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Der Mann, der das Hartpapier erfand

Über Karl Hans Jankes Zeit in der Stadt erzählt das Museum.

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© Stadtarchiv Großenhain

Von Jens Schulze-Forster

Großenhain. Karl Hans Janke verbrachte als „Ostvertriebener“ nicht mehr als vier Jahre in Großenhain. Sein Aufenthalt ist jedoch mehr als nur eine Episode. Aus der Großenhainer Zeit sind erstmals persönliche Dokumente überliefert. Akten im Stadtarchiv dokumentieren seinen Kampf mit dem Gewerbeamt, seine Inhaftierung und die Überstellung in die Landesanstalt Wermsdorf.

Großenhain war deshalb zugleich ein entscheidender Wendepunkt in seinem Leben. Ob er schon 1945 oder erst später nach Großenhain kam, ist unklar. Der erste Beleg ist sein Antrag zur Gründung des „Ipagit-Montagebaus“ beim Gewerbeamt im Oktober 1947. Er gibt sich darin als Konstrukteur aus, der jedoch völlig mittellos sei und sich nur durch den Verkauf gemalter Bilder über Wasser halte. Es ist der Beginn einer Auseinandersetzung, die bis zum Mai 1948 andauert, aber zu keinem Ergebnis führt. Als Grund der Ablehnungen für die geplante Firma zur Herstellung von Hartpapier-Platten wird Materialmangel angegeben. Vermutlich spielten aber sein ganzes Auftreten und die ehemalige NSDAP-Mitgliedschaft eine Rolle. Tatsache ist, dass verleimte Hartpapier-Platten bzw. Verbundstoffe heute in vielen Anwendungen zum Einsatz kommen, die schon Janke vorschwebten. Seine Idee, mit den Fertigplatten Hallen und Häuser rationell errichten zu können – in der Nachkriegszeit eine große Herausforderung– wurde später im Plattenbau Realität.

Hunger und Not festgehalten

Die schwere Flüchtlingszeit in Großenhain beschäftigte ihn noch zehn Jahre später. 1958 hielt er die erlebte Not, Hunger und Schikanen von 1947/48 auf Notizzetteln fest. Er bewohnte mit seiner Mutter ein Zimmer auf dem Hof der Familie Kühne in der Radeburger Str. 70. Er beklagte den weiten Weg zum Kaufmann auf dem Neumarkt, vor allem aber den schlimmen Hunger sowie die schikanöse Behandlung durch die benachbarte Witwe Hinz. Krankheit und Tod der stark geschwächten Mutter 1948 verbitterten ihn sicher zusätzlich. Auffällig ist, dass Janke im behördlichen Briefverkehr die Adresse Markusstr. 3 angab. Möglicherweise befand sich dort seine Werkstatt. Er stellte in Eigenregie Spielzeuge her, in der Poststraße 1 besaß er ein Schaufenster. Im Adressbuch 1949 ist er als Hochbau-Konstrukteur unter der Franz-Schubert-Allee 4, der heutigen Grundschule verzeichnet. Die Anschrift in dem städtischen Gebäude, das 1947 schon wieder den Schulbetrieb aufnahm, ist rätselhaft. Ob er dort 1949 wirklich wohnte oder nur einen Arbeitsraum hatte, ist unklar. Im Bericht der Überstellung nach Arnsdorf 1949 ist die Wohnadresse Turnstraße 5 angegeben.

Der Auslöser dafür, Janke in der Psychiatrie „wegzusperren“, war ein Text, den er an den Anschlagstellen der Stadt öffentlich zur Kenntnis brachte. „Mit dem heutigen Tag dürfen für Kinder keine Spielzeuge mehr angefertigt werden, da wir das Material dringend für Kanonen brauchen. […]“. Er protestierte damit offenbar gegen die Ablehnung seiner Firma „wegen Rohstoffknappheit“. Die Tat wurde als politisch motivierter Protest gegen den Staat verstanden. Janke wurde inhaftiert und dem Amtsarzt vorgestellt, der ihn nach Arnsdorf einwies. In das Gedenkbuch der IG Mahnmal in der Marienkirche ist er vor diesem Hintergrund als Opfer der kommunistischen Herrschaft aufgenommen worden. Die Einweisung in die Psychiatrie war aber sicher durch die Diagnose seiner Schizophrenie begründet. Möglicherweise ist er so sogar vor einer Haft in den berüchtigten Lagern für vermeintliche Staatsfeinde bewahrt geblieben. Im Licht der neuen Quellen hat sich der Lebenslauf von Karl Hans Janke um ein wichtiges Kapitel ergänzen lassen.

Psychiatrischer Patient

Die Jahre in Großenhain stellen sich dabei als Scharnier zwischen dem schlecht dokumentierten ersten Lebensabschnitt im familiären Umfeld in Pommern und den 39 Jahren dar, die er bis zum Tod als psychiatrischer Patient verbrachte. Insofern ist Großenhain weit mehr als nur ein Nebenschauplatz seines Lebens, zumal seine Notizen ein eindrucksvolles Zeugnis für die schwierige Situation darstellen, die besonders die Großenhainer Flüchtlinge in den Nachkriegsjahren durchlebten.