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Der Gerechtigkeitsfreak

Tilo Hellmann von den Linken will nach der Wahl am 24. September in den Bundestag einziehen. Auch in Meißen hat er viel vor.

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© Claudia Hübschmann

Von Dominique Bielmeier

Meißen. Das Glück in seinem Leben, sagt Tilo Hellmann gleich zu Beginn des Gesprächs im Innenhof des „Hauses für Vieles“ in Meißen, das sei, „dass alles immer irgendwie passiert ist“. Eben auch das mit der Politik. Die habe er sich nämlich gar nicht selbst ausgesucht. Sondern? „Die Politik hat sich irgendwie mich ausgesucht.“

Und das offenbar mit einiger Hartnäckigkeit, immerhin ist der 33-Jährige heute nicht nur Vorsitzender des Ortsverbands der Linken in Meißen, sondern auch ihr Direktkandidat für die Bundestagswahl im Landkreis. Als er 2003 sein Magisterstudium der Soziologie, Rechts- und Politikwissenschaften an der TU Dresden begann, hatte er mit Politik noch nicht viel am Hut. In seiner Familie und seinem Freundeskreis wurde zwar politisch diskutiert – und Hellmann nannte seine Position schon damals „eher links“ – in einer Partei war aber niemand von seinen Bekannten. Auch er selbst nicht.

Das Studium hatte er stattdessen rein nach Interesse gewählt, ohne mit einem Auge darauf zu schielen, was die Wirtschaft später einmal suchen könnte. „Ich habe gedacht, das wird im Leben schon irgendjemand brauchen“, sagt Hellmann und lächelt verschmitzt.

Sechs Fragen an: Tilo Hellmann (Die Linke)

Was wollten Sie einmal werden, als Sie noch ein Kind waren?

Mein erster Berufswunsch war Zahnarzt.

Wer ist Ihr größtes Vorbild?

Politisch gesehen kommt keiner an Gregor Gysi vorbei.

Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?

Immer noch in der Politik, egal ob Bund oder Land, aber auf jeden Fall in Meißen.

Welches sind Ihre drei besten Eigenschaften?

Ich bin eigentlich immer auf Interessenausgleich bedacht, hartnäckig, wenn es um meine Überzeugung geht, und ein notorischer Gutmensch, der die Welt ein wenig besser machen möchte.

Und was sind Ihre drei schlechtesten Eigenschaften?

Ich kann schwer mit Dummheit und Ignoranz umgehen, kann auch mal Querulant sein und sage leider viel zu selten „Nein“, wenn es um das Verteilen von Aufgaben geht.

Wenn Sie sich in einem Satz beschreiben müssten…

...würde ich sagen, dass ich ein passionierter Weltverbesserer mit ausgeprägtem Sinn für Gerechtigkeit bin, der als Ziel in seinem Leben hat, unsere Gesellschaft demokratischer, offener und für alle lebenswert zu gestalten.

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Zur Linken, damals noch PDS, kam er schließlich bei der Suche nach einem Praktikum. Da habe er schon in mehrere Branchen hineingeschnuppert – „es fehlte halt noch die Politik“. Also fragte er bei verschiedenen Landtagsfraktionen an, ob sie Verwendung für ihn hätten. Die Linke hatte und gab den jungen Mann seitdem nicht mehr frei. „Ich habe dann direkt in der Haushaltspolitik angefangen und mich scheinbar nicht so doof angestellt, sodass es immer ein Stück weitergegangen ist“, sagt Hellmann.

In die Partei tritt er schließlich auch ein, „weil ich das eigentlich alles ganz cool fand“. Was ein wenig salopp klingt, verbirgt eine tiefe Überzeugung, bei den Linken gut aufgehoben zu sein. „Ich bin schon immer so ein Gerechtigkeitsfreak gewesen“, erklärt Hellmann seine Motivation. „Unabhängig von der Politik.“

Zum Beispiel sei er früher Klassensprecher gewesen und generell immer derjenige, der sich schützend vor andere gestellt habe. Ob es darum ging, andere Schüler vor ungerechtfertigten Sanktionen der Lehrer zu bewahren oder gegen die Schließung der Schule zu protestieren. „Da war es mir auch egal, ob ich mir damit Freunde mache oder nicht. Im Nachhinein habe ich mich vielleicht geärgert, wenn ich die Klappe zu weit aufgemacht hatte, aber ich musste mich immer für etwas einsetzen“, sagt Hellmann.

In der Politik will er das fortführen. Ein wichtiges Thema ist für ihn dabei Weltoffenheit. „Da haben wir hier in Meißen leider in meinen Augen ein großes Defizit“, sagt er und wird ernst. „Obwohl wir eigentlich eine Stadt sind, die viel von Internationalität profitiert“. Hellmann ist Vorstand im Bündnis „Buntes Meißen“, das sich für die Integration von Flüchtlingen in der Stadt einsetzt. „Deshalb ist es für mich tatsächlich ein Kernthema, dass ich für eine menschliche und menschenwürdige Asylpolitik kämpfen möchte.“ Auf politischer wie auf gesellschaftlicher Ebene.

Denn auch von den Meißnern würde Hellmann gerne mehr Offenheit im Umgang mit den neuen Mitbürgern erleben. „Gerade, da wir in Meißen festgestellt haben, dass es eigentlich gar keine Probleme gibt, sondern dass es ganz normale Leute sind.“ Würden diese gut integriert, könnten die Stadt und ihre Bürger sogar davon profitieren. „Aber das funktioniert in Meißen nicht, auch mit neu Hinzugezogenen.“

Das muss Hellmann immer wieder selbst erfahren. 2012 ist er mit seiner Partnerin aus Dresden nach Meißen gezogen, hat hier ein Haus gekauft. Die gemeinsame fünfjährige Tochter wurde gerade auf der Freien Werkschule angemeldet. Die Familie ist in Meißen angekommen, auch wenn Hellmann noch in seiner Heimatstadt Dresden im Landtag arbeitet. „Trotzdem bekommt man noch immer diesen Stempel des Nicht-Meißners aufgedrückt“, erzählt er. „Das ist etwas, womit ich mich einfach nicht abfinden möchte.“

Doch dass die Politik mit Regeln und Gesetzen allein in den Köpfen der Menschen nichts ändern kann, weiß auch der Linken-Politiker. Trotzdem hätten Politikerinnen und Politiker einen gewissen Einfluss auf die Bürger – allein aus ihrer Vorbildrolle heraus.

Und weil schon ein bisschen Wahlkampf ist, zeigt Hellmann, dass er durchaus auch austeilen kann. Zum Beispiel an die Stadtspitze sowie Landtags- und Bundestagsabgeordnete aus Meißen. Die hätten für Hellmann nämlich bei manchen rechten Umtrieben wie der Initiative Heimatschutz einfach einmal laut „Halt!“ rufen müssen, um den Ruf der Stadt nicht völlig den Bach runtergehen zu lassen.

Auch ein allgemeines Konzept für die Stadt vermisst er. „Ich habe manchmal das Gefühl, dass hier in der Stadt die eine Hand nicht weiß, was die andere tut.“ Da stünden in der Haupttouristenzeit Bagger auf dem Marktplatz herum, und wenn Straßen gesperrt seien, gebe es oft sogar auf den Umgehungsstraßen Behinderungen.

„Meißen muss auch ein kleines bisschen von seinem hohen Ross runterkommen“, sagt Hellmann. „Wir sagen immer, wir sind die Wiege Sachsens, wir müssten die eigentliche Hauptstadt sein.“ Dieser „Meißenstolz“ sei sogar noch größer als der Sachsenstolz. „Aber wir müssten sagen, o. k., wir sind eben ein Vorort Dresdens – und damit spielen wir. Dieses Potenzial versuchen wir auszunutzen.“

Tilo Hellmann mag sich die Politik nicht ausgesucht haben, die Stadt Meißen hat er sich jedoch ganz bewusst als Wohnort gewählt. „Und genau das ist das Problem.“ Denn wenn es nach ihm ginge, müsste in der Landeshauptstadt massiv Werbung für Meißen gemacht werden. Ungefähr so: „Wohnung zu teuer? Wohnung zu klein? Kommt zu uns nach Meißen!“ Schließlich ist man mit der S-Bahn in einer halben Stunde in Dresden. „Wenn sie denn fährt“, fügt Hellmann an und zieht kurz eine Augenbraue hoch.

Stattdessen verschenke die Stadt ihr Potenzial. „Egal, welche Liste man nimmt“, sagt Hellmann, „ob es um irgendwelche Wettbewerbe geht, oder um Fördergelder: Meißen taucht nicht auf.“

Einmal klingt der 33-Jährige ganz kurz wie Pippi Langstrumpf – nicht nur, weil das Wort „bunt“ immer wieder eine Rolle im Gespräch spielt, sondern weil er an einer Stelle selbstkritisch sagt: „Ich kann mir die Welt nicht so bauen, wie sie mir gefällt.“ Denn dann wäre es eine Welt, in der es selbstverständlich ist, dass jeder den Menschen heiraten kann, den er liebt – wenn er denn möchte. In der die Menschen einander ohnehin vollkommen vorurteilsfrei begegnen. Aber vielleicht auch eine Welt, in der ein Gerechtigkeitsfreak wie Tilo Hellmann gar nichts mehr zu tun hätte.

Zur Person

1983 Am 18. November kommt Tilo Hellmann in Dresden-Friedrichstadt zur Welt.

2002 Am Fritz-Löffler-Gymnasium in Dresden macht er Abitur.

2003 Bis Oktober dauert sein Zivildienst im Seniorenwohnpark der Volkssolidarität Dresden. Auch danach bleibt er seiner Heimatstadt treu: An der TU Dresden studiert er Soziologie, Rechts- und Politikwissenschaften.

2006 Hellmann tritt in die PDS ein. Ein Jahr später fusioniert sie mit der WASG und wird Die Linke.

2006 Ab April arbeitet Hellmann als freier Mitarbeiter im Bereich Haushalt und Fördermittel der Fraktion Die Linke im Sächsischen Landtag. Ab Juli ist er Mitarbeiter im Besucherdienst des Sächsischen Landtags.

2009 Seit 1. Januar ist Hellmann Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Linken im Sächsischen Landtag, bis Ende August arbeitete er für Falk Neubert, seitdem für die Abgeordnete Verena Meiwald.

2009 Hellmann wird Mitglied im Kreisvorstand Die Linke, Sächsische Schweiz – Osterzgebirge.

2015 Seit September ist er auch Mitglied im Landesvorstand der Linken, seit November Vorsitzender der Kreisfinanzrevisionskommission der Meißner Linken.

2016 Hellmann wird Mitglied im Finanzbeirat der Linken, Sachsen.

2016 Seit November ist er Vorsitzender des Linken-Ortsverbands in Meißen.

2017 Am 4. Februar wird Tilo Hellmann zum Direktkandidaten für die Bundestagswahl im Landkreis Meißen gewählt.