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Der Firmen-Retter

Er begleitet die Insolvenz von Air Berlin, hat Mifa eine Zukunft geschenkt und das Firmengeflecht von Unister veräußert. Lucas F. Flöther wird dann gerufen, wenn es in den Unternehmen brennt – und andere mit ihren Löschversuchen gescheitert sind.

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© Anja Jungnickel

Das Wort Verwalter mag Lucas F. Flöther nicht besonders. Der 43-Jährige will retten und restrukturieren. Das tut er sehr erfolgreich, so erfolgreich, dass seine Hallenser Kanzlei Flöther & Wissing im Herbst vergangenen Jahres mit dem „JUVE Award 2017“ ausgezeichnet wurde. Der Juve-Verlag, der auch das Handbuch mit dem „Who-is-Who“ der Anwaltsbranche herausgibt, verleiht den Preis in mehreren Kategorien, darunter auch „Restrukurierung und Insolvenz“. Im Interview erklärt der Insolvenzanwalt, wie sich sein Berufsbild in den vergangenen zwei Jahrzehnten gewandelt hat und warum vor allem bei größeren Firmen eine Pleite fast nie das Ende bedeutet:

Herr Professor Flöther, Sie haben sich den Ruf erarbeitet, einer der namhaftesten Insolvenzverwalter Deutschlands zu sein. Die Liste Ihrer Mandanten ist lang. Sie reicht von Mifa über Unister bis zu Air Berlin und Niki. Was kann da noch kommen?

Es gibt deutschlandweit eine ganze Reihe von namhaften Kanzleien. Aber Sie haben Recht, wenn es um die Insolvenz sehr großer Firmen geht, ist die Zahl der Kanzleien, die damit Erfahrungen haben, eher begrenzt. Es gibt ja mit dem Gravenbrucher Kreis die Vereinigung der führenden Insolvenzverwaltungskanzleien in Deutschland. Die aktuell 15 aktiven Mitglieder sind die, die bei Insolvenzen wie Karstadt, SolarWorld oder Air Berlin gerufen werden.

Sie sind die einzige Kanzlei in Ostdeutschland, die zu den wirklich großen Fällen gerufen wird.

Nicht die einzige, aber eine von ganz wenigen.

Die wirtschaftliche Lage ist in Deutschland derzeit sehr gut. Die Auftragsbücher der Unternehmen sind voll. Für einen Insolvenzverwalter sind das nicht unbedingt die besten Zeiten?

Das stimmt. Wir haben Konjunktur und wir haben historisch niedrige Zinsen. Das führt dazu, dass die Insolvenzzahlen niedrig sind. Trotzdem gibt es auch in dieser Phase größere Insolvenzverfahren wie etwa Mifa oder Air Berlin.

Und es gibt auch Unister. Ein Fall, der Ihnen schlaflose Nächte beschert haben soll?

Das machen alle großen Fälle. Gerade in den ersten Tagen ist es immer die Herausforderung, sich in die aktuelle Sachlage und in die Zahlen einzuarbeiten. Als Insolvenz- oder Sachwalter übernimmt man von einer Minute auf die andere große Verantwortung. Man ist so etwas wie der Notarzt für Firmen, der aber erst dann gerufen wird, wenn andere Ärzte bereits versucht haben, den gerade verblutenden Patienten auf dem OP-Tisch zu retten.

War Unister als E-Commcerce-Unternehmen ein besonderer Fall?

Nein, wir haben schon einige Unternehmen aus diesem Bereich begleitet und betreuen auch Insolvenzen von Start-ups. Herausfordernd war es dennoch, denn das Firmengeflecht war recht kompliziert. Unister ist sehr rasch gewachsen, die Organisationsstrukturen darunter haben sich aber nicht im gleichen Maße entwickelt. Außergewöhnlich ist ganz sicher die Story, die dahinter steht. Der Gründer aus dem Hinterhof wird zum Millionär und verunglückt tödlich unter tragischen Umständen. Das ist der Stoff für einen Thriller – und ich bin mir sicher, dass wir dazu irgendwann noch einmal etwas lesen oder sehen werden.

Der Fall Unister ist abgeschlossen?

Er ist insofern abgeschlossen, dass wir alle wesentlichen Geschäftsbetriebe verkaufen konnten, den Bereich Travel komplett und auch der Non-Travel-Bereich wurde entsprechend verwertet. Als Insolvenzverwalter ist man damit allerdings längst noch nicht seinen Job los. Es geht jetzt um die Abwicklung des rechtlichen Rahmens eines Unternehmens. Forderungen müssen eingezogen, Rechtsstreitigkeiten geführt und Anfechtungen geprüft werden. Bei einer Konzerninsolvenz dieser Komplexität wird es Jahre dauern, bis das Verfahren endgültig abgeschlossen ist. Erst dann geht auch der Insolvenzverwalter von Bord.

Sie waren bei Unister von der Treue der Kunden überrascht...

Wir Insolvenzverwalter sind Berufspessimisten. Natürlich hatten wir Sorge, dass uns insbesondere bei den Reiseportalen von Unister ein Strömungsabriss droht. Das wäre für die Fortführung und den Verkauf des Unternehmens ein Drama gewesen. In der Tat, ich war von der Stärke der Marke beeindruckt. Obwohl wir die Marketingausgaben radikal heruntergefahren haben, wurden die Portale wie fluege.de oder ab-in-den-Urlaub.de weiter gut genutzt und die Kunden haben weiter gebucht. Hier zeigte sich erneut, dass der Aufbau von neuem Vertrauen zwischen allen Beteiligten für den Erfolg eines Insolvenzverfahrens entscheidend ist.

Waren die gigantischen Marketingkosten der Fallstrick des Unternehmens?

Das würde ich so pauschal nicht sagen. Sie waren zweifellos sehr hoch, aber sie haben die Marken überhaupt erst möglich gemacht. Eines ist auch richtig: Unister hat sich die letzten zehn Prozent seines Umsatzes mit sehr hohem, vielleicht sogar zu hohem Aufwand erkauft.

Das Berufsbild des Insolvenzverwalters ist im Wandel. Früher ging es um die geordnete Unternehmensabwicklung, um Zerschlagung und Verteilung der vorhandenen Werte. Heute geht es oft um den Erhalt. Sehen Sie sich als Retter?

Krisenmanager wäre wohl der bessere Begriff. 1999 wurde die Konkursordnung zur Insolvenzordnung. Themen wie Unternehmensfortführung, Eigenverwaltung und Konzerninsolvenzen spielten plötzlich eine Rolle. Themen übrigens, die ich immer schon spannend fand, schon während meines Studiums. Deswegen haben wir uns frühzeitig darauf ausgerichtet. Nach der Einführung der Insolvenzordnung gab es schnell die ersten großen Verfahren. Ich erinnere an Philipp Holzmann im Jahre 2002. Damit hat sich auch die Rolle des Insolvenzverwalters weiterentwickelt. Eine Fortführung gelingt nur, wenn es eine neutrale Stelle gibt, die für den Interessenausgleich sorgt. Es braucht mediative, kommunikative Fähigkeiten und man muss den Kompromiss suchen. Auch in Insolvenzverfahren ist es wie im Leben: Die Wahrheit liegt in der Mitte.

Sie haben sich in der Juristerei ganz bewusst für das Insolvenzrecht entschieden und dazu eine ganze Reihe von Büchern veröffentlicht. Wären Sie vielleicht sogar gern selbst Unternehmer geworden?

Unsere Kanzlei hat über 100 Mitarbeiter und neun Standorte. Ich muss immer für die nötige Liquidität sorgen, um Gehälter bezahlen zu können. Ich muss vorausplanen und habe, genau wie andere Firmenchefs, die Herausforderung, geeignetes Personal zu finden. Wir haben drei regionale Schwerpunkte. Das ist die mitteldeutsche Achse von Stendal bis Dresden, die wir von Halle aus betreuen. Von unserem Büro in Mannheim sind wir vor allem in Baden-Württemberg aktiv, und dann gibt es noch unsere Niederlassung in München für den bayerischen Raum.

Die Geschäfte der Unternehmen werden zunehmend international. Ihr Fokus war und ist aber Deutschland?

Ja, das hängt auch mit dem internationalen Insolvenzrecht zusammen. Die verschiedenen Insolvenzrechte unterscheiden sich sehr stark. Ein Verwalter wird in der Regel in dem Land bestellt, wo das Unternehmen den Mittelpunkt seiner Geschäftstätigkeit hat. Es kann jedoch sein, dass Tochtergesellschaften, etwa im Ausland, separat abgewickelt werden, also sozusagen vor Ort. Wir kooperieren dann mit den dortigen Insolvenzverwaltern. Die bestehende europäische Insolvenzordnung regelt die Abwicklung innerhalb der EU. Sind andere Regionen der Welt betroffen, wird es komplizierter.

Neben der Globalisierung ist die Digitalisierung das große Thema unserer Zeit. Wie wirkt sich das auf Ihre Arbeit aus?

In großem Maße. Vor allem die Digitalisierung hat unser Geschäft über die Jahre massiv verändert. Bin ich vor Jahren noch mit Aktenstapeln umhergerannt, haben wir heute ein papierloses Büro. Bei Air Berlin gibt es mehr als eine Million Gläubiger. Alle Forderungen werden heutzutage digital erfasst. Da reicht das IPad in der Tasche. Zudem brauchen wir auch nicht mehr so gigantische Lagerflächen für unsere Akten. Da sind jedes Jahr Tonnen von Papier angefallen. Heute regeln das Server-Landschaften. Das ist nicht unbedingt preiswerter, aber es schont die Umwelt.

Finden Sie noch Zeit zum Tennisspiel?

Aktuell ist es zeitlich eher schwierig, aber grundsätzlich versuche ich, so oft wie möglich auf den Platz zu kommen.

Gibt es Gemeinsamkeiten zwischen dem Spiel und Ihrer Arbeit?

Ehrgeiz, Voraussicht und auch ein Stück weit Verbissenheit sind nötig auf dem Platz und am Verhandlungstisch. Und natürlich ist es auch entscheidend, einen Blick für das Gegenüber zu entwickeln.

Apropos Tennis: Boris Becker hat bei Ihnen noch nicht angefragt?

Nein, er lebt ja in London und wird in erster Linie nach britischem Insolvenzrecht behandelt. Ich verfolge seine Geschichte natürlich mit Interesse. Und ich sage das auch für den Fall von Thomas Wagner: Es sind oft die falschen Berater, die einen Teil der Schuld tragen. Ein Unternehmer braucht, um Fehlentwicklungen rechtzeitig zu erkennen, einen vertrauensvollen Freund als Sparringpartner, der ohne eigene Interessen ehrlich seine Meinung sagt.

Und Ihr Tipp an alle Unternehmer?

Der ist ganz einfach. Achtet auf den Ertrag und behaltet die Liquidität im Auge. Aber Sie glauben gar nicht, wie oft ich in erstaunte Augen blicke, wenn ich in einem durchaus größeren Unternehmen einen Liquiditätsplan für die kommenden zehn, zwölf Wochen verlange. Da wird vieles schön gerechnet. Das geht eine Zeit lang gut, aber irgendwann kommt der Knall.

Gespräch: Ines Mallek-Klein.