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Der Mann auf der Bettkante

Sexualtherapeut Frank Pietzcker kennt sich aus im Liebesleben der Dresdner. Ein Job mit Lust und Leidenschaft.

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© René Meinig

Von Jana Mundus

Die Ansage des Professors schockt viele. „Wir sprechen hier über Ihre Sexualität.“ Manche der Studenten schauen unruhig, sind peinlich berührt. Über Lust sollen sie mit ihrem Dozenten in diesem Seminar reden? Über das, was zu Hause unter ihrer Bettdecke passiert? Oder anderswo? Bei der nächsten Lehrveranstaltung zum Thema Sexualtherapie an der TU Dresden kommen schon weniger Zuhörer. Frank Pietzcker bleibt. Der Psychologie-Student ist damals Anfang 20. „Klar haben wir anfangs rote Ohren bekommen, wenn wir mit unserem Prof über Sex redeten“, erinnert er sich. Doch schnell merkt er, dass er das gut kann. Dass ihm Wörter wie Penis oder Orgasmus auch ohne Schamesröte über die Lippen kommen. Und dass er gut zuhören kann, wenn jemand über Sex spricht. Heute ist Pietzcker Sexualtherapeut, der Blick in Dresdner Schlafzimmer sein Beruf.

Ein heller Raum in der Heinrichstraße. Der Goldene Reiter ist gleich um die Ecke. Zwei Lederstühle stehen sich gegenüber. Auf einem sitzt Frank Pietzcker. Die Anordnung der Sitzmöbel ist genau komponiert, im 45-Grad-Winkel zueinander. Das ist Taktik. Stünden sie frontal, ergäbe sich eine ganz andere Gesprächssituation. Sehr direkt, fast überfallsartig. Doch Pietzcker weiß, dass das Thema Sexualität mit Fingerspitzengefühl behandelt werden will. Wer Intimes preisgeben möchte, der soll das in angenehmer Atmosphäre tun. Wer zu ihm kommt, hat ein Problem. „Wenn Männer beispielsweise keine Erektion bekommen oder Frauen Schmerzen beim Sex haben“, nennt er körperliche Gründe. Doch viel öfter sind Lust und Begehren beziehungsweise das Fehlen derselben das Thema. Manche Menschen erzählen recht schnell über ihre Lage, andere öffnen sich langsamer. „Ich dränge niemanden. Für viele ist es überhaupt das erste Mal, dass sie mit einem Fremden darüber reden“, erklärt der 48-Jährige.

Manchen fehlen anfangs die Worte. Dann vermittelt er ihnen ein Gefühl für die richtige Sprache. Wie Porno sollte die nicht klingen. Aber wenn jemand vom Vögeln spricht, dann benutzt auch Pietzcker diesen Begriff. Nur das Wort mit F findet bei ihm nicht statt. Und er greift auch ein, wenn jemand allzu gynäkologisch wird. „Penetrieren“ oder „vaginale Stimulation“ – hat er alles schon gehört. Das ist ihm zu distanziert. Denn Sex sei doch etwas ganz Natürliches. „Ein Quell großen Glücks, der Ursprung des Lebens.“

In der 2005 mit einer Kollegin eröffneten Praxis behandelt er auch Burn-out oder Ängste. Doch viele Frauen und Männer kommen wegen sexueller Probleme. Oft sitzen auch Paare vor ihm. Das macht Sinn. „Wenn zur Tanzstunde nur einer kommt, wird es mit dem Walzer am Ende nicht klappen“, vergleicht Pietzcker und lächelt. Dass Männer immer wollen und Frauen nie, das kann er nicht bestätigen. „In vielen Fällen ist es sogar andersrum.“ Um die Frage „Wie oft?“ geht es selten. Vielmehr geht es um Qualität oder darum, überhaupt wieder Sex miteinander zu haben. „Am Anfang viel und mit den Jahren weniger, das ist für viele eben nicht normal.“ Und das muss es auch nicht sein.

In solchen Situationen gibt er seinen Paaren Hausaufgaben auf. Sie sollen lernen, über ihre Bedürfnisse zu sprechen. Darüber, was sie einander Gutes tun können. Bei Streichel-Übungen finden sie langsam wieder zueinander. Manchmal schickt Pietzcker sie auch einfach in den Sexshop. „Dort können sie gemeinsam schauen, was ihnen Lust macht.“ Oft würde es aber auch einfach schon helfen, wieder Freiräume füreinander zu schaffen. „Viele Paare haben durch Beruf und Familie einfach wenig Zeit füreinander.“ Sein Tipp: Zusammen essen gehen und danach nicht nach Hause, sondern ins Hotel. „Und um Mitternacht ist man dann wieder daheim.“

Mit welchem Blick schaut der Sexualtherapeut auf das eigene Liebesleben? „Ob ich achtsam und sensibel bin, kann nur meine Frau sagen“, sagt er und lacht. Sie kennt er schon aus Studienzeiten. Gemeinsam haben sie zwei Kinder, eine Tochter und einen Sohn. „Vielleicht bringe ich aber ein Bewusstsein für das Thema mit.“ Das hilft auch, wenn die 15-jährige Tochter über die Liebe und das erste Verliebtsein spricht. „Ich rede zu Hause nun nicht ständig über Sexualität. Aber ich bin eben ein Vater, der bei solchen Geschichten nicht peinlich berührt ist.“ Sex ist natürlich.

Auch manchen Klienten läuft er privat über den Weg. Wie er sich dann verhält, hat er vorher mit ihnen besprochen. „Ich bin zurückhaltend und warte, was kommt.“ Schließlich weiß er nie, wie offen sie mit Familie oder Freunden über ihre Therapie gesprochen haben. Mancher grüßt ihn dann freundlich, andere ignorieren ihn. Das sei aber in Ordnung. In der Öffentlichkeit redet Frank Pietzcker trotzdem über Sex. Mit dem Schokoladen-Laden „Chirel“ hat er die Veranstaltungsreihe „Sinneslust und Schokolade“ erdacht. Zu Schokolade und Wein liest er an solchen Abenden erotische Literatur vor. „Schokolade zu genießen, schult die Genussfähigkeit und die Sensibilität.“ Gute Voraussetzungen für ein gesundes Sexleben.

www.dr-pietzcker.de