein fester Bestandteil der Volkswirtschaft der Industrienationen. Angebot und Nachfrage bestimmen diesen Industriezweig wie jeden anderen. Aber in diesem Fall gibt es Opfer, die selber keine Waffen haben und oft nur als Zahlen in den Nachrichten wahrgenommen werden.

Der moderne Samurai ist ein militanter Profi. Er hat Maschinengewehre und ruft seinen Befehlshaber über Satellit an. Und wenn er Tausende Kilometer weit fliegt, um in einem anderen Land Krieg zu führen, weiß er kaum etwas von denjenigen, die darunter leiden. Vielleicht ist auch ein Mönch unter den Menschen, die er bekämpft und tötet.

Ghith Al Haj Hossin ist 46 Jahre alt und stammt aus der Stadt Hama bei Homs. In Syrien hat er als Kulturjournalist und Lektor gearbeitet. 2014 kam er mit seiner Frau und den beiden Töchtern nach Deutschland. Zurzeit absolviert er bei der Sächsischen Zeitung ein Praktikum. Seine Texte für die Kolumne schreibt er selber auf Deutsch, die Redaktion unterstützt ihn bei Orthografie und Grammatik.