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Der einstige Neulehrer und seine Buben

Vor fast 70 Jahren wurde Alfred Gerhardt Lehrer seiner ersten Knabenklasse – ohne Studium, doch mit Verbindung bis heute.

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© René Meinig

Von Nadja Laske

Das muss eine Sensation sein! Alfred Gerhardt kann es sich nicht anders denken. „Dass ein alter Volksschullehrer sich nach fast 70 Jahren immer noch mit seinen früheren Schülern trifft, das muss doch in der Zeitung stehen!“, ruft er mit fester Stimme. Damit hat er völlig recht.

Von seinem Hotel an der Prager Straße aus nimmt sich der 91-Jährige kurzerhand ein Taxi und fährt zum Haus der Presse in der Ostraallee. Und während er dort davon erzählt, dass er einst seinen Lehrerberuf bekam wie die Jungfrau ihr Kind, lacht er herzlich und ansteckend. In seinen Gedanken ist er wieder der Anfang 20-Jährige der ersten Nachkriegsjahre in Dresden, den Zufall und eine große Begabung an den richtigen Platz im Leben verschlugen.

„Ich bin aufs Vitzthum-Gymnasium gegangen und habe nach dem Krieg begonnen, im Krankenhaus St. Joseph-Stift als Krankenpfleger zu arbeiten“, erinnert er sich. Eines Tages habe seine Mutter einen Bekannten getroffen, der in der Verwaltung dafür zuständig war, die Schulbildung wieder in Gang zu bringen. Er fragte, was ihr Junge denn so mache, er habe doch das Abitur. Beste Voraussetzung, um schleunigst vor die nächstbeste Klasse zu treten und als sogenannter Neulehrer zu unterrichten.

„Mit Abitur war kein Kurs nötig, ich kam direkt an die Siebenschwabenschule, die hieß damals 32. Volksschule“, sagt Gerhardt. Nach ein paar Wochen Hospitation und Probeunterricht bei einem erfahrenen Lehrer bekam der Quereinsteiger eine Knabenklasse: 40 Jungs, Klassenstufe 6. Bis 1951 war er ihr Klassenleiter, und etliche der damaligen Schüler danken es ihm noch heute. Einmal im Jahr finden sie sich zum Klassentreffen zusammen.

Alfred Gerhardt hatte 1958 die DDR verlassen und war im Westen Dorflehrer geworden. „Die Kinder liebten mich, weil ich sie nicht mit dem Stock schlug, mit ihnen sang und wandern ging. Das war damals nicht üblich“, erzählt er. Nach der Wende fand er zu seinen Dresdner Schülern wieder Kontakt. Sie besuchten ihn regelmäßig, doch inzwischen reist Alfred Gerhardt lieber in die alte Heimat. Nun hat ihn die Sehnsucht nach seinen pädagogischen Anfängen wieder hergeführt. Im Restaurant Elbterrasse Wachwitz traf er seine Buben. Die sind inzwischen 80 Jahre alt.