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Der ewige Fremde

Integration von Flüchtlingen ist Schwerpunkt der dritten Ausgabe von „Wirtschaft in Sachsen“. Der türkische Investor Senol Yegin kam 1994 als Retter von Spekon in den Freistaat. Eine Bilanz.

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© Thomas Kretschel

Von Ines Mallek-Klein

Der Händedruck ist ihm wichtig. Wenn Senol Yegin in seinem Betrieb ist, gibt er jedem Mitarbeiter die Hand. Das gehört sich so, sagt der 66-Jährige. Er kam vor 21 Jahren in diesen Zipfel von Sachsen, dorthin, wo es nicht mehr weit ist bis zur Grenze nach Tschechien oder Polen.

Er kam, um in einen Textilbetrieb zu investieren. Nicht als Flüchtling, aber als Fremder. Und der ist er bis heute geblieben, lässt Senol Yegin seinen Chefentwickler übersetzen. Denn Deutsch spricht der Unternehmer nicht. Ihm fehlte die Gelegenheit, es zu lernen, sagt er. Das sei auch ein Beleg für die mangelnde Offenheit der Deutschen. Immerhin, seine beiden Töchter verstehen und sprechen Deutsch. Sie haben in der Türkei eine deutsche Schule besucht und leben mittlerweile in Berlin. Die Bundeshauptstadt zeichne sich zwar auch nicht durch überschäumende Gastfreundschaft aus, aber die Offenheit sei allemal größer als in der sächsischen Provinz, so Yegin.

Als er damals mit der Treuhandanstalt über die Übernahme eines Textilbetriebes in Ostdeutschland verhandelte, wusste Senol Yegin nicht, wo Seifhennersdorf liegt. Was ihn trotzdem überzeugt hat, war das Engagement der dortigen Mitarbeiter und ihr Können. Mit ihrem Know-how ist Senol Yegin schon kurz nach dem Kauf des Betriebes der erste Coup gelungen. Die Bundeswehr bestellte Rettungsfallschirme für ihre Piloten. Wenige Jahre später der nächste Großauftrag. Airbus lässt seine Dämmmatten für die Flugzeuge in Seifhennersdorf fertigen.

Die Zahl der Mitarbeiter kletterte auf über 200, der Umsatz auf über zwölf Millionen Euro. Mittlerweile ist dieser Betriebsteil ausgegliedert. Spekon ist zu einem indirekten Zulieferer für Airbus geworden und die Mitarbeiterzahl wieder auf 50 gesunken. Jeder Einzelne von ihnen ist Senol Yegin dankbar für einen Job in einer nicht gerade boomenden Region.

Yegin zeigt sich aber auch darüber hinaus großzügig. Er hat die Reise sächsischer Schüler in die Türkei bezahlt und junge Landsleute vom Bosporus nach Sachsen geholt. Er unterstützte ein Altersheim, sponserte einen Boxclub und einen Radsportverein. Engagement, das ihm die Ehrenbürgerschaft von Seifhennersdorf einbrachte. Dafür ist Senol Yegin dankbar.

Appell, schnell Deutsch zu lernen

Wirklich angekommen ist er in Sachsen bis heute nicht. Und er befürchtet, dass das auch vielen Flüchtlingen so gehen wird, die seit Monaten in den Freistaat strömen. „Egal, woher sie kommen. Sie sind Menschen und wir müssen ihnen helfen“, so der Unternehmer. Er möchte ihnen eine Perspektive geben und kann sich auch vorstellen, Flüchtlinge bei Spekon zu beschäftigen. Erste Gespräche mit den Behörden gab es, aber keine konkreten Pläne.

Yegin appelliert an die Neuankömmlinge, schnell Deutsch zu lernen. Er selbst sei da kein gutes Vorbild, räumt er ein. Verbessern will er seine rudimentären Deutschkenntnisse nicht mehr. Sie stammen noch aus seiner Schulzeit, die er in Ünje, einer 180 000-Einwohnerstadt an der türkischen Schwarzmeerküste verlebt hat.

Der türkische Spekon-Chef und -Besitzer ist Pragmatiker, wohl auch deshalb rät er den Deutschen und insbesondere den Sachsen, ihre Willkommenskultur gründlich zu überdenken. „Die Menschen flüchten hierher, vor Krieg, Hunger und Elend – ob wir das nun wollen oder nicht. Wir müssen ihnen helfen und das gelingt nur, wenn beide Seiten sich bemühen.“ Die Deutschen könnten nicht nur von den Neuankömmlingen Anpassungsbereitschaft fordern, sie müssten sich auch selbst öffnen für Neues. Senol Yegin weiß, dass er sich mit solchen Sätzen nicht nur Freunde macht.

Aber er spricht aus Erfahrung – und die war nicht immer gut. Er erinnert sich noch genau an einen Besuch bei seinem Geldinstitut. An den Bänker, der ihm den Handschlag verweigerte. Eine kleine Geste mit großer Wirkung, die Yegins Bild von Deutschland bis heute geprägt hat.

Diesen und weitere Artikel über Macher finden Sie in der neuen Ausgabe von Wirtschaft in Sachsen, dem Entscheidermagazin der Sächsischen Zeitung. Sie bekommen es ab Montag, dem 23. November, an gut sortierten Zeitschriftenkiosken und in Bahnhofsbuchhandlungen.