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„Der Globus-Entwurf ist eine gute Lösung“

Eine junge Denkmalschützerin hat die Pläne für den Leipziger Bahnhof untersucht. Ihre Ergebnisse dürften provozieren.

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© Jörn Haufe

Von Martin Lamß

Wenn Anne Matern nach Dresden kommt, um ihre Mutter zu besuchen, fährt sie meistens mit dem Zug. Kurz bevor sie aussteigt, gleitet ihr Blick aus dem Fenster. Er bleibt hängen an dem Streitobjekt, dem sie ihren Studienabschluss zu verdanken hat: dem Alten Leipziger Bahnhof. Seit zwei Wochen hat sie ihren Master in Denkmalpflege. Auf ihre Abschlussarbeit an der Uni Halle-Wittenberg hat sie eine Eins bekommen. Die zentrale Forschungsfrage der Arbeit lautete: Ist ein Großinvestor wie Globus geeignet, ein so schwieriges Denkmal wie den Alten Leipziger Bahnhof zu erhalten?

Anne Materns Antwort dürfte viele Dresdner provozieren: „Der Globus-Entwurf ist eine gute Lösung.“ Zu diesem Schluss kommt die 31-Jährige Denkmalschützerin, nachdem sie sich intensiv in die Geschichte des Bahnhofs eingearbeitet und die Pläne des Architekturbüros Kretschmar & Dr. Borchers studiert hat, das die Entwürfe für das Globus-Projekt erarbeitet hat. Außerdem hat sie Behördenunterlagen ausgewertet, und mit ihrem Fotoapparat strich sie tagelang durch die Ruinen, untersuchte und dokumentierte so die noch vorhandene Bausubstanz.

Ausgesucht hat sich Matern das Thema selbst, inspiriert wurde sie von ihrer Mutter. Die legte ihrer Tochter immer wieder kritische Zeitungsartikel über das Globus-Projekt vor. „So habe ich angefangen, mich zu fragen, was genau eigentlich dran ist an den Plänen und was daran eigentlich so schlecht sein soll.“ Materns Sicht auf die Dinge ist die einer Denkmalschützerin. „Mit wirtschaftlichen Problemen für den Einzelhandel habe ich mich nicht beschäftigt. Dafür bin ich keine Expertin. Ich persönlich glaube aber, dass die Händler im Dresdner Norden nicht so unter Globus leiden würden, wie alle befürchten.“

Denkmalschutzamt folgt den Thesen

Ein Zwischenergebnis der Untersuchung war eine Kriterienliste, an der sich festmachen lässt, wie wertvoll das Gebäudeensemble in der Leipziger Vorstadt ist. Ähnliche Listen führen die Denkmalämter. Mit ihrer Hilfe schätzen sie ein, ob etwa ein Gebäude Denkmalcharakter besitzt. In Anne Materns eigener Liste tauchen Schlagworte wie Mahnmal, städtebauliche Originalität oder historische Substanz auf. Demnach ist der Alte Leipziger Bahnhof besonders schützenswert, etwa weil er während des Holocaust als Deportationsbahnhof genutzt wurde oder das letzte Zeugnis der ersten deutschen Fernreisebahn ist.

Das alles ist hinreichend bekannt. „Interessant wird es beim Thema historische Substanz“, sagt Matern. Die sei fast völlig verrottet, kaum noch da, aber vorhanden. Wo es so aussehe, könne man nicht sanieren. „Da muss man Rekonstruieren und so einen symbolischen Denkmalswert schaffen, ähnlich wie bei der Frauenkirche. Der Entwurf von Kretschmar & Dr. Borchers leistet genau das.“ Denn er würde die historischen Gebäude aus der Mitte des 19. Jahrhunderts als kleinteiligen Hof erhalten und damit auch ihren ursprünglichen Charakter. „Das eigentliche Globus-Kaufhaus rückt an den Rand des Geländes. So stört es das Ensemble nicht. Und mit dem geplanten Museum zur Bahnhofshistorie würde man der Geschichte des Ortes gerecht.“

In ihrer Arbeit zeigt Matern außerdem, dass wohl nur ein Großunternehmen das historische Gelände dauerhaft erhalten kann. Denn nur ein Großinvestor würde dafür langfristig genügend Geld erwirtschaften. „Zu Globus gibt es kaum Alternativen“, sagt sie. „Alle anderen Ideen belasten entweder die öffentlichen Kassen zu stark, oder es findet sich kein Investor für sie.“

Dem Amt für Denkmalschutz liegen Anne Materns Thesen vor. Zuständig für die Neustadt ist dort Stefan Beate. Er folgt Materns Thesen fast eins zu eins, gibt aber zu bedenken, dass der Globus-Entwurf auch einen Verlust an historischer Substanz bedeutet. „Letztlich ist die Investition von Globus aber eine greifbare Chance, wenigstens Teile der Gebäudesubstanz zu retten. Der Zustand der alten Empfangsgebäudes zeigt, dass nicht mehr viel Zeit verstreichen darf, wenn überhaupt noch etwas davon erhalten bleiben soll.“

Der Neustädter Ortsbeirat hat den Globus-Plänen auf seiner letzten Sitzung eine Absage erteilt. Mit großer Mehrheit stimmte er gegen eine entsprechende Umwidmung im Flächennutzungsplan. Nach den Vorstellungen der Ortsbeiräte sollen auf der Brache Grünflächen und Kultureinrichtungen entstehen.