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Der heilige Drechsler

Georg Brückner wandert seit Jahrzehnten auf seinem Holzweg. Wohin er ihn bisher führte, zeigt er in Zuschendorf.

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© Egbert Kamprath

Von Thomas Morgenroth

Pirna. Sage noch einer, in der Sächsischen Schweiz würden keine Bären mehr gesichtet. Dabei können alle Brautpaare, die sich noch bis zum Wochenende im Festsaal des Landschlosses Zuschendorf das Jawort geben, gleich drei dieser Raubtiere bei einer lustigen Kletterpartie beobachten. Während zwei in einer Höhle bei Kaffee und Likör ihren Aufstieg feiern, übt der dritte, der Jungspund, an der Wand darüber noch das Abseilen im Sachsensitz. Rührend sieht es aus, wie sich das Kerlchen an der Felswand müht, indes seine Kameraden auf Gitarre und Mundharmonika spielen und das Lied der Berge singen.

Georg Brückners Kommentar zur Lage in Deutschland: „Made in Germanien“, entstanden 1990.
Georg Brückners Kommentar zur Lage in Deutschland: „Made in Germanien“, entstanden 1990. © Egbert Kamprath

Die Kletterer sind aus Plüsch, kaum dreißig Zentimeter hoch, und sie heißen alle Teddy. „Ich habe so viele Spielzeugtiere, ich kann nicht jedem einen Namen geben“, sagt Georg Brückner. Aber er kann ihnen eine lauschige „Boofe“ bauen. Das zwei Meter hohe Schaubild mit Felsen, Gipfelbuch und Lagerfeuer gehört zu seiner Ausstellung „Mein Mosaik“, die das Lebenswerk des seit 1987 in Goes lebenden Holzgestalters würdigt. Am 3. Oktober feierte er inmitten seiner Arbeiten im Landschloss Zuschendorf seinen 70. Geburtstag.

Einen passenderen Rahmen konnte es für die Jubelfeier kaum geben. Mit Zuschendorf ist Georg Brückner seit 26 Jahren eng verbunden. Engagiert von Matthias Riedel, dem Vorsitzenden des Fördervereins, hat der versierte Kunsthandwerker als Restaurator, Bildhauer, Ausstellungsgestalter oder Kurator, unter anderem seiner eigenen Spielzeugausstellungen, im Schloss und im Park bleibende Spuren hinterlassen. Brückner baute, nach Entwürfen des Dresdner Architekten Volker Berthold, zum Beispiel die große Eichenholztreppe im Vestibül und das japanische Teehaus, arbeitete sämtliche Türen sowie viele Balken auf und restaurierte den Pferdeschlitten, von dem, wie Fotos zeigen, nicht mehr als ein rostiges Gerippe übrig war.

Geboren in Rathmannsdorf

Die Boofe für die Teddys allerdings entstand nicht für Zuschendorf, sondern 2014 für die Spielzeugausstellung „Dach über’m Kopf“ im Stadtmuseum Pirna. Ein „Not- Objekt“, wie Brückner meint, um das Holz zu retten, das seine Frau gern verfeuert hätte, weil es einen Teil des Gartens blockierte – und das seit dreißig Jahren. Die zum Elbsandsteingebirge gewordenen Pappelstämme hatte Brückner noch in Markkleeberg auf Länge gesägt, einer wesentlichen Station seines Lebens. Der Liebe wegen zog er in die Stadt im Süden Leipzigs, in das Haus der Eltern seiner Gloria, genannt Lola, die er 1969 heiratete. 1973 wurde dort ihr Sohn Johannes geboren. Und Georg Brückner fand in Markkleeberg bei der Agra, der Landwirtschaftsausstellung der DDR, seine erste Anstellung nach seinem Studium.

Die Pappeln zogen mit um, als Brückners 1987 in Goes, das heute zu Dohma gehört, einen Hof mit Haus und Scheune kauften. Für Georg Brückner war es eine Heimkehr in die Heimat. Er ist in Rathmannsdorf geboren, im Haus der Großmutter. Von dort aus sah er die Carola-Brücke über die Elbe, die für den künstlerisch begabten Jungen eines der ersten Motive war, die er mit Pinsel und Stift zu Papier brachte. Einige dieser Bilder zeigt er jetzt erstmals öffentlich in Zuschendorf. Für Brückner, den bescheidenen Künstler und Handwerker, war das keine leichte Entscheidung. „Noch nie zuvor“, sagt er, „habe ich so die Hosen heruntergelassen.“

Georg Brückner, der aus beruflichen Gründen seines Vaters mit sieben nach Leipzig umziehen musste, gibt einen freimütigen Einblick in sein privates Leben und erzählt mit ausgewählten Objekten von seinem „Holzweg“. Brückner spart dabei nichts aus, zeigt eine Urkunde, die er 1965 als „Kreismeister im militärischen Sommermehrkampf“ erhalten hat, genauso wie Auszüge aus seiner Stasi-Akte, in der er als „Der heilige Drechsler“ bezeichnet wird, weil er, wie der zuständige ABV berichtete, „mehrere Geschäfte mit kirchlichen Einrichtungen getätigt haben soll.“

Aus Seemann wurde Holzgestalter

Dabei wollte Georg Brückner, der zunächst den Beruf eines Drehers lernte und dabei sein Abitur machte, eigentlich Seemann werden. Daraus wurde nichts, weil bei ihm ein alter Revolver gefunden wurde. „Ein Sammlerstück!“, wie er betont. Dennoch wurde er 1966 wegen illegalen Waffenbesitzes zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Damit war es mit der Marine vorbei, wie auch mit jedem anderen Studium. Zunächst jedenfalls, und aus heutiger Sicht war das ein Glücksfall, sonst wäre er nie Holzgestalter geworden.

Angeregt von dem Maler und Grafiker Heinz Müller und dem Bildhauer Günter Schumann belegte er Kurse im Zeichnen und plastischen Gestalten. Dann war er ein Jahr lang Hilfsarbeiter in der Firma Ahlborn Kegelbahnbau in Leipzig, wo er das Drechseln lernte, und durfte schließlich im zweiten Anlauf an der Fachschule für angewandte Kunst in Schneeberg studieren.

1976 wurde Brückner in den Verband Bildender Künstler aufgenommen und arbeitete fortan freischaffend. Er gestaltete Wandreliefs und Raumteiler für Gaststätten, Schwimmbäder und Schulen, entwarf Spielplätze, wie 1989 eine Murmelbahn für die Förderstätte Pirna-Sonnenstein, und widmete sich immer wieder freien Werken. Dabei scheute er sich nicht vor deutlichen Botschaften, wie in der „Kreuzigung“ von 1979, einem Mahnmal gegen die Zerstörung der Natur und die Vertreibung der Menschen durch den Abbau der Braunkohle: Die Astgabel einer Linde ist Jesus, eine Sägekette die Dornenkrone und der Schriftzug „Rekord“, wie die Briketts bis heute heißen, steht statt INRI darüber.

Zutaten für Schaukästen

Mit der Wende war Brückner arbeitslos: Keiner wollte mehr baubezogene Kunst oder gedrechselte Leuchter haben. Zwar hatte er gelegentlich Aufträge, arbeitete im Canaletto-Haus in Pirna, im Stadtmuseum Meißen und in Zuschendorf. Für den Lebensunterhalt aber reichte das nicht. So wurde Brückner Händler auf Flohmärkten. Noch heute baut er manchmal in Leipzig seinen Stand auf. Viele Kleinode aus seiner Sammlung aber gibt er nicht weg, sie sind Zutaten für seine wunderbaren Schaukästen, die oft an seine Leipziger Zeit erinnern, wie die Badeanstalt Connewitz, der Eisenwarenladen oder die Drogerie Stern.

Extra für die Ausstellung in Zuschendorf hat Brückner das Objekt „Der Wassertropfen“ gebaut, das einen Wissenschaftler zeigt, der die Tropfen zu Würfel formt, damit er sie stapeln kann. Von hinten aber kommt bereits die Natur in Form einer großen Welle und spült den Unsinn weg. „Das wollte ich unbedingt noch machen“, sagt Brückner. Der Entwurf dazu ist 23 Jahre alt. Umsetzen wollte er ihn bei einem Holzbildhauersymposium in den USA. Die Bewerbung lief über den Künstlerbund Dresden, wurde aber nicht weitergeleitet: „Weil dort keiner englisch sprach und die Ausschreibung nicht verstand“, erinnert sich Brückner. Das wurmt ihn noch heute.

Vielleicht stünde Brückners Wassertropfen jetzt in Green Bay am Michigansee. Nun dürfen sich die Besucher im Landschloss Zuschendorf daran erfreuen, wie auch an seinen boofenden Teddybären.

Bis 16. Oktober im Landschloss Pirna-Zuschendorf, geöffnet Dienstag bis Sonntag 10 bis 17 Uhr.