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Der Erleuchtete

Kirk Benson ist der etwas andere US-Amerikaner im Team der Dresden Monarchs und verabschiedet sich mit Erfolg.

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© Robert Michael

Von Alexander Hiller

Der Inhalt bleibt geheim. Auch beim Abschied. Kirk Benson schart vor dem Spiel gegen die Düsseldorf Panther am Sonnabend zum letzten Mal seine Kollegen und Freunde der Dresdner Monarchs um sich. Um sie mit einem martialisch anmutenden Schlachtruf zu motivieren. Das gelingt, wie das 61:14 beweist. „Was ich da sage, kommt immer spontan aus mir raus. Das hängt davon ab, gegen wen wir spielen und was an dem Tag wichtig für uns ist“, sagt Benson. Ein Anführer tut so etwas.

Der Schein trügt. Kirk Benson ist ein Glaubensprediger ohne Kirche. „Meine Kirche ist überall da, wo Menschen sind.“
Der Schein trügt. Kirk Benson ist ein Glaubensprediger ohne Kirche. „Meine Kirche ist überall da, wo Menschen sind.“ © Robert Michael

Der US-Amerikaner mit dem dunklen Vollbart und der markanten Glatze ist vielleicht sogar ein bisschen mehr als das. Die Seele der Mannschaft – wenn es das gibt, in einem 60-köpfigen Team. „Kirks Art inspiriert und motiviert alle um ihn herum. Er verliert nie seine positive Can-do-Attitude – egal, wie es um und in ihm gerade aussieht“, sagt Kapitän Martin Schmidt. „Obwohl er einer der Ältesten im Team ist, hält er alle jung im Herzen und sorgt dafür, dass keiner den Spaß an der Sache verliert. Wir werden ihn sehr stark vermissen“, betont der zurzeit verletzte 27-jährige Dresdner.

Vor vier Jahren in Dresden gelandet

Dass Benson in die Rolle des Antreibers schlüpfte, gehört zu den kuriosesten Geschichten der Monarchs. Der 34-Jährige war auf einem anderen Weg, als er 2012 in Dresden strandete. Auf dem Weg des Herrn. Der kernig wirkende Mann mit der Rückennummer 42 ist Baptist und Gemeindegründer. Im Auftrag seiner Kirche beziehungsweise der spendenfinanzierten Institution „International Board“. Er ist gewissermaßen ein Gesandter, ein Werber, ein Botschafter für den christlichen Baptistenglauben. Manche mögen das Missionar nennen. Benson soll im Auftrag des „International Board“ in Osteuropa neue Gemeinden aufbauen, Anhänger generieren.

„Im Osten stagnieren die Gemeinden, sie wachsen nicht. Ich bin da, um Führungskräfte auszubilden, Strategien weiterzugeben, neue Gemeinden zu gründen“, sagt er. Vor seiner Dresdner Zeit leistete Benson schon in Ungarn und Serbien Aufbauarbeit in Glaubensfragen. „Für uns kamen in Deutschland Dresden, Leipzig oder Berlin infrage.“ Es wurde Dresden.

Da entdeckte Benson seine alte Liebe neu: American Football. 2004 hatte er das letzte Spiel für die Henderson State University absolviert. „Aaron Wahl hat mich in einem Café angesprochen, als er merkte, dass ich US-Amerikaner bin“, erinnert sich Benson ans erste Treffen mit seinem Teamkollegen. Einen Tag später rief ihn Trainer Robert Cruse an, lud ihn zum Training ein. Das muss beiden Seiten gefallen haben. Benson, der mit seiner sechsköpfigen Familie in Löbtau wohnt, ist seither nicht mehr wegzudenken bei den Monarchs.

Auch, weil er das ideale Bindeglied zwischen Profis aus den USA und deutschen Spielern ist. Der Defensiv-Stratege paukte zunächst mal ein Jahr die deutsche Sprache am Goethe-Institut. „Das ist die Voraussetzung für den Job“, sagt Benson. Und das unterscheidet ihn von seinen Landsleuten bei den Monarchs. „Die deutsche Sprache zu lernen, ist nicht ihr Job. Sie sind hier, um Football zu spielen. Ich lebe hier. Das kann man nicht vergleichen“, wirbt er um Verständnis. „Ich bin ja zufällig hier, wahrscheinlich ist so eine Geschichte noch nie passiert in der GFL.“ Amerika-Skeptiker könnten annehmen, ein US-Bürger erklärt solche Sachen mit einem gewissen arroganten Selbstverständnis. Benson erzählt das alles irgendwie staunend und stolz.

Möglich, dass dies mit seiner Lebensgeschichte zu tun hat. Der stets freundlich wirkende Kerl war in seiner Jugend ein ziemlicher Rüpel. „Ich war ein böser Mensch, immer in Clubs unterwegs, zettelte oft Schlägereien an.“ In seiner Heimatstadt Memphis hatte er in einigen Etablissements Lokalverbot. „Am Gefängnis kam ich knapp vorbei. Ich konnte damals schon schnell laufen“, sagt er und lacht laut. „Als ich 21 war, wurde ich neu geboren. Bis dahin lebte ich nur für mich. Ich war mein Zentrum, hatte aber das Gefühl, mein Herz ist nicht erfüllt. Football war mein Gott.“

Heute ist das Jesus. Schuld daran trägt ein offenbar äußerst raffinierter Trainer. Sein Coach in der Henderson State University lockte Benson mit zwei Versprechen zur ersten Bibelrunde, denen ein junger Typ kaum widerstehen kann. „Er hat gesagt, da gibt es viele Frauen und viel Essen. Beides super“, erinnert er sich feixend. „Da habe ich zum ersten Mal gehört, was Jesus für uns getan hat.“ Benson wollte lernen, wissen, begreifen, die Bibel lesen – ein sechsmonatiger Prozess. „Seitdem hat sich mein Leben um 180 Grad gedreht.“

Gemeinde-Chef ist Mädchen für alles

In Richtung Dresden. An jedem Montag lädt er zu einer Bibellesung ins Starbucks-Café am Altmarkt ein. „Dann reden wir über die Textpassage. Was mag man von diesem Abschnitt, was nicht?“, sagt der Mann, der in Memphis bereits eine Baptistengemeinde leitete und dabei irgendwie auch Mädchen für alles war, und zwar gern. „Ich war da Basketball-, Football-, Leichtathletik-Coach und Busfahrer.“

Heute scheint Benson bei den Monarchs unersetzlich zu sein. Er spielt nicht nur, sondern coacht das Flagfootball-Team der U 10 und arbeitet als Offense-Coordinator der U-19-Sachsenauswahl. Und das, obwohl Benson in der Woche 60 Stunden beruflich unterwegs ist. Inklusive acht bis zehn Tassen Kaffee täglich. Zwei Gruppen gründete er, organisierte Benefizkonzerte. „Ich schreibe viele Mails, treffe mich mit Leuten. Ich arbeite mit Menschen, die Emotionen haben und teilweise viele Probleme.“ Benson hört zu, gibt Ratschläge – nicht nur Bibelzitate – wider. Manchmal skypt er wegen der Zeitumstellung bis spät in die Nacht mit US-Amerikanern. Sechs Uhr steht er wieder auf. Wegen der vier Kinder: Isabel (8), Boez (7), Titus (5) und Elisa (2), die in Dresden geboren ist.

„Das mag komisch klingen“, sagt Benson nachdenklich. „Ich gehe ausgepowert zu den Monarchs, aber genau dort hole ich mir Energie. Die Jungs sind meine zweite Familie.“ Die nun auf ihn verzichten muss. Weil Kirk und seine Frau Amy für eine amerikanische Firma arbeiten, hat die Familie für die Arbeitserlaubnis nur ein Fünf-Jahres-Fenster und muss nun wieder heim. Am 24. Juni rückt die Umzugsfirma an. Es geht nach Little Rock (Arkansas). „Von den fünf Jahren müssen wir 366 Tage außerhalb von Deutschland bleiben. Erst dann bekommen wir ein neues Visum und kommen wieder, im Juli 2017. Mein Job, mein Leben treibt mich zurück“, meint er, und seine sanften braunen Augen wirken für den Moment etwas verschleiert.

Das Düsseldorf-Spiel ist das letzte seiner Karriere. Am Sonntag stieg eine Abschiedsfete im Haus Benson. „Hey, ich bin 34. Ich kann nicht riskieren, meinen Beruf aufs Spiel zu setzen.“ Doch Benson wäre kein Gesandter, wenn er fortgehen würde, ohne eine Mission zu hinterlassen. „Es muss weitergehen. Das ist meine Botschaft. Ich wollte in meiner Zeit in Dresden die Jungs für die Zukunft stärken.“ Ob ihm das gelungen ist, muss sein Team ohne ihn beweisen.