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Der Familienforscher

Schon mit zehn Jahren hat Ronny Steinicke seinen ersten Stammbaum auf ein Blatt Papier gezeichnet. Dabei hat er schnell gemerkt, wie klein die Welt ist.

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© Lutz Weidler

Von Britta Veltzke

Riesa. Angefangen hat alles an Weihnachten. „Wir saßen im Kreise der Familie zusammen. Es wurde über Verwandte gesprochen, von denen ich noch nie gehört hatte. Für mich als Kind klang das wie Geschichten aus grauer Vorzeit.“ Ronny Steinicke war damals zehn Jahre alt. Das Gespräch hat das Kind in Bahnen gelenkt, die er bis heute nicht verlassen hat. Der junge Riesaer studiert inzwischen Geschichte in Dresden – wenn er nicht gerade in Hörsälen oder Seminarräumen sitzt, arbeitet er weiter an seinem Stammbaum. Steinicke ist Genealoge, er erforscht seine Familiengeschichte. Ein Hobby, das er vor allem mit älteren Kollegen teilt. Vor zwei Jahren ist er in den Dresdner Verein für Genealogie eingetreten. „Da ziehe ich den Altersschnitt schon gehörig nach unten“, sagt der 21-Jährige lachend.

Aber zurück zum besagten Weihnachtsfest. Auf einem Zettel Papier zeichnet er damals seinen ersten Stammbaum. Als er nicht weiterkommt, befragt er alte Verwandte. „Doch da bin ich auch schnell an die Grenzen gekommen.“ Es mussten andere Quellen her. Während sich Gleichaltrige die Zeit mit Computerspielen oder Fußball vertreiben, begibt sich der kleine Ronny stundenlang in Archive, wälzt Kirchenbücher, macht sich auf die Suche nach alten Urkunden und Verträgen. Auch sein Taschengeld geht dafür drauf. Er bezahlt Archivgebühren, Kopien, Reisekosten. Unterstützt wird er von seiner Familie. „Meine Mutti hat es dann auch gepackt. Wenn ich irgendwo allein nicht hingekommen bin, sind wir oft zusammen auf Recherchetour gegangen.“ Sie freue sich genauso wie er über neu entdeckte Verzweigungen im Stammbaum.

Komische Blicke habe er als Jugendlicher selten geerntet – ganz im Gegenteil. „Die Mitarbeiter in den Kirchgemeinden und Archiven waren eigentlich immer nett und hilfsbereit.“ An manchen Orten ist Steinicke nun seit Jahren Stammgast – in der Kirchgemeinde in Prausitz zum Beispiel, woher ein Teil der Familie stammt. Eine andere Verästelung des Stammbaums hat ihn schon häufiger nach Golzow in Brandenburg geführt. „Von dort stammt auch unser Familiename.“ Wie der Name vermuten lässt, leitet sich Steinicke von Stein ab. „Nachnamen haben sich erst im späten Mittelalter herausgebildet. Häufig beziehen sie sich auf die Wohnstätten. Steinicke kommt wahrscheinlich daher, dass die Familie in der Nähe eines Steins gewohnt hat. Der Name könnte aber auch mit Charaktereigenschaften zu tun haben, die dem ersten Namensträger zugeschrieben wurden.“ Andere Nachnamen orientierten sich an Berufen oder dem Vornamen des Vaters.

Steinicke ist inzwischen bis ins 15. Jahrhundert vorgedrungen – und hat dabei auch schon so manches Familiendrama entdeckt: „So um 1830 hat ein Mann eine Frau in Heyda geheiratet. Sie war eine Verwandte meiner Großmutter. Die Ehe wurde aber wenig später annulliert, weil sie offenbar ohne Einverständnis der Frau vollzogen wurde. Der Mann hat dann neu geheiratet, diesmal eine Vorfahrin meines Großvaters.“ Das Spannende für den Familienforscher: Die Familien seiner Oma und seines Opas gerieten offenbar schon über 100 Jahre vor ihrer Hochzeit miteinander in Kontakt – auch wenn die Geschichte nicht gut ausging. Man beachte die Begriffe Verwandte und Vorfahre. Steinicke erklärt: „Vorfahren sind die Menschen, von denen man in direkter Linie abstammt, also Vater, Oma, Uropa. Schwestern und Onkel sind Verwandte.“

Tagelöhner, Handwerker, Bauern

Auf unerwartete Verbindungen trifft Steinicke auch immer wieder in Gesprächen mit seinen Genealogenkollegen in Dresden. „Wir finden beim Abgleich unserer Stammbäume oft dieselben Namen.“ Doch die Sektgläser klingen angesichts einer solchen Entdeckung nicht. „Man freut sich schon, aber wirklich etwas Besonderes ist das nicht.“

Erst durch die Ahnenforschung hat Ronny Steinicke sein Interesse für Geschichte entwickelt. „Vorher habe ich mich null dafür interessiert. Aber wenn man Ahnenforschung betreibt, will man nicht nur die Namen wissen.“ Man wolle auch erfahren, wie die Verwandten damals gelebt haben. „Namen und Daten sind nur ein Gerippe.“ In seiner Familie gab es keine großen Denker oder Adelige – vielmehr einfache Landbewohner. „Tagelöhner, Handwerker, Bauern“, zählt er auf.

Beendet sein wird seine Arbeit nie. „Wenn man ab einem bestimmten Punkt in der Vergangenheit nicht weiterkommt, kann man immer in der Breite weitermachen.“ Zudem gelte es, Widersprüche und Unklarheiten auszumerzen. Für einen Genealogen gibt es also immer etwas zu tun.