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Der Held des Prager Frühlings

Alexander Dubcek wollte 1968 den Sozialismus reformieren – bis die Panzer kamen. Vor 25 Jahren starb er.

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© dpa

Von Hans-Jörg Schmidt, SZ-Korrespondent in Prag

Am 1. September 1992 wird Alexander Dubcek mit seinem Dienstwagen von Brünn nach Prag gefahren. Auf halber Strecke kommt der BMW bei zu hoher Geschwindigkeit von der regennassen Straße ab und stürzt eine Schlucht hinunter. Dubcek, nicht angeschnallt, wird aus dem Wagen geschleudert, erleidet Brüche an Wirbelsäule, Becken und Rippen; er verliert das Bewusstsein – und erholt sich nicht mehr. Dubcek, der Held des „Prager Frühlings“, stirbt am 7. November 1992.

Es wurde lange darüber spekuliert, ob der Unfall absichtlich herbeigeführt worden ist. Ein paar Tage später sollte Dubcek in Moskau vor einer Kommission über den Einmarsch von Warschauer-Pakt-Truppen berichten, der den demokratischen Reformversuch des „Prager Frühlings“ 1968 gewaltsam beendete. Hatten womöglich die Russen ihre Hände im Spiel, um Dubceks Aussage zu verhindern? Oder waren es Tschechen oder Slowaken, die sich nach der Wende von 1989/90 ein riesiges Staatsvermögen unter den Nagel zu reißen versuchten und denen Dubcek mit seinem Kampf für Moral in der Politik im Wege war? „An einen Zufall glaube ich nicht“, sagte noch Jahre später Pavol Dubcek, der älteste der drei Dubcek-Söhne. Doch all seine Bemühungen, den Unfall genauer untersuchen zu lassen, scheiterten.

Rückblende: Am 26. November 1989 erscheinen Seite an Seite Vaclav Havel und Alexander Dubcek auf dem Balkon des Verlagshauses Melantrich am Prager Wenzelsplatz. Unter mehreren Hunderttausend Demonstranten bricht Jubel los. Er gilt den Symbolfiguren der tschechischen und der slowakischen Opposition, die die alten Machthaber binnen Tagen weggefegt haben. „Nun stand ich auf diesem Balkon“, sollte er später in seinen Memoiren formulieren, „neben mir ein tschechischer Dissident, der fast eine Generation jünger war als ich. Und wir wussten beide, dass die Menschen dort unten uns die Macht gaben, der Freiheit zum endgültigen Sieg in unserem Land zu verhelfen.“

Dubcek rechnet sich Chancen auf das Präsidentenamt aus. Doch die Tschechen wehren ab. Für sie hat sich die Ikone des Prager Frühlings überlebt. Es geht 1989 nicht mehr um einen demokratischen Sozialismus wie 1968, sondern um eine grundlegende Wende. Dubcek wird mit dem Posten des Parlamentspräsidenten abgefunden; Staatsoberhaupt wird Havel.

Der 1921 geborene Dubcek verbringt mehrere Jahre seiner Kindheit in der Sowjetunion und durchläuft später in der Heimat eine typische Parteikarriere. Einen ersten Knick bekommt sein Glauben an den Sozialismus, als er in der 50er-Jahren einer Untersuchungskommission über die stalinistischen Verbrechen angehört. Er ist schockiert – und nach eigenen Worten danach „nicht mehr der gleiche Mensch“.

Als Parteichef im slowakischen Landesteil initiiert Dubcek zunächst eine Kampagne zur Selbstkritik in der KP, fordert maßgeblich den Abgang des Stalinisten Antonin Novotny als tschechoslowakischer Parteichef und nimmt Anfang 1968 dessen Posten ein. Er propagiert einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ – der bei Tschechen und Slowaken Begeisterung auslöst. Doch dann wird er selbst zum Getriebenen, weil bürgerliche Kräfte mehr wollen. Er lässt es geschehen, schafft unter anderem die Zensur der Medien ab.

Die „Bruderstaaten“ sehen das mit wachsendem Missfallen. Vor allem Walter Ulbricht, der für die DDR Ansteckungsgefahr wittert, verlangt von Moskau, der „Konterrevolution“ in der Tschechoslowakei ein Ende zu bereiten. Bei Kreml-Chef Leonid Breschnew trifft er auf offene Ohren. In der Nacht zum 21. August 1968 bereiten Truppen des Warschauer Pakts dem Treiben ein blutiges Ende. Ein sowjetisches Kommando dringt in das Gebäude des Zentralkomitees in Prag ein und verschleppt Dubcek und andere an einen unbekannten Ort, während sich die Menschen zu Hause oft nur mit bloßen Händen gegen die Besatzer zu wehren versuchen. Dubcek und seine Mitstreiter müssen im Kreml ein erniedrigendes Protokoll der Niederlage unterzeichnen. Der Westen bedauert, tut aber nichts. Das Aus für den Traum eines dritten Wegs, wie Dubcek ihn träumte.