Frank Grubitzsch
Er war ein politischer Überlebenskünstler. Angeblich gab es 638 Versuche, ihn zu ermorden: Mal waren es Scharfschützen, mal war es ein Sprengsatz in seinen Schuhen. Dann versuchten es Attentäter mit einer Bombe im Baseball oder mit Gift in seiner geliebten Cohiba-Zigarre. Mit dieser skurrilen Statistik verewigte sich Fidel Castro sogar im Guinnessbuch der Rekorde. Nicht nur Verschwörer aller Couleur scheiterten jämmerlich; politisch überlebte er immerhin elf US-Präsidenten, die ihn zähneknirschend ertragen mussten.
Fidel Castro in Bildern
Am Freitagabend ist Castro im Alter von 90 Jahren gestorben. Gerüchte über seinen Tod hatte es immer wieder gegeben. Doch jedes Mal stieg er wie Phoenix aus der Asche wieder auf. Noch Mitte April hatte er sich nach langer Abwesenheit in der Öffentlichkeit gezeigt. Beim Besuch einer Schule lobte er mit brüchiger Stimme Kubas Bildungssystem. Nun aber reichte seine Kraft nicht mehr.
Damit endet ein Leben voller Ideale und Triumphe, voller Enttäuschung und Niederlagen. Mit Fidel Castro verlieren die Kubaner den Mann, der ihre Insel so stark geprägt hat wie niemand vor ihm. An der Spitze eines Häufleins Rebellen hatte Castro gegen die militärische Übermacht eines korrupten Regimes gekämpft und gesiegt. Mit der Revolution hat er seine Heimat Kuba verändert. Dafür wurde er bewundert und geliebt, verachtet und gehasst. Fidel Castro regierte die Karibikinsel nahezu fünf Jahrzehnte lang – allen Anfeindungen und Angriffen zum Trotz. Der bärtige Revolutionär gehörte zu den Gestalten, die die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts maßgeblich geprägt haben.
Kuba unter den Castros
Dass er sich an die Spitze des sozialistischen Experiments stellen würde, war kaum vorhersehbar. Der Sohn eines Plantagenbesitzers studierte Jura in Havanna. Nach dem Abschluss mit Promotion schien alles bereitet zu sein für eine Anwaltskarriere. Doch richtig glücklich wurde Castro nicht mit dem Beruf. Sein Interesse galt der Politik – vor allem, nachdem Fugencio Batista die Macht an sich riss und Kuba in eine Diktatur verwandelte. Schon als Student hatte sich Castro revolutionären Bewegungen angeschlossen. Zu Kommunisten blieb er zunächst auf Distanz.
Ein Jahr später machte er ernst mit dem Kampf gegen Batistas Regime. Im Sommer 1953 war der Sturm Castros und seiner Getreuen auf die Moncada-Kaserne noch gescheitert. Fünfeinhalb Jahre später zogen sie in Havanna ein. Für Washington war die Machtübernahme der Revolutionäre ein politischer Albtraum. Ein kommunistisch geführter Staat nur knapp 100 Kilometer von der Küste Floridas entfernt? Eine unerträgliche Vorstellung. Der Versuch, die neuen Herren in Havanna militärisch in die Knie zu zwingen, scheiterte 1961 am Strand der Schweinebucht. Dort hatten ein paar Hundert Söldner und Exil-Kubaner vergeblich eine Landung versucht. Auch das Wirtschaftsembargo, das US-Präsident Kennedy 1962 verhängte, hatte nicht den gewünschten Erfolg. Denn es trieb Castro direkt in die offenen Arme Moskaus. Strategisch war das für den Kreml ein Geschenk von unschätzbarem Wert. Doch Nikita Chruschtschow brachte mit der Stationierung von Atomraketen unter Kubas Palmen die Welt im Oktober 1962 an den Rand einer nuklearen Katastrophe.
Die Begeisterung für den Revolutionsführer, der allen Anfeindungen und Angriffen trotzte, machte später purer Ernüchterung Platz. Und Castro hatte – vielleicht mit Ausnahme der Anfangsjahre seiner Revolution – nie die große Strahlkraft seines Mitkämpfers Ernesto Che Guevara. Zwar konnte Castro mit seinen flammenden Reden Zehntausende Zuhörer über Stunden hinweg in seinen Bann ziehen. Doch viel mehr als er war Che für die Linken in Ost und West der mutige Held, der das Feuer der Revolution weitertrug. Seine Fotos hingen an den Wänden in den Studentenbuden zwischen Paris, London, Berlin und Leipzig.
Gerade solche Symbole aber brauchte Castros Revolution – auch mit Blick auf Lateinamerika, wo sie als Modell für die Überwindung von Armut und Ungerechtigkeit gefeiert wurde. Doch längst hat sich die Parole „Sozialismus oder Tod“ in eine Phrase verwandelt. In der Unfähigkeit, rechtzeitig die Zeichen der Zeit zu erkennen, glich Fidel Castro seinen einstigen, längst entmachteten Bundesgenossen, denen er zutiefst misstraut hatte: „Wer war im Kreml je fähig, auch nur eine Träne um uns zu vergießen?“
Anfang der 90er-Jahre – nach den Umbrüchen in Mittel- und Osteuropa – standen die Kubaner plötzlich allein da. Niemand nahm ihnen mehr ihren wichtigsten Exportartikel ab: Zucker. In der tiefen wirtschaftlichen Krise half der Venezolaner Hugo Chavez mit seinen Petro-Millionen. Das allein konnte die marode Wirtschaft nicht retten. Vorsichtig begann die Führung in Havanna mit einem Liberalisierungskurs, erlaubte die Gründung privater Kleinunternehmen, straffte die Verwaltung und entließ Zehntausende Staatsbedienstete.
Auch das Scheitern des sozialistischen Experiments auf Kuba hielt Castro insgeheim für denkbar. „Sollten eines Tages die sehnlichsten Wunschträume der Konterrevolution und der Amerikaner Realität werden und eine Restauration bewirken, sollten also die zehn Millionen erfahrenen Kämpfer, die heute das kubanische Volk bilden, an jenen düsteren Ursprungsort zurückgestoßen werden, wo sie sich als Huren, Kellner, Marktschreier oder Losverkäufer verdingen müssen, werden ihnen spätestens dann die Augen aufgehen.“ Die düsteren Ahnungen sind längst Teil der Wirklichkeit auf der Insel. Eine bittere Erkenntnis für Castro, der seinen Platz in den Geschichtsbüchern sicher hat – als eine historische Figur voller Widersprüche und auch mit tragischen Zügen. Zwar hat seine Revolution den Kubanern ein Maß an sozialem Fortschritt gebracht, von dem viele Nachbarstaaten bis heute nur träumen können. Bildungssystem, Gesundheitsversorgung, soziale Sicherheit: Damit hat Kuba Maßstäbe für Lateinamerika gesetzt.
Doch ertragen mussten Castros Landsleute den alleinigen Herrschaftsanspruch des „Maximo lider“, den er mit Gewalt durchsetzte. Im Namen der Freiheit hatte er die Diktatur bekämpft – und regierte selbst autoritär. Die Ideale von einst opferte er der Macht, wie viele Revolutionäre vor und nach ihm. Auf Kuba galt nur eine Wahrheit: seine und die der Kommunistischen Partei. Für politische Gegner kannte Castro kein Pardon. Tausende saßen in den Gefängnissen, weil sie es gewagt hatten, seine Revolution zu kritisieren oder gänzlich infrage zu stellen. Dass Tausende Kubaner die Insel in Richtung Florida verließen, schien er jahrelang zu ignorieren.
War es sein Hang zur Selbstüberschätzung oder sein Starrsinn, dass ihm der Umgang mit politischen Rückschlägen oder Niederlagen so schwerfiel? Glaubt man dem kolumbianischen Schriftsteller Gabriel García Márquez, dann gab es nirgendwo einen schlechteren Verlierer als Castro; keinen, der so viel Energie investierte, um Niederlagen in Triumphe zu verwandeln.
Die Frage, was nach der Ära Castro geschieht, beschäftigt nicht nur seine Landsleute. „In die Geschichte kann man nur über die Tragödie gelangen, und genau das habe ich mit meinem Volk, meinen Anhängern getan. Ich habe eine Tragödie für sie geschaffen und sie daran beteiligt“, sagte der Revolutionsführer einmal.
Mehr als zehn Jahre lebte Fidel Castro auf dem politischen Altenteil. Schwer erkrankt, hatte er im Juli 2006 die Macht an seinen Bruder Raúl übergeben. Dennoch hatte Fidels Wort weiter Gewicht. Ab und an äußerte er sich zu wichtigen Themen, etwa im Parteiblatt Granma.
Allerdings zwang ihn sein Gesundheitszustand zu längeren Pausen. So äußerte er sich erst mit dem Abstand von mehreren Wochen zur überraschenden diplomatischen Annäherung der USA. Ein persönlicher Triumph für Castro, denn Washington hatte ihn jahrzehntelang als Unperson behandelt. Bis zuletzt blieb er argwöhnisch gegenüber den Amerikanern. Er vertraue ihnen nicht, hieß es in einem Brief, in dem er sich zur Normalisierung des Verhältnisses äußerte. Doch er wolle nicht den Versuch seines Bruders zurückweisen, eine „friedliche Lösung für Konflikte oder Kriegsgefahren“ zu finden. Kuba werde immer nach Zusammenarbeit und Freundschaft mit allen Völkern der Welt streben, „auch mit denen unserer politischen Gegner“. Dazu habe der Präsident die nötige Befugnis.
Kuba ohne Fidel Castro – an diesen Gedanken müssen sich seine Landsleute erst gewöhnen. Viele werden ehrlich um ihn trauern, viele andere aber nicht. Mehr als ein halbes Jahrhundert hatte er auf der Insel die Richtung bestimmt. Welchen Weg die Führung um seinen Bruder Raul nun einschlägt: Es wird schwerfallen, das politische Erbe Fidel Castros zu verteidigen. Seine Revolution ist unvollendet geblieben, die sozialistische Vision von der Wirklichkeit überholt. Der „Maximo lider“ scheiterte ebenso wie seine Bundesgenossen in Moskau oder Ostberlin am Entwurf eines Gesellschaftsmodells, das zwar schön klingt, aber letztlich nur mit Zwang durchsetzbar ist. Das hat keine Zukunft.
Kaum etwas zeigt das besser als eine Karikatur. Sie zeigt Fidel Castro am Meer sitzend. Vor ihm steht eine kleine Sandburg. Und dem Strand nähert sich eine riesige Welle, die alles wegzuspülen droht.