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Der letzte Schriftmalermeister

Gerd Wetzger hat einen aussterbenden Beruf. Dabei kennt fast jeder Riesaer Werke von ihm.

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© Lutz Weidler

Von Britta Veltzke

Riesa. Den Beruf, den Gerd Wetzger gelernt hat, gibt es heute nicht mehr. Der Riesaer ist Schriftmalermeister. Die Berufsbezeichnung, die dem heutzutage am nächsten kommt, wäre vielleicht Grafikdesigner. Doch was wäre ein Grafikdesigner ohne seinen Computer. Hunderte Logos und Schriftzüge hat Wetzger in seinem Berufsleben für Firmen und Institutionen entworfen, und zwar mit Lineal, Papier und Bleistift – meist mit Ziel, den Entwurf später auf Hauswände zu übertragen. Einige Werke aus Wetzgers Feder halten sich bis heute im Riesaer Stadtbild, so etwa die bis zu fünf Meter hohen Lettern RIESA auf der Frontseite der Sachsenarena, der Schriftzug der Riesaer Sanitär- und Heizungsfirma Harzbecker oder das Firmensignet vom Autohaus Christian Wagner in Zeithain. Andere hingegen sind längst verschwunden.

Zu seinem Beruf ist Gerd Wetzger über die Ausbildung zum Gebrauchswerber gekommen, im Westen war dafür eher der Begriff Schauwerbegestalter üblich. Heute nennt sich die Ausbildung „Gestalter für visuelles Marketing“ und kann zum Beispiel bei Ikea absolviert werden. 1956 begann Wetzger als Lehrling bei der DDR-Handelskette Konsum. „Die Aufgabe von Gebrauchswerbern bestand im Grunde darin, Produkte im Schaufenster so ansprechend anzuordnen, dass es nach mehr aussah“, erklärt Gerd Wetzger. In der Berufsschule Käthe Kollwitz am Rathausplatz bemerkte sein Fachlehrer für Malerei und Schrift, Ernst Winkler, sein Talent.

Eine Anfrage aus dem Rathaus

Nach der Lehre holte Winkler seinen begabten Schüler in die Produktionsgenossenschaft des Handwerks (PGH) „Farbe im Raum“. Dort konnte er sich in der Abteilung Schriften und Plakatmalerei voll ausleben. „Nach der Armee machte ich dann auch noch meinen Meister.“

So wurde Gerd Wetzger also Schriftmalermeister – vermutlich der einzig verbliebene in Riesa? „Ich kenne keinen anderen“, sagt er. Heute ist der Beruf der Digitalisierung gewichen. Schriftzüge und Logos werden überwiegend am Computer entworfen, gedruckt und auf Schilder geklebt, anstatt sie aufwendig per Hand zu malen. „Selbst die Folien werden heute von Maschinen passgenau ausgeschnitten. Das haben wir früher mit der Hand gemacht“, erzählt der heute 75-Jährige.

In seinem Arbeitszimmer in Nickritz nutzt er bis heute keinen Computer für die Schriftgestaltung. Stattdessen liegen dort Entwürfe, Papier in unterschiedlichen Stärken und Bücher. An den Wänden hängen seine eigenen Werke – und die der Enkel. Seit er Rentner ist, beschäftigt sich Gerd Wetzger hier mit verschiedenen Schrifttypen, malt Porträts seiner Familienmitglieder und nimmt ab und an auch noch einen Auftrag entgegen. „Ich mache das, wenn ich gefragt werde. Ich gehe nicht aktiv auf Kunden zu“, erläutert Wetzger. Die letzte Anfrage kam aus dem Rathaus. Für die A 14 war ein neues Schild zu entwerfen, das auf eine Sehenswürdigkeit in der Stadt hinweist. Der Titel: Riesa an der Elbe. Das braune Schild, das bis dahin bei Döbeln an der Autobahn stand, war bei einem Unfall kaputt gegangen. Schon das hatte Wetzger gestaltet – damals noch mit der Aufschrift „Sportstadt“. Diese Variante ist heute immer noch an der Anschlussstelle Thiendorf (A13) zu sehen.

„Für das neue Schild habe ich inhaltlich drei Vorgaben bekommen. Das Kloster sollte zu sehen sein, ebenso die Elbe und ein Radfahrer.“ Mit einer Liste weiterer Regeln vom Landesamt für Straßenbau und Verkehr ausgestattet, zeichnete Wetzger eine stilisierte Komposition aufs Blatt: schwarz auf weißem Grund. „Wichtig war, dass nicht zu viele Details vorkommen. Solche Kleinigkeiten gehen unter, wenn man auf der Autobahn an so einem Schild vorbeirauscht.“ Die Stadtverwaltung war mit dem Vorschlag des erfahrenen Schriftmalermeisters einverstanden – für Wetzger keine besondere Leistung.

Schon zu DDR-Zeiten haben er und seine Kollegen von der PGH „Farbe im Raum“ Autobahnschilder gestaltet – beziehungsweise aufgemöbelt. „Das Material war in der DDR so knapp, dass kaputte Schilder nicht einfach weggeschmissen wurden. Also mussten wir sie aufarbeiten“, erzählt Gerd Wetzger.

Heute genießt er die Freiheit, sich in seinem Arbeitszimmer verkriechen zu können, wann er will.