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Der Heißmacher

Der DDR-Kochtopf-Spezi war 2005 pleite. Hagen Witruk gab dem Emaillierwerk Geithain ein neues Leben. Und was für eins.

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© Sebastian Willnow

Von Sven Heitkamp

Hagen Witruk läuft der Schweiß. Neben ihm bollert der garagengroße Ofen mit 900 Grad und offenen Türen. Rotglühende Boiler ziehen an den Haken einer Transportanlage an ihm vorbei. Doch Hagen Witruk muss lächeln, weil es ihm gut geht, und weil es besser ist fürs Foto. Der Mann, 43, ist Chef eines expandierenden Emaillierwerks in Geithain. Stand heute: 45 Mitarbeiter, drei Millionen Umsatz, 100 Prozent Versorgung aus regenerativen Energien.

Früher haben sie im „VEB Geithainer Emaillierwerk“ Kochtöpfe für die ganze DDR und die Warenhauskataloge des Westens produziert. Heute lassen Kunden aus halb Europa bei Witruk Heißwasserboiler beschichten und isolieren. „Wir sind weit und breit die einzigen, die Trinkwasserboiler in einer Größe bis 4 000 Liter emaillieren können“, sagt Witruk. Zudem bietet seine „GEO – Gesellschaft für Emaillierung und Oberflächentechnik“ Hartschaum-Wärmeisolierungen und eine Komplettierung der Energie-Speicher an.

Auf dem Hof stehen stapelweise Paletten mit torpedoartigen, ungeschliffenen Metallrohlingen aus Italien, Polen, Frankreich und warten auf ihre korrosionsfreie und hygienische Innenhaut. Die runden Tanks werden zunächst in Natronlauge gewaschen, in Salzsäure gebeizt, dann in einer grauen Siliziumoxid-Lösung gebadet und schließlich gebrannt. Am Ende bleibt eine 0,5 Millimeter dünne Emaille-Schicht. Als Warmwasserspeicher werden die Boiler beim Einsatz regenerativer Energien vor allem in Ein- und Mehrfamilienhäusern, in Shopping-Centern und Industrieanlagen benötigt. Mehr als 30 000 Stück durchlaufen den Betrieb im Jahr. Namhafte Firmen wie Viessmann, Stiebel Eltron und Buderus lassen in Geithain ihre Metallrohlinge beschichten. „Wir sind im wachsenden Markt der regenerativen Energien fest etabliert“, sagt Witruk.

Dass es wieder richtig brummt auf dem alten Garnisonsstandort in Geithain, ist nicht zuletzt das Verdienst des hemdsärmeligen Betriebswissenschaftlers. Denn der Mann mit den weißen Turnschuhen hat den Mut der Tüchtigen. Zum Inhaber und Geschäftsführer der GEO wurde er quasi auf einer Autofahrt zwischen Geithain und Leipzig Ende Januar 2005. Für das Unternehmen war Insolvenz angemeldet worden – nur noch vier Wochen Zeit, sich was zu überlegen. Auf dem Weg zum Insolvenzverwalter keimte während der Plauderei mit einem Kollegen im Auto die Idee: Was wäre, wenn wir es selber machen? Witruk, erst kurz zuvor als Berater ins Unternehmen gekommen und wenig später Vertriebschef, schrieb ein Konzept und legte los. Kurz darauf, am 28. Februar 2005, verließen die letzten Töpfe die Fabrik. Seither hat Witruk den Laden kräftig umgekrempelt. In nicht mal zehn Jahren wurden mehr als fünf Millionen Euro investiert. Den großen Spezialofen von 1993 hat er mit seinem Team 2008 in Eigenarbeit generalüberholt, von seinem früheren Mit-Gesellschafter hat er Anteile übernommen. Parallel wächst der Standort mit seinen Aufträgen. Vorigen August konnte Witruk eine neue Lager- und Komplettierungshalle mit 4.000 Quadratmetern für 1,5 Millionen Euro eröffnen.

Mittlerweile ist sein Emaillierwerk zugleich ein Kraftwerk: Drei Photovoltaikanlagen auf 10.000 Quadratmetern Hallendächern liefern 955 Kilowattstunden Strom, ein kleines Blockheizkraftwerk weitere 140 Kilowattstunden Elektrizität plus 240 Kilowattstunden Wärmeenergie. „Wir sind das einzige Emaillierwerk in Europa, das sich zu 100 Prozent mit selbst erzeugter regenerativer Energie versorgt“, sagt Witruk. Sein Unternehmergeist bedeutet für die 5.500-Einwohner-Kleinstadt im Dreieck zwischen Leipzig, Dresden und Chemnitz Aufschwung: Die 2005 tot geglaubte Industriebrache ist heute ein voll saniertes Gewerbegebiet. Mit acht Firmen und 110 Mitarbeitern ist es voll belegt.

Bei allem Erfolg ist Witruk ein bodenständiger, umgänglicher Kumpeltyp geblieben: Keine teuren Anzüge, kein großes Vorzimmer. Das Büromobiliar ist aus Furnierholz. An der Wand hängt eine Urkunde der „University of Wales“, wo der gebürtige Leipziger ein Management-Studium mit dem „Master of Business Administration“ gemacht hat. In der Freizeit engagiert sich der Familienvater im Kreisverband des Deutschen Rotes Kreuzes, im Heimatverein und beim Deutschen Email Verband, der ihn Ende April in den Vorstand wählen will. Das Emaillierwerk ist immerhin das einzige noch aktive Gründungsmitglied des 1931 in Leipzig gegründeten Verbands.

Bei Umbauarbeiten wurde im Keller ein altes Archiv mit Firmenunterlagen gefunden – von Gründungsurkunden 1898 bis zu Katalogen aus den 1980er-Jahren. Der historische Schatz wird derzeit im Sächsischen Wirtschaftsarchiv in Leipzig aufbereitet. Die alte Tradition ist das Fundament seiner Fabrik, mit der Witruk noch große Pläne hat. In den nächsten Jahren will er die Logistik für seine Kunden mit übernehmen und mit einem weiteren Ofen samt Automatisierungstechnik die Emaillier-Kapazitäten verdoppeln. Schärfere Vorgaben des Umweltbundesamtes und der Ökodesign-Richtlinie der EU zur Hygiene und Isolierung von Trinkwasserspeichern spielen ihm dabei in die Hände. Dann, so hofft Witruk, wird sich sein Umsatz vervielfachen und die Mitarbeiterzahl weiter steigen.

Am Freitag wird bei einer Gala in der Gläsernen VW-Manufaktur in Dresden „Sachsens Unternehmer des Jahres 2014“ gekürt.