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Der Kampf um den Horst

Störche streiten sich zunehmend um Brutplätze – untereinander und mit Konkurrenten.

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© Jürgen Biller

Von Bernd Katzer

Meißen. Ein Drama in der Tierwelt ist es, was sich da in Zehren abspielt. Mit den besten Blick darauf hat Nachbar Jürgen Biller, der direkt neben dem Zehrener Storchenhorst wohnt. Weithin sichtbar befindet sich dieser auf dem Schornstein im Steinbruch nahe der ehemaligen Werft. Die Großvögel errichteten den Horst dort im Jahr 1992 ohne menschliche Hilfe.

Der Kalender zeigt den 2. April, als Biller den ersten Weißstorch in diesem Jahr sichtet. Nur sechs Tage dauert es, bis sich ein zweiter Storch einfindet. Nun könnte das Paar eigentlich loslegen. Junge Störche braucht der Freistaat. Doch es kommt anders. Am 9. April taucht der eigentliche Besitzer des kuschligen Horstes auf. Zu identifizieren ist er dank seines Rings H5070. Die Kennung, welche sich mithilfe eines starken Fernglases ablesen lässt, stammt von der Vogelwarte Hiddensee. Der Lokalmatador fackelt nicht lange. Er vertreibt die Neuankömmlinge und sichert den Horst, auch für ein neues, unberingtes Weibchen. Ihre Herkunft ist unbekannt.

Mitunter fließt Blut

Das Beispiel Zehren stellt durchaus keinen Einzelfall dar. Wie Vogelkundler beobachtet haben, hat im Raum Meißen trotz stagnierender Zahl der Großvögel die Anzahl der Storchenkämpfe und deren Aggressivität zugenommen. Dabei entscheidet weniger die körperliche Stärke über den Ausgang des Streits. In den meisten Fällen siegt der bereits längere Zeit an dem Standort ansässige Vogel, da er die größere Bindung besitzt. Die Abläufe der Kämpfe gleichen sich oft. Der Angreifer nähert sich zunächst vorsichtig und sondiert die Lage, indem er den umstrittenen Brutplatz umkreist. Die aktuellen Horstbesitzer üben sich in Drohgebärden, klappern lauthals, legen die Köpfe in den Nacken und pumpen ihre Flügel auf. Auf diese Weise versuchen sie, den Angreifer von seinem Vorhaben abzubringen.

Lässt sich dieser durch bloße Gebärden nicht vertreiben, und kommt es zum Nahkampf, stemmen sich die Streithähne förmlich gegeneinander. Mitunter hacken sie derart kräftig los und verbeißen sich regelrecht ineinander, dass sogar Blut fließt. Geschieht dies noch in der Luft, kann es passieren, dass die beiden Rivalen wild flatternd gemeinsam zu Boden segeln.

Vermutlich ist die wachsende Nahrungsnot aufgrund des Mangels geeigneter Futterflächen in der Horstumgebung verantwortlich. Die immer weiter intensivierte Landwirtschaft vernichtet die Lebensgrundlage vieler kleinen Tiere.

Insgesamt betrachtet ergibt die Storchenpopulation im Meißner Raum derzeit ein gemischtes Bild. So fehlen zum Beispiel Störche in Niederlommatzsch. Als erste Ankömmlinge wurden die Lommatzscher Weißstörche vermeldet. Nach Angaben von Beobachter Sebastian Weisz kehrten sie am 18. März und 26. März zurück. In Rhäsa erschienen die beiden Tiere gleichzeitig am 26. März, so Peter Thiele.

Die Zeit drängt. Bis Ende April sollte ein Storchenhorst besetzt sein, da die Brutzeit der Störche circa einen Monat beträgt und die Jungenaufzucht rund zwei Monate in Anspruch nimmt. Mit anderen Worten: Weißstörche haben ein Vierteljahr mit der Arterhaltung zu tun. Ende August fliegen die Jungvögel vor der Elterngeneration in den Süden ins Winterquartier. Neuerdings bleiben vermehrt Störche schon in Spanien und sparen sich die weite Reise nach Afrika.

2016 sank die durchschnittliche Jungenzahl pro Horst in Sachsen nach Angaben von Vogelkundlern von 1,9 auf 1,6. Obwohl 2,0 erreicht werden müsste, um den Weißstorchbestand in Sachsen zu halten. Der Rückgang ist, neben Nahrungsmangel, wahrscheinlich auch der Konkurrenz durch Nilgänse geschuldet.