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Der letzte DDR-Meister feiert

Der Kreischaer Behindertensport begeht ein rundes Jubiläum. Im Sitzball gelang ihm sogar einmal der ganz große Wurf.

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© privat

Von Stephan Klingbeil

Kreischa. Im noch jungen Herbst 1990, nur wenige Tage vor der deutschen Wiedervereinigung, gelang der größte Coup. Die Sitzball-Mannschaft von Wissenschaft Kreischa schaffte in Stendal die faustdicke Überraschung. Das Team gewann dort den letzten DDR-Meistertitel. Es feierte somit den größten Erfolg der Versehrtensportler in der Geschichte des kleinen Vereins, die sich vor 50 Jahren in Kreischa organisiert hatten.

Klaus-Dieter Kohl spielte damals ebenfalls in der Betriebssportgemeinschaft, gehörte allerdings nicht zum Meisterteam. „Dafür hat es aus sportlicher Sicht nicht gereicht“, erklärt der 78-Jährige und schmunzelt. 1981 war der Elektromeister nach einem Arbeitsunfall zu der Versehrtensportart gekommen. Um wieder fit zu werden, hätten ihm die Ärzte geraten, es mit Gymnastik und Schwimmen zu versuchen, sagt er. Es wurde Sitzball. In den 1980er-Jahren sei es aber nicht so einfach gewesen, bei einer der Sitzballgruppen mitzumachen. „Die waren fast alle voll“, erinnert sich der Rentner aus dem Kreischaer Ortsteil Kautzsch. Heute sei das anders.

Beim SV Kreischa gebe es nur noch acht Sitzballspieler. Zum Vergleich: Zu DDR-Zeiten waren es mal 70. Andere Gruppen der Abteilungen des Klubs mit seinen derzeit neun Trainern verfügen über mehr Aktive als der Sitzball. Insgesamt treiben beim SV 210 Mitglieder, darunter 30 Kinder und Jugendliche, Sport. Neben Gymnastik/Tanz, Badminton, Volleyball, Basketball, Nordic Walking und Ballsport-Mix bietet der Verein auch Behinderten- und Rehasport an. Dieser Abteilung gehören die Sitzballer an.

„Wir werden leider immer weniger“, bedauert Kohl. Aus Altersgründen mangele es an Mitstreitern. Das wöchentliche Training am Dienstagabend in der Klinik-Sporthalle finde zwar, wie gehabt, statt, Turniere mussten in der jüngeren Vergangenheit jedoch bereits abgesagt werden. „Daher suchen wir dringend nach neuen Mitgliedern“, sagt Kohl. Auch er würde sich im Jubiläumsjahr über mehr Zuspruch freuen.

Dem Rentner, der seit 16 Jahren Abteilungsleiter ist und sich ehrenamtlich als Vize-Bürgermeister und CDU-Ortsvorsitzender engagiert sowie seit 1990 im Gemeinderat sitzt, liegt der Erhalt der hiesigen Tradition des Versehrtensports am Herzen.

Die mit vier Akteuren gespielte Sportart sei durchaus attraktiv, es ähnelt Volleyball – nur im Sitzen. Wobei hier gerutscht und teils sogar gesprungen wird. Der Sport eigne sich zudem ideal für das gemeinsame Spiel von Behinderten und Nichtbehinderten. „Es dient aber vor allem Behinderten und Schwerstbehinderten zur Stärkung von Selbstbewusstsein und Gemeinschaftsgefühl“, erklärt der Abteilungsleiter. „Ziel ist, die Beweglichkeit zu verbessern beziehungsweise zu erhalten, Schmerzen zu lindern, an der Ausdauer zu feilen und die muskuläre Stabilisierung voranzubringen, besonders im Bauch- und Rückenbereich.“

Das wussten sie in Kreischa schon 1967. Seitdem bot der neue, noch selbstständige Versehrtensportverein unter dem Namen „Wissenschaft Kreischa“ vor allem Kriegsversehrten die Chance, Sport zu treiben. Die Sportgruppe Kreischa war auch die erste Neugründung einer Sektion des Versehrtensports im Bezirk Dresden.

Die Initiative dazu ging von einem Mitarbeiter des Zentral-Instituts für Sportmedizin aus. Und auch heute sei es besonders der Klinik Bavaria Kreischa um deren Chef Rudolf Presl zu verdanken, dass der Verein weiter Sport für Behinderte anbieten kann.

Neben Gymnastik, Handball und Leichtathletik wurde bei den Kreischaern speziell Sitzball als Wettkampfsportart betrieben. 1969 fand das erste Sitzballturnier dort statt. Drei Jahre danach kam zudem eine Frauensportgruppe hinzu, die Gymnastik, Ballspiele und Schwimmen anbot.

Kreischas Sitzballer schafften es dann zwischen 1976 und 1988 bis in die Oberliga. 1989 belegten sie dort Rang drei, ein Jahr später wurden sie letzter DDR-Meister. Und nur wenige Wochen darauf kam es bei dem seit 1976 alljährlich veranstalteten Turnier um den „Bürgermeisterpokal von Kreischa“ zum Duell gegen den westdeutschen Champion VSG Bielefeld. Die favorisierten Ostwestfalen siegten dort vor Dresden und vor Kreischa, das von 1991 bis 1993 jeweils Vize-Sachsenmeister wurde.

In jener Zeit drohte dem Sitzball aber das Aus für den Wettkampfsport. „Doch mit der Bavaria-Klinik fanden wir eine Lösung“, sagt Kohl. Denn die Übungsabende wurden wieder räumlich und zeitlich zusammengelegt, es gab wieder Sporttauglichkeitsuntersuchungen. Beides war zuvor zeitweise nicht mehr möglich gewesen.

Auch daran werden die nach der Wende in den SV Kreischa aufgenommenen Versehrtensportler in diesem Herbst erinnern. Am 14. Oktober findet die Feier der traditionsreichen Abteilung samt Bürgermeisterpokal zum runden Jubiläum statt.