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Der etwas andere Ortschronist

Uwe Hesse kümmert sich jetzt um die Geschichtsschreibung von Oelsitz. Den Ausschlag dazu gab ein Trauerfall.

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© Sebastian Schultz

Von Britta Veltzke

Oelsitz. Gemütlich sitzt Uwe Hesse auf dem Podest vor der Oelsitzer Mühle. Er trägt Sandalen, eine Dreiviertelhose und ein kariertes Hemd. Aus den kurzen Ärmeln schaut ein großflächig tätowierter Arm heraus. Wenn er mehr Zeit hätte, würde er vielleicht wieder Schlagzeug spielen oder Kunstwerke aus Metall schweißen, so wie er es früher getan hat.

Heute dreht sich das Leben von Uwe Hesse aber eher um seinen Beruf als Industriemechaniker im Reifenwerk und um die Familie. Mit seiner Frau und den zwei Töchtern lebt er in seinem Elternhaus in Oelsitz. Seit Kurzem hat der 36-Jährige ein neues Hobby. Eine Freizeitbeschäftigung, an die er sich allerdings noch gewöhnen muss. Er ist der neue Ortschronist von Oelsitz – und widerlegt rein optisch das Klischeebild, das die meisten von einem Träger dieses Titels im Kopf haben dürften. So bewegen sich Hesses Kollegen aus den anderen Riesaer Ortsteilen eher im Rentenalter.

Die Ortschronisten sammeln alle möglichen Dokumente der Gegenwart und erforschen die Geschichte des Ortes. Ein besonderes Interesse für die Historie hatte Uwe Hesse allerdings nie. Er hat das Ehrenamt gewissermaßen geerbt. Sein Vater Volker Hesse starb Anfang des Jahres. „Er hatte Krebs, es ging viel zu schnell“, sagt Uwe Hesse. Sein Vater habe sich schon lange für die Geschichte des Ortes interessiert. Seit 2005 war er dann ganz offiziell Oelsitzer Ortschronist. „Nach seinem Tod haben meine Mutter und ich lange diskutiert, wie es mit dem Amt weitergeht. Denn mein Vater hat das wirklich gern gemacht. Es wäre schade gewesen, wenn das niemand übernommen hätte.“

Vor allem in der kalten Jahreszeit, wenn es um das Haus herum und im Garten weniger zu tun gab, habe der Vater an der Chronik gearbeitet. Er habe sich dafür sogar durch Archive und Kirchenbücher geackert. „Eine typische Winterarbeit“, sagt Uwe Hesse, der seinem Vater mitunter auch geholfen hat – allerdings weniger inhaltlich als vielmehr bei Schwierigkeiten am Computer.

Auch Uwe Hesse arbeitet gerne in und am Haus. Zuletzt hat die Familie dem Wohngebäude aus dem 19. Jahrhundert, das schon den Großeltern gehörte, im wahrsten Sinne des Wortes einen historischen Anstrich verpasst. Statt des typischen Einheitsgraus, in dem zu DDR-Zeiten viele Fassaden gestrichen wurden, sieht das größere der beiden Gebäude hinter dem Hoftor an der Riesaer Straße jetzt wieder so aus wie ein Fachwerkhaus.

Ein altes Gemälde, das Uwe Hesse gleich zur Hand hat, zeigt, wie es vor der „grauen Zeit“ einmal ausgesehen hat. Für ihn als Ortschronisten sind solche Bilder jetzt wichtige Dokumente. Für sein neues Ehrenamt hat Hesse auch schon eine konkrete Idee. „Von Oelsitz existieren Fotos, auf denen einzelne Häuser mit ihren Bewohnern zu sehen sind. Ich würde diese Idee hier gerne wieder aufleben lassen. Wenn man diese Fotos in regelmäßigen Abständen macht, bekommt man ein gutes Bild davon, wie sich das Dorf und seine Bewohner verändern.“

Oelsitz, das Dorf, das viele Riesaer vor allem als Durchfahrtsort kennen dürften, ist für Uwe Hesse gleichbedeutend mit dem Begriff „Heimat“. Nie hat er woanders gelebt. Statt einer Kirche bildet ein Industriedenkmal die Ortsmitte: Die Oelsitzer Mühle, um die sich der Mühlenverein kümmert, ist auch das kulturelle Zentrum des 150-Seelen-Dorfs. „Der Ort ist auf den ersten Blick nicht sehr besonders, trotzdem lebe ich gern in Oelsitz. Man kennt sich – hier sind meine Familie, meine Freunde“, sagt Uwe Hesse. Von nun an wird er seine Heimat noch besser kennenlernen.