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Der Glückliche

Ramin Khademy floh mit 16 Jahren aus dem Iran – und fand in Laubegast eine neue Familie. Wir haben ihn dort besucht.

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© Sven Ellger

Von Vincent Koch und Vivien Seidel

Am Fenster steht ein Schreibtisch, in der Ecke ein Bett. Alles ist sehr ordentlich in Ramins Zimmer. An der Wand hängt ein großes Poster des Musikers Shahin Najafi. In Berlin hat Ramin mit seiner neuen Familie ein Konzert von ihm besucht. Seine Lieder handeln von Angst, Schikanierung und dem Kampf um Frauenrechte. Najafi lebt seit 2005 in Deutschland. Im Iran ist ein Kopfgeld von 100 000 Dollar auf ihn ausgesetzt. Ironie des Schicksals: Erst jetzt in Deutschland kann Ramin sein Idol live sehen, obwohl die beiden aus demselben Land stammen.

Ramin besitzt auch ein Buch des Künstlers. Darin heißt es: „lass mich einmal denken, dass ich ein Mensch bin.“, „Lass mich vergessen, dass sie mir zwanzig Jahre in die Fresse schlugen.“ Bei so was läuft einem ein kalter Schauer über den Rücken. Ramin hat das Gedicht in deutscher Schreibschrift auf ein Blatt geschrieben, nun hängt es an seiner Pinnwand. Seine eigene Erinnerung an den Iran mag vielleicht nicht ganz so krass sein, aber nah dran.

Der 17-jährige Ramin ist ein aufgeschlossener junger Mann, er wirkt absolut lebenslustig und fröhlich. Auffällig sind seine rot gefärbten Haare. Am Anfang wirkt er etwas zurückhaltend, aber im Laufe des Gesprächs kommt er immer mehr aus sich heraus. Seit einem halben Jahr lebt er bei einer Pflegefamilie in Laubegast.

Seine Eltern stammen aus Afghanistan, er selbst ist im Iran aufgewachsen. Dort lebte er in der Nähe der Hauptstadt Teheran mit zwei Schwestern, zwei Brüdern und seinen Eltern. Nur fünf Jahre besuchte er eine Schule, mit 13 fing er an zu arbeiten. Mit seinem Bruder Omid musste er Autos parken und Parkzettel schreiben. „Es war hart“, sagt er, „anstrengend, und dann war da so ein Chef“. Mit dem gab es wohl auch einige Probleme. Vor einem Jahr beschloss er, wegzugehen. Seine Mutter stand ihm bei der Entscheidung zur Seite. Auch in Deutschland, so ist unser Eindruck, hilft die Pflegemutter Ramin bei vielen Dingen. Sie ist jetzt sein Vormund.

Er entschied sich bewusst für Deutschland: „Hier gibt es eine Chance für mich. In anderen Ländern nicht.“ Er hat feste Ziele: „Fußball spielen und Profi werden, später Kindergärtner. Und natürlich Deutsch lernen“. Dass es in unserem Land eine gute Bildung gibt, war ihm auch klar.

Eine gefährliche Reise

Dann kam er, der Tag des Abschieds. Ramin feierte gemeinsam mit seiner Familie das große „Auf Wiedersehen“-Fest. Ob es hart war? „Natürlich!“ Am 21. April 2015 verabschiedete er sich. Die Mutter weinte, Ramins Papa war von Anfang an gegen die Flucht: Es sei zu gefährlich. Als Erinnerung an seine Heimat hat er eine silberne Kette mit einem Herz-Anhänger mitgenommen, inklusive dem eingravierten Namen von Allah. Religion ist ihm wichtig.

Nun ging die lange Reise los. Wie riskant sie war, merken wir spätestens, als er auf einer Weltkarte zeigt, wie er mit seinem älteren Bruder und dessen Familie nach Deutschland gekommen ist. Bereits die nächtliche, heimliche Flucht über die iranische Grenze war gefährlich. Über diese Barriere hinweg ging es in die Türkei, nach Istanbul. Dort hielten sie sich eine Weile in einer Wohnung auf.

Der Plan war nun, mit dem Schlauchboot nach Griechenland zu fahren. Doch wie man es so oft in den Nachrichten hört: Das Boot war mit 34 Personen überladen. Es kippte um, und bei hohem Wellengang sollten die Menschen versuchen, wieder draufzuklettern. Zwei kleine Kinder waren dabei, das eine ein Baby, das andere gerade mal drei Jahre alt. Bei Ramin werden die Bilder von der Flucht wahrscheinlich nie verschwinden. In seinen Träumen kommen sie immer wieder. Er sieht das Meer und die Eisenbahnschienen, über die sie gerannt sind.

Ein perfekt eingespieltes Team

Von Griechenland ging es nach Deutschland. Zu Fuß. Der Berechnung von Google Maps zufolge über 1 800 Kilometer, die Dauer nicht unter zwanzig Tagen. Geschlafen haben sie in „baufälligen Bruchbuden und Ruinen“, wie es die Gastmutter beschreibt. Ein Marathon ist nichts dagegen. Zwei Monate dauerte die Reise bis nach Deutschland. Doch auch hier gab es noch einige Etappen: in Passau angekommen, nach München weitergereist, schließlich ging es nach Chemnitz, Freital, Leipzig und irgendwann nach Dresden.

Bis Ramin ein richtiges Zuhause bekam, dauerte es auch noch ein paar Monate. In Freital, wo er in einer Erstaufnahmeeinrichtung lebte, lernte er Familie Kronefeld kennen, beim Quatschen auf der Straße. Damals protestierten Asylgegner vor dem Heim. Familie Kronefeld beunruhigte die Situation dort, am Ende fuhren sie fast jeden Tag hin, spielten mit den kleinen Flüchtlingskindern, redeten und lernten Ramin kennen. Sie waren die erste Familie in Dresden, die einen jugendlichen Flüchtling bei sich aufgenommen hat. Insgesamt leben derzeit 296 unbegleitete ausländische Minderjährige in Dresden, sieben davon in Gastfamilien, zwei in Pflegefamilien, die sich besonders intensiv um ihre jeweiligen Schützlinge kümmern.

Familie Kronefeld, dazu gehören die Eltern Dorothea und Olaf, die 19-jährige Frauke, die 25-jährige Ulrike und die Katze Pandora. Es wirkt so, als ob die Familie und Ramin ein perfekt eingespieltes Team sind und er das Beste ist, was ihnen passieren konnte. Sie haben ihre ganz eigenen Witze. Nun kochen die fünf auch mal gemeinsam persische Gerichte, Ghormeh Sabzi zum Beispiel. Das ist ein Gericht mit Mandelreis, Kräutern, getrockneten Zitronen und noch ein paar anderen iranischen Geheimzutaten. Sein Lieblingsessen in Deutschland ist Lasagne, die zweite Wahl, Sandwiches, kann er auch selber zubereiten.

Ramin geht in eine besondere Deutschklasse für Flüchtlinge. Es zahlt sich aus. Letztens bekam er in einem Test sogar 39 von 38 Punkten. Und Dorothea Kronefeld legt sich ebenfalls mächtig ins Zeug, sie lernt wegen Ramin extra Persisch. Der hat in Dresden mittlerweile auch einen Freund gefunden, Moin, ein junger Afghane. Die beiden gehen schwimmen, mixen Bananenmilch oder quatschen einfach. Was Pegida ist, weiß er nicht. Ist vielleicht besser so. Seine deutsche Mutter sagt dazu nur: „Die sind an den Tagen aktiv, wo du von Moin eher nach Hause kommen sollst.“

Fußball ist im Moment das Wichtigste in seinem Leben. „Ich habe Hoffnung mit Dynamo“, sagt er. Vielleicht spielt er ja irgendwann mal dort? Übrigens: Ramin bedeutet auf Deutsch „der Glückliche“.