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Der Ex-Stadtjugend-Chef und das Geld

Thomas Müller soll die Stadt Dresden und Vereine um hohe Summen gebracht haben. Sein Prozess endet mit einer Überraschung.

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© Symbolfoto: dpa

Von Alexander Schneider

Thomas Müller war in den 2000er-Jahren so etwas wie die personifizierte Kompetenz in Sachen Kinder- und Jugendhilfe. Eloquent, schlagfertig, ein Macher, der wusste, wovon er redet, einer, der den Mund aufmacht. Als Geschäftsführer des Stadtjugendrings saß er im Jugendhilfeausschuss, wo er sich mit seinem CDU-Parteibuch erfrischend abhob. Als Vorsitzender der Kindervereinigung Dresden betrieb er mehrere Kitas. Ohne Müller schien nichts zu laufen. Dann der Schock.

Im Frühjahr 2008 durchsuchte die Polizei Müllers Vereine. Schon seit 2005 ermittelte die Generalstaatsanwaltschaft gegen ihn – wegen Bestechlichkeit. Er soll von Baufirmen Gelder dafür kassiert haben, dass er ihnen lukrative Aufträge zuschanzte. Im Stadtjugendring und in der Kindervereinigung muss die Razzia ebenfalls für erhebliche Verwirrung unter den Mitgliedern gesorgt haben. Die Vereine hielten dem heute 55-Jährigen lange die Treue.

2011 wurde Unternehmensberater Müller unter anderem wegen Bestechlichkeit, Urkundenfälschung und Betruges angeklagt. Er soll einen Schaden von weit über 600 000 Euro verursacht und mehr als 250 000 Euro in die eigene Tasche gewirtschaftet haben. Summen, die einem den Atem verschlagen. Laut Anklage beginnen die Korruptionstaten nach dem Jahrhunderthochwasser 2002. Müller sorgt dafür, dass bestimmte Firmen mit Abriss und Sanierungen beauftragt werden. Im Gegenzug für überteuerte Leistungen zahlten zwei Firmen Tausende Euro, kaschiert in Beraterverträgen, an Müller: 3 248, 3 155, 9 570, 51 852, 35 728 Euro – Summen der ersten Jahre. Müller soll auch für das Freizeit- und Bildungszentrum Naunhof, ein Objekt der Kindervereinigung für 116 000 Euro Erschließungsarbeiten in Auftrag gegeben haben – ohne Beschluss der Mitgliederversammlung.

Hinzu kommen gefälschte Angebote bei Ausschreibungen. Der Unternehmensberater soll Baufirmen das niedrigste Gebot von Mitbewerbern genannt oder überteuerte Angebote selbst fingiert haben. Dafür erhielt er laut Anklage wieder Geld. Er habe auch Provisionen kassiert – 26 960 Euro etwa dafür, dass er einen Mietvertrag von monatlich knapp 50 000 Euro für ein Kinder- und Jugendhotel in der Friedrichstadt vermittelt habe. Ein Haus, das es gar nicht gibt. Schließlich, nach der Razzia, soll Müller mit Vereinsmitgliedern dafür gesorgt haben, dass keine Regressansprüche der Kindervereinigung – über 180 000 Euro – gegenüber ihm selbst geltend gemacht wurden. So sei der mit der Berechnung beauftragten Kanzlei gekündigt und keine andere mehr beauftragt worden.

Die Stadt Dresden soll Müller um mehr als 370 000 Euro geschädigt haben – über Jahre habe er für Kitas der Kindervereinigung zu hohe Beträge beim Kita-Eigenbetrieb beantragt und erhalten. Denn: Für Müllers Mitarbeiter galt ein eigener Haustarifvertrag – die Stadt zahlte den beantragten Bundesangestelltentarif-Ost. Angeblich arbeiteten auch nicht alle Mitarbeiter, für die Geld floss, in den Kitas.

Während mindestens zwei Komplizen Müllers – Mitarbeiter von Baufirmen – wegen Bestechung bereits 2011 zu Geldstrafen verurteilt wurden, verzögerte sich der Prozess gegen ihn überraschend: Er sei gesundheitlich angeschlagen, könne einem Prozess nicht folgen – kurz: Er war nicht verhandlungsfähig. Ein Amtsarzt hatte die Diagnosen bestätigt. Zwar hatte das Schöffengericht unter dem Vorsitzenden Richter Thomas Hassel Müller seit Juli 2012 mehrfach geladen, doch er erschien nie. Inzwischen stellte die Justiz auch die Verfahren gegen Vorstandsmitglieder der Kindervereinigung ein, die für den hohen Schaden mitverantwortlich gemacht wurden.

Erst am Dienstag war Müller persönlich im Amtsgericht Dresden. Sichtlich angeschlagen, das glatte Gegenteil seiner früheren Erscheinung. Er ist insolvent, könne nur wenige Stunden täglich arbeiten. Müller blieb nichts erspart. Eine Stunde dauerte die Verlesung der Anklageschriften. Doch dann die Überraschung. Die meisten Vorwürfe liegen bereits mehr als zehn Jahre zurück und sind daher „absolut verjährt“, wie Hassel feststellte.

Es blieben nur zwei Betrugsvorwürfe stehen: falsche Förderanträge für Kita-Personal von 2005 bis 2008 mit einem Schaden von 330 000 Euro und eine weitere Sache mit dem Hotel, das es nie gab: So soll Müller 1 500 Euro monatlich von der Kindervereinigung kassiert haben, damit er das Projekt voranbringt – verschwieg aber, dass er auch beim Bauherrn dafür kassierte – monatlich 7 500 Euro. Müller ergaunerte sich so 92 000 Euro. Er legte ein Geständnis dieser Taten ab, nachdem ihm in einem Rechtsgespräch eine Bewährungsstrafe zugesichert worden war. So kam es dann auch: Müller wurde wegen Betruges zu einem Jahr und zehn Monaten verurteilt. Mehr konnte er nicht erreichen.