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Der etwas andere Kindergarten

Vor 20 Jahren bezog das Trinitatis-Kinderhaus seinen neuen Standort. Die Architekten waren schon damals ihrer Zeit voraus.

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© Sebastian Schultz

Von Stefan Lehmann

Riesa. Vom Regenwetter lassen sich die Kinder nicht die Laune verderben. Wenn nicht auf der Wiese getobt werden kann, dann eben im Sportraum des Trinitatis-Kinderhauses. Ein reichliches Dutzend Kinder läuft nun durch den hohen Raum mit dem großen Glaspanorama und spielt Feuer – Wasser – Sand. Nebenan im Flur betätigen sich derweil angehende Architekten mit Bauklötzen aus Holz. Das ist Teil des Kita-Konzepts, sagt Leiterin Steffi Schneider. Es gibt kein festes Programm, keine starre Trennung nach Gruppen. „Stattdessen haben wir vor etwa acht Jahren Themenräume eingerichtet.“ Jetzt entscheiden die Kinder selbst, womit sie ihre Zeit verbringen wollen: im Atelier, auf dem „Bau-Flur“ oder im Sportraum.

Steffi Schneider, Leiterin.
Steffi Schneider, Leiterin. © Sebastian Schultz

Nicht nur in seiner Philosophie hebt sich das Trinitatis-Kinderhaus von den meisten städtischen Kindergärten in Riesa ab. Auch optisch ist die Kita ein Hingucker. Viel Holz und andere natürliche Baustoffe sind verwendet worden, für die Wärmedämmung haben die Planer Zeitungspapier verwendet. Auch in den großen Innenräumen ist die Holz-Optik bestimmend. „Die Architekten Rentzsch und Reiter haben damals schon weiter gedacht als wir“, sagt Steffi Schneider und schmunzelt. Belohnt wurden sie dafür 1998 mit dem Sächsischen Staatspreis für Architektur. In diesem September ist es 20 Jahre her, dass die Kindertagesstätte auf das Grundstück an der Ecke Pausitzer Straße/Lutherplatz zog. Zuvor war die seit 1945 in kirchlicher Trägerschaft befindliche Einrichtung an der Hohen Straße ansässig gewesen.

Dass es die Umzugs-Option überhaupt gab, liegt auch an der Risikobereitschaft der evangelischen Kirchgemeinde. Der Kirchenvorstand entschied sich damals, das komplette Grundstück zu kaufen, das zunächst bis zur Straße am Lutherplatz reichte. Das Risiko zahlte sich zumindest für die Kinder aus: Mehr als 4 000 Quadratmeter Fläche – so viel Platz hat vermutlich keine andere Kita in Riesa zur Verfügung. „Es gab damals mutige Entscheidungsträger und Leute mit Visionen, die viel Geld in die Hand genommen haben“, sagt auch die Kita-Leiterin. In dieser Woche wird der Geburtstag groß gefeiert. Eine Baumpflanzung gab es schon, am Freitag sind Eltern, Kinder und Ehemalige zum Picknick geladen. Am Sonntag findet außerdem ein Festgottesdienst in der Trinitatiskirche statt.

Kurz nach 11 Uhr sind im „Kinder-Restaurant“ des Hauses schon die Tische gedeckt. Auch das Mittagessen läuft ein bisschen anders ab als anderswo, erklärt Steffi Schneider. „Wir stellen die einzelnen Komponenten auf den Tisch. Jedes Kind darf dann wählen, was es möchte.“ Auch das entspreche am Ende dem religionspädagogischen Ansatz des Kindergartens. „Wir wollen die Kinder so annehmen, wie sie sind: Jedes ist ein geniales Geschöpf Gottes.“ Das Konzept kommt offenbar an: Die Kita bietet mitsamt der Krippengruppe Platz für 100 Kinder. Frei ist davon keiner. „Wir haben Wartelisten bis 2019“, sagt Steffi Schneider. Auf den ersten Blick überraschend ist, dass nicht nur christliche Eltern ihre Kinder in der Einrichtung am Lutherplatz anmelden. Etwa die Hälfte der Eltern habe mit dem christlichen Glauben selbst nie etwas zu tun gehabt, wollen ihren Kindern aber davon etwas mitgeben, sagt Schneider. „Das sind oft die treuesten Gäste bei unseren Familien-Gottesdiensten“, erzählt sie und lächelt. Möglicherweise ist das auch ein Trend, von dem die Kirchgemeinde profitieren kann.

So frei die Kita-Kinder auch sind: Die Vorbereitung auf die Schule klappt laut Steffi Schneider trotzdem. Einen dicken Ordner, der die Entwicklung der Kinder dokumentiert, gibt es auch hier. Das ungewöhnliche Konzept geht auf, davon ist sie überzeugt. „Wir entlassen fitte Kinder in die Schule.“ Und auch das Kollegium profitiere. „Wir sind als Team gut zusammengewachsen. Viele Kolleginnen sind schon lange hier“, sagt sie – und fügt mit einem Lachen hinzu: „Die, die gegangen sind, haben das nur der Liebe wegen getan.“