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Der Krisenmeister geht

Kreis-Dezernent Werner Genau, Radweg- und Flüchtlingsexperte, hört auf. Und verlässt die Oberlausitz.

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© Pawel Sosnowski/80studio.net

Von Matthias Klaus

Görlitz. Seit ein paar Tagen, sagt Werner Genau, seit ein paar Tagen kommt ihm sein Büro fast wie eine Gruft vor. Nicht falsch verstehen, winkt er lachend ab. So schlimm ist es doch nicht. Aber noch vor kurzer Zeit klopfte es alle fünf Minuten an seiner Tür, irgendwer wollte irgendetwas. Nun ist es still. Der große Besprechungstisch, kahl. Nur ein paar Kugelschreiber liegen in der Mitte, warten auf ihren Einsatz. „Früher sah es hier wahrscheinlich aus wie in einer Zeitungsredaktion, alles mit Papieren vollgelegt“, sagt Werner Genau. Es ist Dienstag. Es ist der vorletzte Arbeitstag des technischen Dezernenten im Landratsamt.

Für den Fotografen geht Werner Genau ein paar Schritte aus seinem Büro zu einer kleinen Terrasse in der oberen Etage des Landratsamtes an der Görlitzer Bahnhofstraße. Der Blick ist herrlich: Landeskrone, Bahnhof, Südstadt, dazu Sonnenschein. „Ich weiß gar nicht, wozu diese Terrasse eigentlich benutzt wird. Manchmal bringt der Landrat Gäste aus Polen und Tschechien hierher“, sinniert Werner Genau. Seit Wochen, sagt er, treiben ihn die unterschiedlichsten Gefühle um: „Einerseits bin ich froh, es geschafft zu haben. Andererseits ist da auch eine Träne im Knopfloch.“ Seine Entscheidung, die Kreisverwaltung zu verlassen, war derweil bereits im August vergangenen Jahres gefallen. „Man sollte auf die Signale von außen und von innen hören“, sagt Werner Genau. Außen, das ist seine Familie, innen sein Körper. Werner Genau hat eine schwere Krankheit hinter sich gebracht. Hat trotzdem weitergearbeitet. Der Körper habe damals früh beim Aufstehen zuweilen Nein gesagt, sagt er. Aber der Geist wollte und siegte.

27 Jahre arbeitete Werner Genau in der Verwaltung. Er ist ein langjähriger Wegbegleiter, Vertrauter von Landrat Bernd Lange. Kreis-Nordlichter unter sich. Und im Norden des Kreises setzte Werner Genau unübersehbare Zeichen, vor allem mit Radwegen. Seit September 2001 war er als Dezernent im Niederschlesischen Oberlausitzkreis tätig, davor als Bauamtsleiter. Dass es im Norden des Kreises Görlitz ein gut ausgebautes Radwegnetz gibt, geht vor allem auf Werner Genaus Kappe. „Das kam alles nach und nach zusammen“, sagt er. Bürgermeister wollten immer wieder einzelne Abschnitte einrichten, daraus wurde am Ende ein richtiges Netz. Als Dezernent machte er die Radwege zur Chefsache. Besonders stolz ist Werner Genau auf das Projekt Kreisbahn, den Radweg Görlitz-Königshain auf früherem Bahngelände. „Ich hätte nicht gedacht, dass der Radwegbau auf einer alten Eisenbahnstrecke so schwierig ist. Aber das wird verwaltungstechnisch genauso gehandhabt, als ob eine Bahn weiter fährt“, sagt Werner Genau. Fast zwei Jahre dauerte es etwa, um eine Brücke über den Schöps nutzen zu können. Überhaupt, Radwege. „Ich hatte im NOL die Kreisentwicklung, das Umweltamt und das Bauamt in meinem Dezernat. Deshalb ließ sich da auf kurzem Weg manches schnell regeln“, schmunzelt Werner Genau. Er kennt die derzeitige Diskussion über die stillgelegte Bahnstrecke zwischen Niedercunnersdorf über Herrnhut nach Oderwitz. Die einen wollen wieder Züge fahrenlassen, die anderen ebenfalls einen Radweg. „Eine Wiederbelebung von stillgelegten Bahnstrecken im Kreis ist unrealistisch“, sagt der scheidende Dezernent. Zum einen müsste ein Verkehrsunternehmen gefunden, zum anderen die Strecke „bestellt“ werden. Beides sieht er in dem Fall nicht. Werner Genau war früher selbst gern mit dem Rad unterwegs. „Mehr so ausflugsmäßig“, sagt er.

Seit 2008 leitete Werner Genau das Technische Dezernat des Kreises Görlitz. Der Wechsel vom NOL zum „großen“ Kreis – eine Herausforderung für ihn. „Plötzlich waren da mehr Fläche, mehr Einwohner, die Stadt Görlitz mit einbezogen“, sagt er. Und andere Probleme. Der Tunnelbrand auf der Autobahn beispielsweise. Vor allem aber die Flüchtlingskrise. Die zumindest im Kreis Görlitz in der Wahrnehmung für die Öffentlichkeit kaum eine war, sagt Werner Genau. Ende 2013, Anfang 2014 habe er schon gemerkt, dass sich in dieser Richtung etwas anbahnt. „Es war die größte Herausforderung meiner beruflichen Laufbahn“, sagt Werner Genau. Von Anfang an sei es darum gegangen, welcher Weg im Umgang mit Flüchtlingen eingeschlagen werden soll. „Wir haben uns auf die dezentrale Unterbringung verständigt, also in Wohnungen“, sagt Werner Genau. Ein Konzept, das Erfolg hatte. Der Landkreis habe die Krise ohne Imageverlust bewältigt. Wichtig sei es gewesen, so Werner Genau, mit offenen Karten zu spielen, ob gegenüber den Bürgermeistern oder der Bevölkerung. Das habe funktioniert. Nur vereinzelt nicht. Der Dezernent erinnert sich an eine Bürgerversammlung im Süden des Kreises. „Die konnten wir nur unter Polizeischutz abhalten“, erzählt er. Die Friedersdorfer Kirche war damals voll besetzt, mit 500 Leuten, die Stimmung aufgeheizt. „Dabei ging es nur um wenige Flüchtlinge, Familien, die in einem Hotel an der B96 untergebracht werden sollten. Ein paar Wochen später gehörten sie einfach dazu“, sagt er.

Erinnerungen an eine bewegte Zeit. Nun folgt die Zukunft. Werner Genau wird mit seiner Frau Krauschwitz, die Oberlausitz verlassen. Beide Töchter wohnen in Leipzig, dorthin zieht es die Genaus. „Ich bekomme garantiert keinen Rentner-Blues“, sagt Werner Genau. Aber was er mit 60 nicht anpacke, das werde mit 70 auch nicht mehr. Er freut sich auf den Enkel, auf Ausflüge, auf seine Zeit mit der Familie. Und auf Reisen mit seiner Frau, die Welt angucken. Und die Oberlausitz. Dann als Urlauber. „Wir kommen auf jeden Fall wieder vorbei“, verspricht er. Einfach hat sich Werner Genau das Ja zum Weggehen nicht gemacht. „Es war unheimlich schwer“, sagt er. Denn der Krauschwitzer hängt an der Gegend. Letztendlich war es mehr oder weniger eine Bauchentscheidung, mit sanfter Unterstützung der Familie. Werner Genau: „Ich bin all die Jahre jeden Tag losgezogen, um ein bisschen die Welt zu retten. Dabei habe ich meine eigene kleine Welt, die Familie, vernachlässigt. Das will ich jetzt wieder gutmachen.“