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Der Fiedler im Foyer

Schweinsohren und Buchteln verkauft Gerald Schneider am besten mit Musik. Die macht er gleich selbst und übt dabei Geige.

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© Christian Juppe

Von Nadja Laske

Klasse Akustik! Gerald Schneider kann sich keinen besseren Ort zum Üben vorstellen. An diesem Vormittag steht er im Foyer des Hauses der Presse – mit der Geige in der Hand. Vor ihm Zupf-, Klecksel- und Streuselkuchen. Puddingschnecken und Milchzöpfe. An seinem Backwarenstand herrscht noch Ruhe. Das wird sich in der Mittagszeit ändern.

Dann eilen Hunderte zur Kantine, Verlagsmitarbeiter und viele Besucher aus den Agenturen, Kanzleien, Hotels und Geschäften in der Umgebung. In weiser Voraussicht decken sie sich mit Kuchen zum Nachmittagskaffee ein. Doch bis der Trubel beginnt, nutzt Gerald Schneider die Zeit, um Geige zu spielen.

„Bärenhecker Mühlenfiddler“ nennt sich der 43-Jährige. Er brauche einen echten Verkäufer, hatte ihm sein Chef der Bäckerei Bärenhecke im Einstellungsgespräch gesagt, und war bei dem Bannewitzer an der richtigen Adresse. „Ich bin schon immer Verkäufer gewesen, mit Leib und Seele“, sagt Gerald Schneider. Dabei lässt er ein Kartoffelbrot behutsam in die knisternde Papiertüte rutschen. Die Kundin geht, und der Fiedler hat bis zum nächsten Käufer Zeit. Er greift zu seiner Violine, der Geigenbogen gleitet flott über die Saiten. „So schlage ich zwei Fliegen mit einer Klappe“, sagt er, „Ich übe und mache gleichzeitig auf meinen Verkauf aufmerksam.“ Allerdings nicht mit Vivaldi und Bach, sondern mit irischen Klängen, die er gern improvisiert, auch wenn’s vielleicht nicht jedermann Geschmack trifft. Meistens jedoch bekommt der Hobbygeiger ein Lächeln und den nächsten Umsatz in die Kasse.

Die Methode macht die Musik

Schon als kleiner Junge nahm Gerald Schneider Instrumentalunterricht. Dreimal die Woche zog er mit dem Geigenkasten los. Sein Vater zeigte dem Steppke Orchesteraufführungen im Fernsehen und besuchte mit ihm Konzerte. „Ich war immer fasziniert davon, was die Violinisten da mit dem Bogen auf der Geige machen. Das wollte ich auch können.“

Doch mit den Jahren wuchs die Frustration. Immer weniger Spaß hatte Gerald Schneider am Spiel. Zu klassisch und starr sei der Unterricht verlaufen, sagt er. Was daran nicht zu ihm passte, erkannte er erst, als sein eigener Sohn begann, Geige zu lernen. Da war sein Instrument schon lange verstummt. „Vor 28 Jahren hatte ich die Nase so voll, dass ich nie mehr wieder eine Violine anfassen wollte.“ Nun motiviert ihn der Sohnemann. Er lernt nach einer Methode, die Spielfreude garantiert. Gerald Schneider engagiert sich im Musikverein Bannewitz, zu dem auch eine Musikschule gehört. Dort unterrichtet die südkoreanische Musikerin und Lehrerin Hyoung Ran Kim nach der sogenannten Suzuki-Methode. Die verzichtet zunächst aufs Notenlesen und will das Geigenspiel durch Hören, Beobachten und Nachahmen vermitteln. Ganz ähnlich wie Kinder das Sprechen ihrer Muttersprache erlernen.

„Das gefiel mir so gut, dass ich endlich wieder zur Geige gegriffen habe“, sagt der Fiddler aus dem Foyer. Anfangs probierte er auf dem Instrument seines Sohnes, doch die Violine des Achtjährigen ist recht klein. Bald aber ergab sich die Gelegenheit, eine eigene zu erwerben – 120 Jahre alt, aus einem Nachlass in sorgsame Hände gelegt. Nun macht Familie Schneider Hausmusik.