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Der Experte fürs Menschliche im Roboter

Der Bernstädter Hagen Lehmann forscht in der Robotik und zog dafür nach England, Österreich und Italien.

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© SZ Thomas Eichler

Von Anja Beutler

Der Kleine sieht niedlich aus: Große, dunkle Augen hat er. Manchmal zwinkert er sein Gegenüber lustig an. Hände und Finger greifen gut. Und sein weißes, glattes Gesicht kann regelrecht leuchten. Dass das so ist, liegt auch an Hagen Lehmann. Mit seinen Kollegen bringt er diesem Spross mit Namen iCub, der so groß ist wie ein vierjähriges Kind, Menschliches bei. „Wir wollen den Roboter menschenähnlicher machen“, erklärt der Wissenschaftler, der aus Bernstadt stammt, derzeit aber im italienischen Genua lebt und am Istituto Italiano di Tecnologia als Forschungsstipendiat des Marie-Curie-Netzwerkes der Europäischen Union arbeitet.

Denn schon jetzt sei absehbar, dass Roboter in 15 oder 20 Jahren wichtige Partner im Haushalt sein werden. Sie werden dann ältere Menschen nicht nur an ihre Medikamente erinnern und ihnen ein Glas Wasser bringen, sondern auch schwere Arbeiten übernehmen. „Natürlich geht es nicht darum, einen Menschen zu ersetzen“, sagt Lehmann. Denn die Maschinen werden nicht intelligent sein – wie in manchem Horrorfilm. Sie sollen helfen. „Dafür ist es nötig, dass die Roboter menschliches Verhalten simulieren können, Dinge, die wir ganz unbewusst ständig machen“, sagt er. Mit unflexiblen Industrierobotern sei das nicht möglich. Ein Roboter im Haushalt müsse einfach mehr können. Und damit die Technik akzeptiert werde, könne es helfen, wenn der Roboter zwinkert – oder sein Gegenüber nicht ständig anstarrt.

Dass Hagen Lehmann mit seinen Kollegen dem Roboter iCub in den kommenden Jahren Benehmen beibringen will, liegt an seiner ursprünglichen Ausbildung: „Ich habe in Dresden Psychologie studiert und danach zwei Jahre am Max Planck Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig gearbeitet“, erzählt der 38-Jährige. Damals suchte er Unterschiede im Verhalten von Menschenaffen im Leipziger Zoo und menschlichen Babys. Mit Tieren ging es auch weiter: 2004 bis 2005 war der Bernstädter auf einer eigentlich ganz privat-normalen Weltreise unterwegs, die er aber per Zufall in Neuseeland mit einem Forschungsprojekt zu Delfinen beendete. Auch hier untersuchte er mit den Kollegen das Verhalten der Tiere, ihre Wege, um wichtige Daten für die Fischerei zu sammeln. Denn einen Delfin hat keiner gern als Beifang im Netz.

Mehr Technik zog erst danach in Hagen Lehmanns Forscherleben ein: 2005 begann er an der Universität im englischen Bath seine Doktorarbeit zu schreiben. Seine Aufgabe war es, Verhaltensmuster von Primaten – zum Beispiel Regeln, wie Gruppen oder Hierarchien entstehen – in theoretische Modelle zu übertragen. „Natur kann man so sehr gut simulieren“, erklärt er. In diesen vier Forschungsjahren – die er zum Teil in Wien verbrachte – spielte das Programmieren eine immer größere Rolle.

So war es fast logisch, dass die sich rasant entwickelnde Robotik – so wird in England der Forschungsbereich genannt – ihn nun weiter begleitet: Bis Anfang dieses Jahres war er über die Universität Hertfordshire nahe London an der Entwicklung eines Roboters namens Kaspar beteiligt, der autistischen Kindern helfen soll. „Die Kinder haben Schwierigkeiten, sich in andere Menschen einzufühlen, Mimik und Gestik zu deuten“, sagt Lehmann. „Mit dem Roboter können sie das lernen – und der ist auch nicht nachtragend“, sagt er und lacht.

Ob er sich die Weltenbummelei ausgesucht hat? „Das war eher Zufall, es liegt einfach an meiner Arbeit“, sagt der Wissenschaftler. Zurück in die Heimat wolle er gern. Zumindest in die Nähe. Aber das ist nicht so leicht: „Die Zentren für Forschungen über das Zusammenspiel von Mensch und Roboter sind vor allem in Italien, England, Frankreich und Skandinavien“, zählt er auf. In Deutschland befasst man sich eher in Bielefeld, Karlsruhe oder München mit dem Thema. Wenn er die Chance hätte, der Heimat wieder näher zu rücken, hätte der Bernstädter zumindest wenig verpasst: „Ich bin ganz gut informiert, was zu Hause passiert“, sagt er. Bis zu dreimal in der Woche erfährt er das Neuste aus Deutschland – Dank des Internettelefondienstes Skype. Seine Eltern – sein Vater war bis vor wenigen Jahren Schulleiter in Bernstadt, seine Mutter leitet derzeit das Heimatmuseum – besucht er zwei- bis dreimal im Jahr. „Ich kenne trotz der Entfernung den neusten Klatsch ganz gut“, meint Lehmann verschmitzt. Und diese Dinge interessierten ihn auch, betont er.

Im Beruf lebe er in einer Art eigenem Wissenschafts-Mikrokosmos. Seine Kollegen kommen von allen Kontinenten, Englisch ist Standardsprache. „Ich merke richtig, dass ich überlegen muss, wenn ich auf Deutsch erklären will, was ich mache“, stutzt er. Viel Freizeit bleibt bei seinem Arbeitspensum meist nicht. Aber Sehenswertes wie die großen Museen in London hat er sich schon angeschaut. Generell – abgesehen von Essen und Wetter – gibt es zwischen Deutschland, England und Italien ziemlich viele Gemeinsamkeiten: „Die alltäglichen Sorgen und Schwierigkeiten sind überall gleich.“ Er persönlich findet die Oberlausitz rundherum noch immer sehr gemütlich. Und einen leckeren Kirschkuchen oder eine Eierschecke vermisst Hagen Lehmann mitunter schon.