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Der ewig junge Mull

Für seine Patienten ist er der Größte, unumstritten aber nicht. Der Sportarzt Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt feiert am Samstag seinen 75. Geburtstag.

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© dpa

Von Thomas Häberlein

Wer sich davon überzeugen will, dass dieser Mann unmöglich schon 75 Jahre alt sein kann, muss bis zum 1. September warten. Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft spielt an diesem Abend in Prag gegen Tschechien, und ganz bestimmt wird dann im Fernsehen beim Schwenk über die Bank auch mal Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt zu sehen sein. Oder spätestens, wenn er schnellen Schrittes und wehenden Haares zur Erstversorgung eines Spielers aufs Feld stürmt.

Um den „Mull“, wie ihn viele nennen, die mit ihm zu tun hatten und haben, ist es ja ein bisschen ruhiger geworden, seit es vor zwei Jahren Knatsch mit dem FC Bayern gab. In die Schlagzeilen geriet er seitdem vornehmlich durch Usain Bolt, der dem „wundervollen Arzt“ zuletzt bei den Olympischen Spielen 2016 von Rio hymnisch dankte dafür, dass er ihm seine Karriere gerettet habe. Ohne den „Doc“ wäre der schnellste Mann der Welt wohl auch nicht bei der WM in London gestartet.

So gut haben wohl nicht alle immer über ihn gesprochen, jedenfalls gab es in der Zeit, als Pep Guardiola Trainer in München war, eine Reihe von Unstimmigkeiten. Im April 2015, nach beinahe 38 Jahren beim FC Bayern, warf Müller-Wohlfahrt schließlich hin, nachdem es nach einer Niederlage im Champions-League-Achtelfinale beim FC Porto (1:3) Vorwürfe an die medizinische Abteilung gegeben hatte. Das Vertrauensverhältnis sei zerstört, ließ „Mull“ durchblicken. Es gibt aber nach wie vor Münchner Spieler, die zu ihm gehen.

Müller-Wohlfahrt, geboren als Hans-Wilhelm Müller in Leerhafe in Ostfriesland, seit der Heirat mit Ehefrau Karin auch mit doppeltem Nachnamen, hätte Pfarrer werden und die Gemeinde seines Vaters Diederich übernehmen sollen. Stattdessen studierte er in Kiel und in Innsbruck, absolvierte dann eine Facharzt-Ausbildung in Berlin, war Mannschaftsarzt von Hertha BSC (1975 bis 1977), ehe ihn der FC Bayern abwarb. Damals spielten in München unter anderem die Herren Maier, Müller, Hoeneß und Rummenigge.

Über die Jahre erwarb sich Müller-Wohlfahrt einen imposanten Ruf – als „Guru“ bei den einen, als „Wunderheiler“ bei den anderen. Bei den Spielern des FC Bayern blieb es nicht, „Mull“ bekam sie alle in die Finger. Boris Becker, Katarina Witt oder Cristiano Ronaldo, aber auch Luciano Pavarotti, Thomas Gottschalk oder Bruce Springsteen. Bei seinen Diagnosen, sagte er stets, „vertraue ich meinen Händen mehr als dem Kernspin oder dem Ultraschall“. Manche Sportler, behauptet er, „erkenne ich schon am Abtasten ihrer Muskulatur“.

Bei Kollegen umstritten

Wegen derartiger Äußerungen ist Müller-Wohlfahrt bei Kollegen nicht unumstritten. Kritisch gesehen wird er auch wegen des Verkaufs von Nahrungsergänzungsmitteln – und vor allem wegen seiner Vorliebe für das Präparat Actovegin. Es fördert Wachstum und Vermehrung von Muskelzellen, ist aber nicht illegal. Die Anwendung ist in der Medizin umstritten. Travis Tygart, Chef der US-Anti-Doping-Agentur, bezeichnete den Einsatz des Präparats mal als „Frankenstein-Experiment“.

All das, aber auch einige Berichte über finanzielle Probleme oder Gerichtsverfahren, haben die dunklen Haare von Müller-Wohlfahrt ein bisschen grau werden lassen. Doch nicht nur beim DFB halten sie den Mann mit den sehenden Händen für unverzichtbar. Schon seit 1995 ist „Mull“ der Arzt der Nationalmannschaft – und er wird es wohl noch ein wenig bleiben. Dass er am Sonnabend bereits 75 Jahre alt wird, ist sicherlich ein Irrtum. (sid)