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Der Mann vom Stellwerk

Christian Erler hat viele Jahre auf dem Nord-Bahnhof in Heidenau gearbeitet. Jetzt ist er dabei, wenn ein Stück Bahngeschichte verschwindet.

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© Katja Frohberg

Von Heike Sabel

Heidenau. Von da oben hatte man eine tolle Sicht. „Mit einem guten Fernglas war sie noch besser.“ Christian Erler zeigt auf das Gebäude, das nun verschwindet. Es ist das Reiterstellwerk auf dem Heidenauer Nord-Bahnhof. Hier hat Erler gearbeitet, bis es Ende Mai 1976 stillgelegt wurde. Er kannte viele Stellwerke am Heidenauer Bahnhof und die Geschichten drumherum. Irgendwie hatte der Heidenauer immer Schicht, wenn ein Stellwerk das andere ablöste. Immer war es ein Schritt zu mehr Technik.

Das allererste Stellwerk war ein mechanisches. Das kennt Erler nicht mehr selbst, aber es existiert noch. Wenn man auf dem Bahnsteig in Richtung Dohna steht und links am Reiterstellwerk vorbei schaut, sieht man es zwischen Gebüsch und Bahnanlagen. Lange war es noch bewohnt. Jetzt ist es leer.

Wohin mit den Waggons?

Abgelöst wurde es 1938 vom elektromechanischen Reiterstellwerk, sagt Erler. Bis 1976 versah es seinen Dienst. „Es war gut bedienbar.“ Die großen Hebel waren zwar nur etwas für starke Frauen, aber die haben das geschafft, sagt Erler. Er erinnert sich, dass es schon eher abgerissen werden sollte. „Aber das Geld, das ist sehr kompliziert.“ Das Stellwerk steht nämlich eben wie ein Reiter unmittelbar zwischen den Gleisen. Die späteren Stellwerke wurden rechts oder links davon gebaut.

Als das Zentralstellwerk das Reiterstellwerk ablöste, sollte alles besser werden. „Die haben uns weisgemacht, dass alles teil- und vollautomatisch funktioniert, aber genutzt hat es nichts“, sagt Erler mit dem trockenen Eisenbahnerhumor. Da stand die Rangierlok zum Tanken in Pirna und wurde vergessen oder zu spät abgemeldet. Dann fragte sich Erler im Stellwerk: Wo soll ich mit den Waggons hin? Also schickte er die Güterwagen erst mal bis Niedersedlitz, damit das Gleis wieder frei war. „Oh, das war anstrengend.“

Oder, wenn der Kollege vom Bahnhof Schandau anrief, weil dort alles voll war. Dann mussten die Züge in Heidenau auf Warteposition geschoben werden. „Mit Personenzügen wurde das natürlich nicht gemacht.“ 25 Jahre und zwei Monate hat Erler im Zentralstellwerk bis zu seinem Ruhestand im Juli 2001 gearbeitet. Zwei Wochen vor seinem letzten Arbeitstag wurde es außer Betrieb genommen. Es folgte das Elektronische, das bis heute den Verkehr regelt. Die Schicht vom 13. auf den 14. Juli 2001 war anstrengend, sagt Erler. Immer musste schnell von einer Technik auf die andere umgestellt werden, möglichst ohne Chaos auf den Schienen.

Christian Erler ist auch nach fast 15 Jahren Ruhestand immer noch Eisenbahner. Kürzlich war er mit seinem Sohn und seiner Frau in Ruhland und Elsterwerda unterwegs, um sich alles genau anzusehen. Der Bahnhof Ruhland wird zu einem Verkehrsknotenpunkt ausgebaut. Bis 2018 sind neue Weichen, Gleise und ein elektronisches Stellwerk geplant.

Heidenau verliert derweil ein Denkmal. Der Schriftzug „Heidenau“ am Reiterstellwerk ist noch blass erkennbar. Es stammt aus dem Baujahr 1938. Obwohl das Stellwerk auf der Heidenauer Kulturdenkmalliste steht, hat das Landratsamt dem Abrissantrag der Bahn zugestimmt. Der desolate Bauzustand durch den sehr langen Leerstand war ein Grund. Eine Umnutzung zum Beispiel als Café wie anderswo oder ein Verkauf sind aufgrund der Lage nicht möglich. Das Stellwerk wirkt wie eine Insel, rechts und links Gleise, dazu Oberleitungen. Das hätte den Erhalt erschwert bzw. unmöglich gemacht.

Wichtiger Termin am Sonntag

Christian Erler erzählt noch ein „tolles Ding aus den 1980er-Jahren“. Damals, als es noch Schnee im Winter und zu Weihnachten gab. Es war ein Sonnabend und eine moderne Schneefräse sollte zum Einsatz kommen. Die kam direkt aus dem Werk angerollt. Immer wieder wurde hin- und hertelefoniert, wo sie denn bleibe. „Dann war sie tatsächlich da“, sagt Erler. Die Ausfahrt nach Dohna war frei. Doch die Fräse kam nur bis Niederschlottwitz. Dort war Ende der Fahrt. Sie kam nicht an der Bahnsteigkante vorbei. Zu breit. Also musste wieder geschippt werden.

Die Gefahr besteht am Sonntag nicht. Am 27. Dezember, 12 Uhr, hat Christian Erler einen Termin auf dem Nord-Bahnhof. Dann soll das Gebäude des Reiterstellwerkes zusammenfallen. Erler wird dann einige seiner ehemaligen Kollegen wiedertreffen. Mit dem Stellwerk verschwindet ein Stück Bahngeschichte. Männer wie Erler bewahren sie.