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Der ewige Entdecker

Jedes Jahr spürt Roland Winkelhöfer mit seiner Forschergruppe unbekannte Höhlen auf. Inzwischen ist er „steinreich“.

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© Sven Ellger

Von Henry Berndt

Kaum zehn Schritte ist er gelaufen, schon bückt er sich. Im Pläner-Gestein hat Roland Winkelhöfer einen Muschelabdruck entdeckt, der um die 100 Millionen Jahre alt sein muss. Auch Seeigelstacheln und Haifischzähne hat er hier schon aufgespürt. Bis in die 1950er-Jahre wurde an dieser Stelle, mitten im Plauenschen Grund, der Ratssteinbruch betrieben. Nun steht Winkelhöfer in den von allerlei Grün überwucherten Resten.

Hinter jedem Loch kann das nächste Naturwunder lauern. Hier kriecht Roland Winkelhöfer durch die Teufelshöhle unter der Festung Königstein.
Hinter jedem Loch kann das nächste Naturwunder lauern. Hier kriecht Roland Winkelhöfer durch die Teufelshöhle unter der Festung Königstein. © privat

Wäre er nur 100 Jahre eher an diese Stelle gekommen, er hätte noch drei Höhlen bewundern können. Die wurden allerdings in den 1920ern, kurz nach ihrer Entdeckung, zugunsten des Steinbruchs gesprengt. Immerhin sind Winkelhöfer Aufzeichnungen geblieben und ein Stück schwarzer Quarzkristall, mit denen die Höhlen von innen ausgekleidet waren.

Im Sächsischen Höhlenkataster werden früher die früheren Höhlen unter der Nummer 4948 EG-14 geführt. Ergänzt und gepflegt wird dieses Verzeichnis seit Jahrzehnten durch die Höhlenforschergruppe Dresden. Und deren Kopf heißt Roland Winkelhöfer. Der 73-Jährige wird auch schon mal der „Höhlenpapst“ genannt, worauf er aber keinen besonderen Wert legt. Dass er der vermutlich erfahrenste und in jedem Falle umtriebigste Höhlenforscher Sachsens ist, daran besteht aber kein Zweifel. In diesen Tagen feiert seine 1962 gegründete Höhlenforschergruppe ihr 55-jähriges Bestehen.

Wo gefeiert wurde? Natürlich in der Sächsischen Schweiz. Während es im Dresdner Stadtgebiet praktisch keinerlei Höhlen mehr gibt, bietet das Elbsandsteingebirge seit jeher einen gewaltigen Schatz für Winkelhöfer. „Als wir angefangen haben, waren in der Sächsischen Schweiz etwa 100 Höhlen bekannt“, sagt er. „Heute stehen wir bei über 400.“ Und das Verzeichnis wächst unaufhörlich. Allein in diesem Jahr hätten sie schon acht neue Höhlen entdeckt. Eine Höhle muss im wissenschaftlichen Sinne mindestens fünf Meter tief und rein natürlich entstanden sein. Der 1992 eingeweihte Ingrid-Tunnel im Plauenschen Grund gehört also nicht dazu, wie Winkelhöfer schelmisch anmerkt.

Seine Leidenschaft für Gestein begleitet ihn schon seit seiner Kindheit, die er genau hier im Tal verbracht hat. Oft verfolgte er mit großen Augen das Treiben im Ratssteinbruch und sammelte Steine und Fossilien. Ab und zu gaben ihm die Arbeiter auch mal ein besonders schönes Stück.

Zwar lernte Winkelhöfer später zunächst Maschinenschlosser, doch es durfte niemanden überraschen, dass er sich letztlich doch dem Gestein zuwand und an der Bergakademie Freiberg Mineralogie studierte. Bis nach der Wende verdiente er sein Geld als Geologe für die Ziegelindustie. „Heute bin ich steinreich“, sagt er, spielt damit allerdings auf seine imposante private Mineralsammlung an, die jedem Museum gut zu Gesicht stehen würde.

Am meisten faszinierten Winkelhöfer immer die Höhlen seiner Heimat. Direkt vor der Haustür noch echte Entdeckungen machen zu können, das treibt ihn bis heute an. Wo sonst könne man schon die Kleine Hufeisennase beobachten, wie sie mit drei Herzschlägen pro Minute überwintert? An einer Brücke jedenfalls nicht. Die Ruhe in der Höhle saugt Winkelhöfer in sich auf, nur unterbrochen von gelegentlich herabfallenden Tropfen.

Was sich so romantisch anhört, war für Winkelhöfer immer auch ein Dienst an der Gesellschaft. Seit 48 Jahren gibt er die Zeitschrift „Der Höhlenforscher“ heraus. Außerdem hat er drei Bücher geschrieben, hält um die 60 Vorträge im Jahr, produziert einen eigenen Höhlenkalender und hat mit seiner Gruppe die sogenannte Verkarstung des Sandsteins nachgewiesen, also dessen langsame aber stetige Auflösung. „Die ist heute weltweit wissenschaftlich anerkannt“, sagt er nicht ohne Stolz.

Auch nach 55 Jahren widmet sich Winkelhöfer noch mit derselben Kraft und Ausdauer seinen Höhlen, wie damals, als er als junger Mann in den alten Silberstollen hinter Tharandt herumgestiegen ist. Erst gehörte seine Höhlenforschergruppe noch zum Kulturbund, dann schlossen sie sich dem Bergsteigerverband an. Als es mit der DDR langsam zu Ende ging, wollte die Stasi von heimlichen Entdeckern gar nichts mehr wissen. „Es war dann sogar verboten, über Höhlen zu sprechen“, sagt er. Vorübergehend tobte sich seine Gruppe im benachbarten Böhmen aus. Erst nach der Wende eroberten sie sich die Sächsische Schweiz zurück.

Seitdem sind die derzeit 18 aktiven Mitarbeiter regelmäßig im Sandstein auf Entdeckungstour. Pünktlich 8 Uhr sind alle da, 8.05 Uhr ist Abfahrt. Jeder hat seine Ausrüstung dabei: Helm, Lampe, Seile, Kompass. Und dann geht’s los. Auch mit 73 schreckt Winkelhöfer vor keiner Spalte zurück. „Wenn irgendwo ein Fels runterfällt, und da ist ein Loch dahinter, dann muss ich reinkriechen.“ Kameradschaft ist den Forschern dabei wichtig. „Bei uns geht keiner weiter, wenn der Hintermann nicht da ist.“ Und auch das letzte Wurstbrot wird geteilt.

Bei jeder Expedition durchsuchen die Forscher ein anderes Gebiet. Welches, wann und wie, das gibt der Chef vor. „Wer eine Gruppe 55 Jahre lang leiten will, der muss auch ein entsprechendes Mundwerk haben“, sagt er. Heißt: Die Meinungen der anderen anhören, „und dann wie ein General entscheiden“. Eine Eigenschaft, die nicht jedem zusagt. Im Laufe der Jahrzehnte distanzierten sich mehrere frühere Mitstreiter von Anführer Winkelhöfer und gründeten eigene Gruppen, die ihn heute bestmöglich ignorieren.

Einsam ist es um die Dresdner Höhlenforschergruppe deswegen aber nicht geworden. Die regelmäßigen „Höhlenabende“ sind gut besucht, genau wie die jährliche Ruscher-Wanderung, benannt nach dem Urvater der sächsischen Höhlenforschung, Johannes Ruscher. In seiner Tradition wird Roland Winkelhöfer die Grubenlampe weiter hochhalten. Bis auch die letzte Höhle in der Sächsischen Schweiz ihre Nummer bekommen hat.

Die 42. Auflage der Ruscher-Wanderung steigt am 27. Mai 2018. Anmeldung bei Roland Winkelhöfer unter  0351 2818511 oder [email protected]